Erdogans Ehre

Die deutsche Justiz wird es nicht ganz leicht haben, Jan Böhmermann weder anzuklagen noch zu verurteilen.


Angela Merkel hat die Einwilligung dafür gegeben, dass die Staatsanwaltschaft erhebt, ob der Kabarettist Jan Böhmermann durch seine „Schmähkritik“ gegen Paragraph 103 des deutschen Strafgesetzbuches verstoßen hat, das die Ehrenbeleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes unter eine höhere Strafe stellt als die Ehrenbeleidigung eines Normalbürgers. Sie wird dafür von SPD und Opposition heftig kritisiert, und allenthalben wird der Verdacht geäußert, das könne damit zusammenhängen, dass der türkische Staatspräsident Rezep Erdogan persönlich Strafantrag gestellt hat und dass Merkel angesichts des Flüchtlingsdeals mit der Türkei befangen ist.

Sie ist zwar zweifellos befangen, aber die Kritik ist dennoch unberechtigt: Der Paragraph 103 fordert nun einmal das Einverständnis der Bundesregierung, sonst kann die Staatsanwaltschaft nicht erheben. Und so übel ich Rezep Tagiip Erdogan auch finde, hat doch auch er zweifelsfrei ein Anrecht darauf, dass die Justiz prüft, ob er durch eine bestimmte Handlung in seiner Ehre verletzt worden ist. Angela Merkel kann ihm dieses Recht doch höchstens vorenthalten, wenn dem allfälligen Beleidiger aus der Strafverfolgung unzumutbare Nachteile entstünden. (Man stelle sich vor, auch die Verfolgung der Ehrenbeleidigung einer Privatperson wäre an die Zustimmung der Regierung geknüpft, und diese verweigerte sie nach ihrem Gutdünken.)

Damit zur eigentlichen Frage, ob Erdogan in seiner Ehre beleidigt wurde, indem der Sender ZDF Böhmermanns „Schmähkritik“ in einer Satiresendung ausstrahlte. Sie ist für mich insofern auch subjektiv spannend, als ich seinerzeit in Österreich dafür verurteilt wurde, Bundeskanzler Bruno Kreisky beleidigt zu haben, indem ich sein Verhalten in der Affäre Peter – Wiesenthal „ungeheuerlich, unmoralisch und würdelos“ nannte. Der Europäische Gerichtshof hob diese Verurteilung zehn Jahre später auf, weil ein solches moralisches Urteil einem Journalisten grundsätzlich zustünde, sofern er es in einer Form äußert, die dem kritisierten Tatbestand nicht unangemessen ist und keine persönliche Beschimpfung des Kritisierten darstellt.

Auch ein allfälliges Böhmermann-Urteil wird mit Sicherheit bis zum EUGH gehen, und der wird auch dort endgültig klären, wo das „öffentliche Interesse“ und mit ihm die Medienfreiheit (Pressefreiheit) endet und wo der Schutz jedes Menschen vor Verunglimpfung beginnen muss.

Das ist die Interessensabwägung, die jetzt zuerst die deutsche Staatsanwaltschaft und im Fall einer Anklage das Gericht durchzuführen hat – und sie ist zwangläufig diffizil. Im Fall Böhmermann besonders diffizil, weil er ein Vorspiel hat: In der Satiresendung Extra 3 des Senders NDR wurde schon vor Wochen das Lied „Erdowie, Erdowo, Erdowan“ mit Zeilen wie„Ein Journalist, der irgendwas verfasst, was Erdogan nicht passt, ist morgen schon im Knast”zum Hit.

Erdogan ließ daraufhin den deutschen Botschafter in Ankara einbestellen, der (vermutlich vergeblich) versuchte, seinen Gesprächspartnern zu erklären, dass dergleichen in Deutschland als satirisch politische Meinungsäußerung nicht strafbar sei.

Diese Vorgänge nahm Böhmermann zum Anlass für seine Sendung, indem er einem fiktiv zuhörenden Rezep Erdogan erklärte: „Was die Kollegen von “Extra 3” da gemacht haben, also inhaltlich humorvoll mit dem umgegangen sind, was Sie da quasi politisch unten (in der Türkei) tun, Herr Erdogan – das ist in Deutschland, in Europa gedeckt von der Kunstfreiheit, von der Pressefreiheit, von der Meinungsfreiheit.“

Diesen „Unterricht“ setzte er damit fort, dass er, – sozusagen als praktisches Beispiel für die nicht ganz einfache Rechtslage, ausführte: „Was jetzt kommt, das darf man nicht machen.“

Es folgen vier Strophen seines Gedichtes „Schmähkritik “, das Strophen aneinanderreiht, von denen die folgende noch die zahmste ist:
Von Ankara bis Istanbul
weiß jeder, dieser Mann ist schwul,
pervers, verlaust und zoophil –
Recep Fritzl Priklopil
.

