Die Tücken der direkten Demokratie

Die von Claudia Reiterer mit gewohnter Neutralität geleitete Diskussion “im Zentrum”, die eigentlich die Frage klären sollte, was das neue Schwarz-Blau bringt, brachte darüber zwar keinerlei Aufschluss aber zum Teil erstaunliche Wortmeldungen. So versuchte der “Historiker” Lothar Höbelt ernsthaft, den Zuhörern einzureden, dass die FPÖ eine Europa- und EU- freundliche Partei sei:

Eine Partei, deren Vize-Obmann Präsidentschaftskandidat und Parteiprogramm-Schreiber Norbert Hofer gegen den EU-Beitritt gestimmt hat und erklärt hat, dass der Austritt aus ihr “kein Tabu sondern Ultima Ratio” sei; die folgerichtig mit Marine Le Pen oder Geert Wilders in einer Fraktion des EU-Parlaments, der EFN sitzt; die bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen alles wettert, was aus “Brüssel” kommt.

Dass sie, um die aktuelle Stimmung in der Bevölkerung wissend und nach einer Koalition mit der ÖVP lechzend, den ÖXIT derzeit ausschließt, scheint mir nicht wirklich im Widerspruch dazu zu stehen.

“In den USA hätten gewählte Mandatare als Repräsentanten des Volkes Donald Trump sicher nicht zum Präsidenten gemacht.”

Begonnen wurde die Diskussion mit der spannenden Frage, was vom freiheitlichen Ruf nach “direkter Demokratie” zu halten sei. Robert Menasse begründete die seines Erachtens gegebene Überlegenheit der repräsentativen Demokratie damit, dass sie die weiter fortgeschrittene Form eines demokratischen Systems sei: sie stelle auch den Schutz von Minderheiten sicher, weil deren Rechte nicht durch Ja/Nein-Entscheidungen beschnitten werden könnten. Nur Mandatare könnten Kompromisse schließen – Ja/Nein Entscheidungen schlössen solche aus.

Meret Baumann als Korrespondentin der Neuen Zürcher Zeitung war erwartungsgemäß anderer Meinung und verwies auf die guten Erfahrungen der Schweiz. Allerdings beschränken sich die m.E. auf eher simple kommunale Fragen – sobald es um Heikles geht, ist das Resultat durchaus fraglich. So verwies Menasse zu Recht darauf, dass die Schweiz mittels direkter Demokratie bis Mitte der Neunzigerjahre das Wahlrecht der Frauen verhindert hat, oder dass sie vor kurzem mit der Ablehnung der EU-Freizügigkeit ihrer Jugend – in diesem Fall einer Minderheit- die Teilnahme am Erasmus-Programm verschlossen hat. Auch das Verbot von Minaretten ist auch kein plebiszitäres Ruhmesblatt.

Ich fügte hinzu: Zumindest die ausschließlich direkt demokratische Abstimmung der Engländer für den Brexit, der Türken für ihre neue Erdogan-hörige Verfassung oder der Kolumbianer gegen den Frieden mit der FARC ist es auch nicht. Und in den USA hätten gewählte Mandatare als Repräsentanten des Volkes Donald Trump sicher auch nicht zum Präsidenten gemacht.

“Volksabstimmungen wurden nachträglich noch nie revidiert”

Es scheint mir doch etwas für sich zu haben, dass das Volk seine Entscheidungen auf dem Umweg über gewählte Repräsentanten trifft, die sich ausgiebig mit der jeweiligen Materie befassen, sie diskutieren und im Kompromissweg modifizieren können, und die man vor allem abwählen kann, wenn ihre Entscheidungen daneben gegangen sind.

Während das Volk sich zwangsläufig nie abwählen lässt und Volksabstimmungen nachträglich noch nie revidiert worden sind.

Deshalb halte ich zwar eine Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch direkt demokratische Elemente für möglich, aber nur wenn man dafür sehr klare, eher restriktive Voraussetzungen schafft: Es dürfen keine Menschen- und Minderheitsrechte betroffen sein; es darf nicht das Gegenteil dessen beschlossen werden, was eine Mehrheit des Parlaments für richtig hält; Abstimmungen mit weniger als 60 Prozent Teilnehmern sind ungültig; Abstimmungen mit einer geringeren als fünf prozentigen Mehrheit sind zu wiederholen, um zu prüfen, ob das Volk wirklich wollte, was entgegen aller Erwartung herausgekommen ist. (Im Fall des Brexit ginge diese zweite Abstimmung ziemlich sicher anders aus) .

