Erdogans mörderische Kurden-Politik

Wäre ich nicht drei Flugstunden entfernt, ich nähme an den Kurden- Demonstrationen in Wien teil. Was diesem Volk derzeit angetan wird, zählt zu den größten Schweinereien der Nachkriegsgeschichte.

Die kurdischen YPG-Milizen haben auf syrischem Boden bekanntlich entscheidend dazu beigetragen, die Inkarnation des Terrors, den IS, zu besiegen – anders als die Piloten russischer und amerikanischer Flugzeuge, die zu diesem Zweck auf Knöpfe drückten, um Raketen auf IS-Stellungen (und meist auch Zivilisten) abzufeuern, haben sie ihr Leben riskiert.

Dafür bringt man sie jetzt um.

Obwohl sie dank ihres Verwaltungs-Geschicks in der Provinz Afrin eine einsame Oase wiederhergestellten Friedens einzurichten vermochten.

Unter unser aller Augen wird diese Oase derzeit von türkischen Kampfjets bombardiert, während türkische Tanks am Boden gegen die YPG vorrücken. Die Zahl der Toten ist noch ungewiss- die Zahl der Fliehenden geht jetzt schon in die Abertausende.

Ein blanker Vorwand für einen völkerrechtswidrigen Angriff

Die Rechtfertigung der Türkei für ihr Vorgehen lautet: Die YPK ist ein verlängerter Arm der von der EU und den USA als „Terror-Organisation“ eingestuften PKK.

Das ist blanker Vorwand: Die YPG–Milizen haben unabhängig von der PKK agiert – auch wenn sie einander unter den gegenwärtigen Umständen zweifellos näher kommen werden. Weder die EU noch die USA oder gar die UN haben die YPG–Milizen als Terrororganisation eingestuft. Schon Barack Obamas USA haben ihnen vielmehr im Kampf gegen den Terrorstaat IS Waffen geliefert, die sie bisher zu diesem und keinem anderen Zweck eingesetzt haben.

Die USA hatten das ausnahmsweise keineswegs absurde Ziel, ein kurdisch dominiertes Gebiet in Syrien als dauerhafte Absicherung gegen den IS zu akzeptieren, weil sich kurdisch dominierte Regionen schon im Irak als stabil und friedlich erwiesen haben.

Erdogan verbreitet demgegenüber seine durch keine empirischen Fakten gestützte Überzeugung, dass ein autonomes kurdisches Gebiet an der Grenze zur Türkei zwingend zu einem kurdischen Staat führend würde, der Ansprüche auf die von Kurden bewohnten Gebiete innerhalb der Türkei erheben wird.

Ein solcher Anspruch wurde zu keinem Zeitpunkt von kurdischen Führern erhoben. Selbst die PKK wollte immer nur mehr kurdische Autonomie innerhalb der Türkei, die YPG hat sich dazu überhaupt nicht geäußert.

Erdogans Behauptung, er müsse die YPG in Afrin „ausmerzen“, um einem von ihr geplanten Angriff auf die Türkei vorzubeugen, entbehrt politisch jeder Grundlage und ist militärisch lächerlich.

Es handelt sich um einen völkerrechtswidrigen Privatfeldzug Erdogans gegen die kurdische Bevölkerung innerhalb Syriens, das ihn dazu in keiner Weise ermächtigt hat.

Am Anfang stand die Korruption

Es lohnt, sich die Genese dieses Feldzuges ins Gedächtnis zu rufen: Edogans Familie ist seit Jahren in einem gigantischen Korruptionsskandal verwickelt (unter anderem ging es auch um Geschäfte mit dem IS). Der AKP-Chef konnte das Verfahren, auf das alle Oppositionsparteien drängten, nur verhindern, weil die Türkei zu keinem Zeitpunkt eine wirklich unabhängige Justiz besaß und weil Erdogans AKP die Ansätze dazu im Wege ihrer absoluten Mehrheit im Parlament erstickte.

Doch 2015 kostete der Wahlerfolg der demokratische Kurdenpartei HDP, die sich unter ihrem charismatischen Führer Selahattin Demirtas voll zur Türkei bekennt, Erdogan diese überlebenswichtige absolute Mehrheit – er lief Gefahr, dass das Korruptions-Verfahren gegen seine Familie doch in Gang kam.

