Rechtsvernebelung

Vom erstaunlichen Umgang mancher Medien und mancher Politiker mit den Rechtsgutachten zur Flüchtlingsfrage.

Österreichs mit Abstand stärkstes Printmedium, die Kronenzeitung, stellte auf ihrer Website klar: „Obergrenzen sind zulässig“. Das hätten die Rechtgutachten der Professoren Bernd Christian Funk und Walter Obwexer ergeben.

Wahr ist, wie so oft, das Gegenteil: Beide Gutachten, die Donnerstag offiziell im Kanzleramt übergeben wurden, haben klargestellt, dass eine Obergrenze wie die Regierung sie mit 37.500 Asylberechtigten festgelegt hat, eindeutig unzulässig ist – und das war auch jedem juristisch nur halbwegs gebildeten Menschen von vornherein klar. (Und ist der rechtliche Grund, aus dem Angela Merkel sich gegen eine „Obergrenze“ sträubt.)

Klar war aber auch – jedenfalls für meine Leser – dass Österreich sehr viel weniger Flüchtlinge als Asylanten aufnehmen muss als es in der Vergangenheit aufgenommen hat. Funk wie Obwexer begründet das vor allem damit, dass Österreich von sicheren Drittstaaten umgeben ist und dass gemäß den EU-Verträgen primär diese für die Asylgewährung zuständig sind. Ich begründe es darüber hinaus damit, dass die Genfer Konvention nur „Verfolgung“ aus rassistischen, religiösen und politischen Gründen, nicht aber „Krieg“ als Asylgrund nennt.

Etwas anderes ist die moralische Verpflichtung, Menschen, die durch Kriege vom Tod bedroht sind, Schutz zu gewähren.

Etwas anderes ist die moralische Verpflichtung, Menschen, die durch Kriege vom Tod bedroht sind, Schutz zu gewähren. Wenn man will, liefert ihre politische Gegnerschaft zum kriegsführenden Regime jederzeit eine kaum Genf-konforme Asyl-Begründung.
Wahrscheinlich hat Obwexer sogar mit der Schätzung Recht, dass Österreich weniger als 37.500 Flüchtlingen pro Jahr Asyl gewähren müsste, wenn es die angeführte Rechtssituation nutzte. Innenpolitisch liegt er mit dieser Einschätzung jedenfalls richtig. Und außenpolitisch hat Österreich zumindest keinen Grund, sich die angeführte Ziffer vorwerfen zu lassen: Frankreich mit 66 Millionen Einwohnern will insgesamt nur gerade 30.000 Syrien-Flüchtlinge aufnehmen und hat nicht zuvor 90.000 Bosnienflüchtlinge integriert.

Recht hat Obwexer auch mit der im ZIB2- Gespräch vorgebrachten Argumentation, dass ein Staat auch dann zur Begrenzung der Asylgewährung berechtigt sei, wenn die Zahl der Asylanten seine innere Sicherheit gefährde: Jede völkerrechtliche Verpflichtung endet, wo ein Staat zu ihrer Erfüllung seine innere Sicherheit (also ein wesentliches Element jedes funktionierenden Staates ) opfern müsste. Allerdings bin ich nicht so sicher wie er, dass dieser Zustand in Österreich objektiv gegeben ist und vor allem bezweifle ich seine Behauptung, dass die Bundesregierung das Recht hätte, dies durch ihren Beschluss festzulegen. Festlegen mag sie es vielleicht dürfen – aber rechtlich haltbar wäre es kaum: Weil Viktor Orbans Fidesz im Parlament beschlösse, dass Ungarns innere Sicherheit durch mehr als 1000 Asylanten gefährdet ist, wäre Ungarns völkerrechtliche Verpflichtung zur Asylgewährung schwerlich gegenstandslos. Ein Flüchtling, der sie einklagte, erhielte beim Europäischen Gerichtshof oder beim Gerichtshof für Menschenrechte zweifellos Recht. Und wenn Österreich seine innere Sicherheit durch 50.000 weitere Asylanten gefährdet sähe, müsste es beim EUGH wohl begründen, wieso Zypern oder Malta mit einem Vielfachen an Flüchtlingen die innere Ordnung bis jetzt aufrecht halten konnten.

Bei subsidiär Schutzberechtigten ist die Kürzung im Moment auch nicht zulässig, kann aber zulässig werden, wenn der Flüchtlingsstrom durch die jüngst getroffenen Maßnahmen nicht kontrollierter verläuft.

(Vielleicht sieht auch Obwexer in Wirklichkeit die Notwendigkeit einer objektiven, vor Gericht haltbaren Begründung für die Gefahr des Zusammenbruchs der inneren Ordnung – es gab in seinem ZIB-Statement auch einen Satz, aus dem man das schließen könnte. Leider sind ZIB–Interviews fast immer zu kurz, um in so komplexen Fragen völlige Klarheit zu schaffen.)