Meine Befürchtung im Falle plebiszitärer Demokratie in Österreich deckt sich mit der des Datenschützers Maximilian Schrems: Sie wird vor allem Kopftuchverbote, Abbau von Sozialleistungen die vielleicht auch “Nicht-Österreichern” – selbst aus der EU zu Gute kommen, härtere Strafgesetze und größere Polizeibefugnisse mit sich – selbst aus der EU – bringen. Die allfällige EU-Widrigkeit wird m.E. aufwendige Reparaturen erfordern und/oder die EU beim Volk in Misskredit bringen was für Norbert Hofer auch die “Ultima Ratio” sein kann.

“Ein sehr guter Mann” der auch Mitglied einer Burschenschaft ist

 Auch eine zweite erstaunliche Wortmeldung kam von Lothar Höbelt: Er kann nicht sehen, dass die Strache-FPÖ ideologisch rechts von der FPÖ Jörg Haiders steht. (Siehe auch “Kreiskys Universalerbe”) Es war ausgerechnet die Schweizerin Baumann, die darauf verwies, dass mit Strache mehr Mitglieder rechtsradikal eingestufter Burschenschafter als Frauen im Parlament sitzen (wobei ihr entgangen ist, dass unter denen noch solche sind, die “Frauenschaften” angehören).

Menasses und meine Sorge vor rechts-außen Regierungsmitgliedern zerstreute Höbelt mit dem Hinweis auf den untadeligen Parlamentsobmann Martin Graf, der Männer zu seinen engsten Mitarbeitern zählt, die durch die Beschaffung von Neonazi-Literatur auffielen oder auf den Abgeordneten Harald Stefan, der einfach ein “sehr guter Mann” sei. Nebenher ist er Mitglied einer Burschenschaft, die in seiner Ära für einige Zeit verboten war, und erklärte als Festredner des “Schillerkommers” der deutschen Burschenschaften unter kräftigem Applaus: Die (wahren) Ewiggestrigen haben sich längst enttarnt. Mit ihrem Dauerfeuer von Gedenkveranstaltungen, Mahnmalen und Bußritualen. Es wird dreist verharmlost – etwa mit Opferzahlen in Dresden, es werden Rechtfertigungsversuche gesucht – etwa für Vergewaltigungsorgien der roten Armee und es wird aufgerechnet – etwa bei den Vertreibungsverbrechen.”

Sicher ist es purer Zufall, dass sich sein Name, wie übrigens auch der Straches oder auch des Neonazis Gottfried Küssel im Telefonbuch des führenden Rechtsextremen der Neunzigerjahre, Franz Redl fand.

“Veränderung – aber wohin”

Zum eigentlichen Thema- was bringt die neue Regierung- wiesen der Philosoph Konrad Paul Liessmann, aber auch Schrems und Menasse darauf hin, dass von ÖVP wie FPÖ als einziges unbestrittenes Ziel “Veränderung” genannt worden sei – nicht aber Veränderung wohin.

Liessmann (wie zeitweise auch Menasse) meinte, in Wirklichkeit würde sich fast nichts verändern. Schrems wies darauf hin, dass die Regierung zum Beispiel den ORF unter ihre Kontrolle bringen würde, aber Liessmann schien dergleichen nicht weiter zu beunruhigen. Während Menasse – wie ich – meinte, dass Österreich doch eine Menge sehr Gutes erreicht hätte, das man als stabilen Wert achten möge, meinte Liessmann, man müsse sich doch sehr fragen, warum so viele Menschen auch in so vielen anderen EU-Ländern unzufrieden mit den bestehenden Verhältnissen wären.

Leider war, wie so oft bei politischen Diskussion, kein Ökonom anwesend: Er hätte erklären können, dass die soziale Unterschicht, etwa Österreichs, unzufrieden sein muss, wenn sie in den letzten zwanzig Jahren vier Prozent Reallohn eingebüßt hat, während das BIP real um 40 Prozent gestiegen ist. (Siehe auch: “Die SPÖ braucht erneuerte Gewerkschaften“) Dass die Bewohner Italiens, Frankreichs Spaniens oder Portugals mit ihrer seit Wirtschaftskrise, deutscher Lohnzurückhaltung, und Spar-Pakt anhaltenden hohen Arbeitslosigkeit noch viel weniger zufrieden sein können, liegt auf der Hand.

13 Kommentare

  1. Herr Lingens Sie schreiben dass Claudia Reiterer mit gewohnter Neutralität die ORF Diskussion leitete. Haben Sie diese von Beginn an gesehen? Ich zitiere Claudia Reiterer: “Die Herren Kurz und Strache haben Wind gesät, die Wähler werden einen Furz ernten.” So eine Aussage, die Anleihe an Flatulenzen nimmt, soll gewohnt neutral sein? Sollten Sie das tatsächlich gehört haben, dann kann ich Ihre Urteilsfähigkeit nicht mehr nachvollziehen.