Worauf er die bis dahin bestens laufenden Verhandlungen um endgültigen Frieden mit der PKK – wie ihn insbesondere auch deren inhaftierter Führer Abdullah Öcalan anstrebte- von einem Tag auf den anderen abbrach und ein Attentat, mit dem die PKK nichts zu tun hatte, zum Vorwand dafür nahm, der PKK erneut den totalen Krieg zu erklären. Wohl wissend, dass es nicht besseres gab, um das „Nationalgefühl“ der Bevölkerung soweit hoch zu putschen, dass die Kurdenpartei bei den sofort angesetzten Neuwahlen wieder unter jene zehn Prozent sank, die ihn die absolute Mehrheit gekostet hatten.

Die USA lassen die YPG im Stich

Indem er so agierte und im Irak wie im eigenen Land wieder massive gegen die Kurden vorging, provozierte er tatsächlichen Gegenterror der PKK – den er jetzt für sein weiteres Vorgehen gegen die überhaupt nicht beteiligte YPG nutzt.

Wie nicht anders zu erwarten, lässt Donald Trump deren Milizen jetzt im Stich: Die Menschen, die am energischsten und wirksamsten und erfolgreichsten gegen “Terror“ vorgegangen sind, sind seither dem Raketen-Terror des militärisch wahrscheinlich stärksten Nato-Landes nach den USA ausgesetzt.

Sebastian Kurz` politischer Instinkt in Bezug auf die FPÖ mag dürftig sein, bezüglich der Türkei Erdogans lag er zu hundert Prozent richtig, als er den Abbruch der Verhandlungen mit der EU forderte.

Ein „Kurdenstaat“ entspräche durchaus dem Völkerrecht

In Wirklichkeit wäre es angemessen, wenn die EU ihre Türkei-Politik sogar grundsätzlich überdächte. Vielleicht ist es sinnvoll, wenn sie im Sinne Barack Obamas die Autonomie kurdischer Gebiete im Irak und in Syrien fördert und fordert? Denn gemessen an ihrer Umgebung herrschen in den von Kurden dominierten Gebieten die mit Abstand friedlichsten, liberalsten Zustände und vermögen sogar die unterschiedlichen Religionen miteinander auszukommen.

Ein „Kurdenstaat“ zwischen Syrien und Irak auf der einen und der Türkei auf der anderen Seite ist in Wirklichkeit ein nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker völkerrechtlich durchaus legitimes Verlangen – eine abgesicherte Autonomie scheint mir realpolitisch weit mehr Vor- als Nachteile zu haben. Jedenfalls bin ich nicht sicher, ob ich mich dort nicht wohler als in der aktuellen Türkei fühlte.

 

3 Kommentare

  1. s.g. Hr. lingens, absolut Ihrer Meinung. der Ordnung halber: jeder von uns kann seinen teil dazu beitragen, diese Thema nicht elegant vom Tisch zu wischen. wir haben in unserer Firma nach reiflicher Überlegung ALLE Geschäftskontakte zu türkischen firmen auf Eis gelegt, nachdem Hr. Yücel inhaftiert wurde. Weiters lehnen wir jede geschäftliche Zusammenarbeit mit türkischen firmen dazu ab (immerhin haben wir wöchentlich einige diesbezügliche anfragen). wir verweisen in jeder Ablehnung explizit auf den politischen Hintergrund hin, da wir in unserer Firma (zum Glück herrscht hier Konsens) ohnedies aus grundsätzlichen Überlegungen keinerlei Geschäfte in Ländern tätigen, die einen (freilich: subjektiv) aus unserer Sicht einen problematischen Umgang mit den Menschenrechten haben. ich denke, das das einen nicht zu unterschätzenden Druck ausüben könnte, wenn hier etwas mehr Zivilcourage vorherrschen würde, leider höre ich immer wieder: das trauen wir uns nicht so auszusprechen, das könnte Probleme bringen.

  2. Auch wenn es nicht unmittelbar mit dem Kurden-Thema zu tun hat, hat es doch irgendwie damit zu tun.
    Dieser Artikel beweist, dass immer mehr “Gutmenschen” auch “bei uns” die Dinge klarer sehen:
    https://www.sn.at/kolumne/kollers-klartext/die-sorge-wurde-salonfaehig-23802232
    Leider gibt es – wie im (Extrem)Rechten Lager – auch Links-Grüne-Ewig-Gestrige.

    Nehmen wir bitte zur Kenntnis, dass wir “die Welt” nicht retten (Weltfrieden schaffen, Überbevölkerung stoppen, usw.,usf.) können. Schauen – und von mir aus beten – wir, dass es bei uns friedlich bleibt. Und achten wir peinlich darauf, wen wir zu uns lassen …

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