Schon die Verwendung des Terminus “Schmähkritik“ weist darauf hin, dass Böhmermann sehr genau weiß, dass sein Gedicht gemäß deutscher Judikatur tatsächlich zweifelsfrei strafbar ist: Zu recht wird dort die „Schmähung“ eines Menschen von politischer oder moralischer Kritik an seinem Verhalten unterschieden. Insbesondere lässt die bisherige Judikatur nicht zu, dass jemandes sexuelles Verhalten geschmäht wird, weil es eindeutig zu seiner schutzwürdigen Intimsphäre zählt.

Der Anklagebehörde wird es also meines Erachtens nicht leicht fallen, Böhmermann nicht anzuklagen: Vom Wortlaut her schmäht sein Gedicht Erdogan jenseits jedes juridischen Zweifels, und ihm war dieser Umstand noch dazu voll bewusst.

Böhmermann kann allerdings einwenden, dass er ja darauf hingewiesen habe, dass dieses Gedicht „nicht erlaubt“ sei und dass er es quasi zu Unterrichtszwecken verfasst hätte. Der Zuseher (Zuhörer) habe also gewusst, dass es sich nicht auf die reale Person Rezep Erdogan bezieht.

Mit einer Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit in Deutschland, Österreich oder der gesamten EU hätte auch eine Verurteilung Böhmermanns nicht das Geringste zu tun. Nur mit einer notwendigen Grenzziehung.

Dem begegnete der Staatsanwalt vermutlich mit dem Einwand, dass zu diesem Zweck eine einzige Zeile des Gedichtes genügt hätte. Ein langes Gedicht, das auch gehört haben kann, wer sich später in die Sendung einschaltete, sei dazu in keiner Weise notwendig gewesen. Der eigentliche Zweck sei sehr wohl die Beleidigung Erdogans gewesen.

Das letzte Urteil wird beim EUGH liegen.

Mit einer Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit in Deutschland, Österreich oder der gesamten EU, hätte auch eine Verurteilung Böhmermanns nicht das Geringste zu tun. Nur mit einer notwendigen Grenzziehung.

P.S: In Deutschland ist auch sofort die sehr populäre Forderung erhoben worden, den Sondertatbestand der „Majestätsbeleidigung“ als nicht mehr zeitgemäß abzuschaffen.

Es gibt vieles, was dafür spricht, aber auch einiges, das dagegen spricht: Besonders geschützt wird ja nicht mehr eine Majestät, sondern der Repräsentant eines Staates. In seiner Person wird also der „Staat“ als solcher gewürdigt, und ich halte das nicht für so völlig abwegig. Wir alle akzeptieren zum Beispiel den Sonder-Tatbestand der „Religionsstörung“, weil wir meinen, dass der Religion besonderer Respekt gebührt.

Warum soll dem „Staat“ soviel weniger Respekt gebühren? Nicht zuletzt ist zu bedenken, dass im Umgang von Nationen untereinander zwangsläufig Emotionen eine beträchtliche Rolle spielen: Dass ihr Staatoberhaupt beleidigt wird, wird von jeder Bevölkerung sehr viel anders als die Beleidigung eines Privatmannes wahrgenommen. Solche Beleidigungen und daraus womöglich erwachsende Unruhen durch einen eigenen Strafbestand tunlichst zu vermeiden, liegt also auch im Interesse einer funktionierenden Diplomatie.

Und nur zum Nachdenken: Man stelle sich einmal vor, Böhmermanns „Schmähkritik “ hätte Papst Franziskus als Staatsoberhaupt des Vatikan zum Unterrichts-Gegenstand gehabt.

Ich bin restlos areligiös – aber ich meine, dass es Grenzen medialer Freiheit geben muss und dass wir auch ein gewisses Maß an Respekt für Institutionen brauchen.

Aus diesen Gründen hätte ich der Veröffentlichung von Böhmermanns „Schmähkritik“ als Herausgeber oder gar Intendant eines öffentlich rechtlichen Fernsehsenders sicher nicht zugestimmt.

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