Ausreichend klar, trotz seiner unendlich professoralen Ausdrucksweise, ist das Ergebnis eines dritten Rechtsgutachtens in der Flüchtlingsfrage: Der Sozialrechts-Experte Professor Robert Rebhahn gutachtete, dass es unzulässig ist, Asylberechtigten, – so wie die VP-FP- Koalition in Oberösterreich das vor hat- eine geringere Mindestsicherung als Österreichern zu gewähren, weil die EU-Statusrichtlinie 11, die diese Frage regelt, bei Sozialhilfe und medizinischer Versorgung von Flüchtlingen ausdrücklich eine Gleichbehandlung mit Staatsbürgern verlangt. (Das ist völkerrechtlich das Wesen des Flüchtlings-Status). Bei subsidiär Schutzberechtigten ist die Kürzung im Moment auch nicht zulässig, kann aber zulässig werden, wenn der Flüchtlingsstrom durch die jüngst getroffenen Maßnahmen nicht kontrollierter verläuft und Österreich unverhältnismäßig mehr als andere Länder belastet. Derzeit ist das aber nicht gegeben.

VP-Obmann Reinhold Mitterlehner und FP-OÖ –Obmann Manfred Haimbuchner ließen dennoch wissen, dass da Gutachten ihnen Recht gebe. Der Bürger mag daraus eine Vorstellung gewinnen, welches Rechtsverständnis eine bundesweite Koalition dieser beiden Parteien auszeichnete.

Mitterlehner behauptet übrigens auch, dass die Gutachten von Funk und Obwexer die Obergrenzen-Festlegung rechtfertigten und Werner Faymann widerspricht ihm längs nicht mehr.

Wenn ORF-NEWS meldet, dass die „Rechtsgutachten die Regierungslinie bestätigen“ passt das perfekt in diese Nebellandschaft.
Eine halbwegs seriöse mediale Information hätte in etwa zu lauten: Die eingeholten Rechtsgutachten stempeln die von der Regierung verkündete „Obergrenze“ zu einem Beschluss, der dem EU-Recht wie dem Völkerrecht widerspricht-auch wenn er im Sinne Österreichs durchaus nützlich gewesen ist. (Im gleichen Widerspruch zu EU- und Völkerrecht stünde auch ein Beschluss der oberösterreichischen Landesregierung Asylberechtigten nur verringerte Sozialleistungen zu gewähren.)

Nützlich war der getroffene rechtswidrige Beschluss einer Obergrenze (im Verein mit dem vermutlich ebenso rechtswidrigen Beschluss zur Schließung der Balkanroute), weil er den, durch die rechtswidrige Durchlässigkeit der EU-Außengrenze massiv angeschwollenen Flüchtlingsstrom in Richtung Österreichs erheblich verringert hat. Man kann darin also einen Akt verständlicher Notwehr gegenüber einer von Österreich vermuteten untragbaren Asyl-Belastung durch das unsolidarische Verhalten der EU sehen. (Putativ-Notwehr wäre der passende Fachausdruck)
PS.: Ein Kulturtipp: Im Saal 2 des „Theater Center Forum“ in der Wiener Porzellangasse wird nach langem wieder einmal Tennessee Williams wunderbare „Glasmenagerie“ gegeben: Die Flucht vom Schicksal Geprügelter in Illusionen.

Unter der Regie von Angelica Schütz wird grandios gespielt: Christine Renhardt, ist als alleinerziehende Mutter Amanda Wingfield eine unendlich liebenswerte, urkomische Nervensäge. Als ihr Sohn „Tom“, der all ihre Hoffnungen tragen und all ihre Illusionen ertragen muss, brilliert Alexander Hoffelner: ebenso glaubwürdig in seinem brutalen Aufbegehren gegen ihre ungelenke Fürsorglichkeit, wie in der eigenen zarten Fürsorglichkeit für seine behinderte Schwester „Laura“. Diese Laura ist Anna Sophie Krenn und vollbringt die wohl eindrucksvollste Leistung diese eindrucksvollen Abends: Bildhübsch, im Besitz des perfekten Köpers einer Tänzerin, ist sie zwei Stunden hindurch ein verkrüppeltes, von den verzweifelten Hoffnungen ihrer Mutter erdrücktes Mauerblümchen. Wenn sie für ein paar Minuten strahlend aufblüht, weil ihr ihr Jugendschwarm „Jim“ (glaubwürdig verkörpert durch Simon Schober) die Illusion einer großen Liebe schenkt, wird einem physisch warm ums Herz – und kalt, wenn ihr diese Illusion im nächsten Moment geraubt wird.

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