    Genausowenig wie ich Ihre Aussage: “Es scheint mir doch etwas für sich zu haben, dass das Volk seine Entscheidungen auf dem Umweg über gewählte Repräsentanten trifft, die sich ausgiebig mit der jeweiligen Materie befassen, sie diskutieren und im Kompromissweg modifizieren können, und die man vor allem abwählen kann, wenn ihre Entscheidungen daneben gegangen sind.” nachvollziehen kann.

    Wie war das denn 1978 bei der Volksabstimmung über Zwentendorf? 99% der Stimmberechtigten, mich eingeschlossen, haben von Atomwissenschaften überhaupt keine Ahnung und trotzdem hat uns Kreisky damals aufgefordert, über ein Atomkraftwerk abzustimmen??!!

    Was einem Kreisky damals gestattet wurde, das sollte auch für Kurz & Strache gelten.

    Und deshalb plädiere ich für direkte Demokratie und Volksabstimmungen!

    1. Sie schreiben: “Ich zitiere Claudia Reiterer: Die Herren Kurz und Strache haben Wind gesät, die Wähler werden einen Furz ernten.“
      Das ist falsch, Herr Staberl. Es war nicht Claudia Reiterers Aussage. Sie hat Robert Menasse zitiert, als sie ihre Gäste vorstellte.

      1. Ja, das ist korrekt; Claudia Reiterer hat Menasse zitiert. Aber muss jeder ungustiöse Schmarrn von einer ORF-Moderatorin wörtlich zitiert werden? Soll so etwas eine seriöse Moderation sein? Gäbe es nicht andere Zitate?

        Aber vielleicht hat der politisch-grünaktive Ehemann von Frau Reiterer ihr angeordnet, das so zu sagen, nach dem Motto: Alles was Kurz & Strache schadet ist zu verwenden.

        1. “Gäbe es nicht andere Zitate?” Ja sicher, aber Sie haben Gott sei Dank nicht das Recht über diese zu bestimmen.
          Ich persönlich hätte das Zitat auch anders formuliert, stimme aber dem Inhalt zu. Die Österreicher werden sich noch “wundern, was alles so geht unter Türkisschwarzblau”. Ich befürchte, es wird nicht viel Gutes sein.

  2. Ich habe in meinem Leben noch nie FPÖ gewählt. Trotzdem halte ich eine Anreicherung der repräsentativen Demokratie um direkte Instrumente mit klar gestecktem Rahmen für sinnvoll. Österreich hat zB. mit der Zwentendorfentscheidung gute Erfahrung gemacht. Nach den aufgestellten Regeln von Herrn Lingens hätten wir heute Atomabfall in Österreich. Auch bei einer Pattstellung in einer Koallition sollte es zu mindest theoretisch die Möglichkeit eines direkten Volksentscheid geben.

    Mir fehlt in der gesamten Diskussion die Gelassenheit. Irgendwie wirkt es auf mich so, als ob jeder Vorschlag der nicht aus der richtigen Ecke kommt, nur negative Seiten hat.

        1. Das braune Gedankengut ist nie ganz ausgestorben (auch nicht in der SPÖ). Viele Ähnlichkeiten zu Österreichs unrühmlicher Vergangenheit machen aber mehr als nachdenklich:
          Es herrscht der Wunsch nach einem starken Mann und ein übertriebenes Nationalbewusstsein.
          Rechte, nationalistische Einstellungen verbreiteten sich immer mehr in allen Bevölkerungsschichten.
          Es gibt wieder “Schuldige”, die man für alles Mögliche verantwortlich machen kann: die Geflüchteten.
          Nein, ich kann der Zukunft nicht optimistisch entgegensehen.

  3. Ich hätte auch lieber einen “roten Ökonomen” anstelle von Herrn Menasse gestern “ImZentrum” gesehen. Ich habe das Gefühl, dass Menasse mit seinen Ansichten bei solchen Diskussionen den (verbliebenen) Sozialdemokraten mehr schadet als nützt. Selbstverständlich kann man da auch anderer Meinung sein …

  4. “Auch das Verbot von Minaretten ist auch kein plebiszitäres Ruhmesblatt” – das ist eine persönliche Meinung, nicht mehr und nicht weniger.

    Diese Entscheidung ist / war aber eine demokratische Entscheidung, die von der Mehrheit der “Abstimmer” getroffenen wurde. Eine individuelle Beurteilung, ob sie richtig oder falsch ist / war, hat zum Glück keine Relevanz für den Vollzug der Entscheidung.

  5. Entscheidungen sind halt meistens “ja / nein” Entscheidungen.
    Die hat man als Demokrat zur Kenntnis zu nehmen und zu akzeptieren – auch wenn man persönlich anders votiert hat.
    Es darf überhaupt keine Tabus geben, über was entschieden werden kann! Oder bestimmt “ein Gott”, was Tabu ist? Ich hoffe, dass wir diese Zeiten überwunden haben.

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