Chancen und Risiken der türkis-blauen Regierung  

Sie ist effizienter und stabiler konstruiert und startet unter optimalen Bedingungen, die sie selbst durch ihre neoliberale Schlagseite am meisten gefährdet.

Die türkis-blaue Regierung startet aus vielen Gründen unter optimalen Bedingungen.

Erstens: Europas Wirtschaft kehrt, wenn man vom “Süden”, voran Italien, absieht, zu Vorkrisenstärke zurück, und Österreich führt diese Konsolidierung dank guter rot-schwarzer Regierungsarbeit mit Deutschland und Skandinavien an.

Zweitens: Es steht dabei auf dem soliden Fundament besonders vieler weltbester Klein- und Mittelbetriebe, die es u.a. der hohen Forschungsförderung und der guten Zusammenarbeit der Sozialpartner dankt. Weil Fachschulen und technische Fach-Hochschulen, anders als sonstige Schulen und sonstige Hochschulen, bestens funktionieren, gibt es dafür auch genug erstklassige Arbeitskräfte.

Drittens: Die türkis-blaue Konstruktion ist effizienter als die rot- schwarze. Denn erstmals seit Bruno Kreisky sind Kanzleramt und Finanzministerium wieder in einer -türkisen – Hand. Während rote Kanzler ständig von schwarzen Finanzministern (aus)gebremst bis blockiert wurden, wird der Finanzminister des Sebastian Kurz die Politik des Sebastian Kurz energisch umsetzen. Das ist Goldes wert, sofern der Finanzminister nicht gleichzeitig stiehlt.

Regieren ohne ständige Zwischenrufe

Viertens: Die türkis-blaue Regierung ist stabiler als die rot-schwarze. Sie hat von vornherein deckungsgleiche Ansichten zu Migration, Sicherheit, Schulbildung und Wirtschaft. Gelichzeitig hat H. C. Strache weder die Absicht noch die Chance, Kurz´ neue ÖVP bei kommenden Wahlgängen zu überholen. Vielmehr ist er froh, endlich mitzuregieren und will dabei nur nicht abgehängt werden. Er wird daher schwarze Pläne und Maßnahmen nicht ständig schlecht machen und behaupten, weit bessere im Talon zu haben, wenn der Partner sie nur zuließe. Gleichzeitig scheint Sebastian Kurz klug genug, der FPÖ sichtbare Erfolge zu gönnen.

Fünftens: Die türkis-blaue Regierung muss weder mit ständiger Opposition aus den eigenen Reihen rechnen, noch steht sie einer Fundamentalopposition gegenüber, wie die FPÖ sie gegenüber Rot-Schwarz geübt hat. Rote und grüne Funktionäre werden nie so unseriös sein, jede türkis-blaue Aktivität automatisch als “völlig verfehlt” zu diffamieren, und die Neos werden ihnen in der Wirtschaft sogar applaudieren.

Niedrige Löhne als Faulbett für schlechte Betriebe

Welche Klippen stehen einem Erfolg von Türkis -Blau dennoch entgegen? In einer Reihenfolge, die ebenfalls keine Rangordnung ist:

Erstens: Die besonders vielen Neulinge und Quereinsteiger in dieser Regierung sind populär, aber sie könnten auch besonders viele Anfänger-Fehler machen. Ob Ex-Rechnungshofpräsident Josef Moser der ideale Mann ist, seine vielen richtigen Sparvorschläge zu verwirklichen, muss sich erst weisen. Denn bekanntlich wurde er nicht Finanz-, sondern Justizminister, weil die schwarzen Landesfürsten schlecht mit ihm können – aber mit genau diesen Landesfürsten muss er die meisten Einsparungen vereinbaren.

Zweitens: Strache wie Kurz mögen Arbeiter- und Wirtschaftskammer nicht. Deren Rolle als “Neben-“, ja “Ersatzregierung” hatte auch ihre Probleme. Dennoch haben sie entscheidenden Anteil an Österreichs wirtschaftlichem Erfolg. Ich habe hier detailliert begründet, warum die von ihnen ausgehandelten Kollektivverträge marktwirtschaftlich so sinnvoll sind: Nur wenn gleiche Leistung nicht völlig ungleich bezahlt wird, ist fairer “kapitalistischer” Wettbewerb möglich und führt zu einer Wirtschaftsstruktur, in der wirklich die besten Betriebe überleben. Die sogenannten “betriebsspezifischen” Vereinbarungen, die neoliberale Ökonomen anstreben, sind in Wirklichkeit Faulbetten: Schlechte Unternehmen überleben, weil ihre Eigentümer gegenüber einer verängstigten Belegschaft besonders niedrige Löhne durchsetzen.

Lohnzurückhaltung kann auch explosive Folgen haben

Drittens: Die neoliberale Überzeugung, dass eine Wirtschaft umso besser läuft, je mehr der Staat spart, ist in der aktuellen Situation stagnierender Nachfrage ein Irrglaube. Wenn Türkis-Blau die Beträge, die der Staat in die Wirtschaft steckt, reduziert, um sie einzusparen – was etwas grundsätzlich anderes als sparsamstes Ausgeben ist- so wird das die Wirtschaft im Wachstum behindern, weil es ohne Einkauf keinen Verkauf gibt und der Staat in diesem Fall als Groß-Einkäufer zurückfällt.

Viertens: Österreich dankt seine guten Wirtschaftsdaten wie Deutschland voran seinem boomenden Export. Der boomt auch in Österreich dank “Lohnzurückhaltung”: Arbeiter haben seit 20 Jahren Reallohnverluste. Das wird sich in keiner Weise verbessern. Die Steuerreform mit ihren hohen Kinder-Absetzbeträgen bringt ihnen angesichts ihrer niedrigen Einkommen keinerlei Entlastung; Sie sind die ersten Opfer eines Staates, der mit Sozialleistungen spart; und die Absage an alle vermögensbezogenen Steuern zementiert ihren prekären Status. Da genau diese Arbeiter der FPÖ zum Wahlerfolg verholfen haben, kann es für Strache heikel werden, wenn sie aufwachen.

Fünftens: Das Grundproblem der “Lohnzurückhaltung” Deutschlands, (der sich Österreich nicht entziehen kann) besteht darin, dass der “Süden”, voran Italien, aber selbst Frankreich, seine hohe Arbeitslosigkeit nicht los wird: Die Deutschen kaufen angesichts stagnierender Kaufkraft nur eingeschränkt “südliche” Waren – deutsche und österreichische Waren gewinnen dank Lohnzurückhaltung und höchster Produktivität (=günstigste Lohnstückkosten) immer mehr Marktanteile und der gemeinsame Euro verhindert, dass über mögliche Ab-bzw. Aufwertungen eine Anpassung der Lohnstückkosten erfolgt.

Daraus resultiert eine “im Süden” wirtschaftlich wie politisch unverändert prekäre Lage. Wenn sie explodierte, beendete sie das deutsche wie das österreichische Wohlergehen.

 

5 Kommentare

  1. deutsche und österreichische Waren gewinnen dank Lohnzurückhaltung trotz höchster Produktivität (=günstigste Lohnstückkosten) immer mehr Marktanteile ……. ich nehme an das bei “trotz” ein ” und ” sein sollte……! Wenn nicht bitte um Aufklärung – Danke !

  2. Herr Lingens,
    sie schreiben mir aus der Seele! Als Hauptproblem sehe ich die Durchsetzungsmöglichkeiten von Ex-Rechnungshofpräsident Moser:
    Wird er von Kurz bei der längst überfälligen Umsetzung der bekannten Reformen ausreichend unterstützt werden?
    oder siegen wieder die Landeshauptleute, die bekanntlich Jahrzehnte lang jede Reform abgewehrt haben, weil sie Pfründe und Macht in undemokratischer Weise nicht abgeben wollen.

    Diese Landespolitiker haben nicht nur viele Obmänner der ÖVP in den letzten Jahrzehnte politisch ermordet, sondern auch durch die Verhinderung von zeitgemäßen Reformen dem ganzen Volk — uns allen — viel Geld gekostet.
    Diese zeitgemäßen Reformen wünsche ich dem österreichischen Volk für 2018.
    Ihrer Familie und Ihnen wünsche ich viel Gesundheit für das Neue Jahr.
    Peter Skarke

  3. S. g. Herr Lingens, danke für ihre weitgehend objektiven Beiträge. Diese heben sich wohltuend von manchen “Qualitäts-“Medien ab, wo teilweise hasserfüllt gegen die aktuelle Regierung gehetzt wird.
    Ich wünsche Ihnen, ihrer Familie und den Lesern schöne Weihnachten und ein friedliches Jahr 2018.

  4. Exzellente Analyse! Mir aber ist bange, vor allem wegen dem neoliberalen “Modetrend”, den ich jetzt noch verschärfter sehe! Auch nicht wenige Burschenschafter werden diesen “Kurs” halten und noch mehr rechts abdriften !

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