Deutschland als Sprengmeister der EU

Soviel Tüchtigkeit samt asketischer Lohngestaltung hält die beste EU nicht aus. Die Italiener sind auf dem Weg Griechenlands.

Die EU steht im Banne des Handelskrieges mit den USA. Ich glaube, dass sie diesen Krieg dank vergleichbarer Potenz leichter überstehen wird, als die Entwicklung in Italien. Denn die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone befindet sich auf dem griechischen Weg: Ihr innerer Zustand wird sich weiter verschlechtern, die Schulden werden weiter steigen.

Weil Italiens politische Verhältnisse chaotisch sind, so erklärt es die “Frankfurter Allgemeine Zeitung”. Ich behaupte weil die zentrale Ursache für Italiens zentrales Problem außerhalb Italiens liegt. (Obwohl auch ich Italiens politische Verhältnisse für chaotisch und die Korruption für gespenstisch halte.)

Den Widerspruch des EU-Spar-Paktes habe ich schon so oft ausgeführt, dass ich ihn diesmal nur streife: Man kann denkunmöglich mehr verkaufen, als eingekauft wird. Wenn die Einkäufe von Konsumenten und Unternehmen stagnieren, darf (kann) nicht auch noch der Staat sie drosseln. (So der führende bürgerliche österreichische Ökonom Erich Streissler.)

“Deutsche Autos- die mit Abstand besten”

Hier aber will ich begründen, warum Italiens Wirtschaft schon davor erfolglos sein musste: Weil Deutschlands Lohndumping Norditaliens durchaus leistungsfähige Industrie sukzessive ihre Konkurrenzfähigkeit gekostet hat.

Konfrontiert man die Deutschen mit diesem Vorwurf, so ist ihre Reaktion, von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bis zum Stammtisch die gleiche: Deutsche Löhne wären (gar im Vergleich zu italienischen) doch stets hoch gewesen. (Etwa in der Autoindustrie sogar die höchsten weit und breit.) Wenn deutsche Waren (Autos) dennoch mehr als andere gekauft würden, habe das einen einzigen Grund: Sie seien eben die mit Abstand besten.

Das stimmt weitgehend. (In deutschen Auto-Test sogar immer.) Aber es beschreibt nur die halbe Wahrheit: Erstens stecken- etwa in einem BMW – nicht nur Teile, die hochentlohnte BMW-Fachkräfte montieren, sondern auch die zahlloser Zulieferer, deren Lohnniveau keineswegs das höchste weit und breit ist. Zweitens und vor allem kommt es darauf an, wie viel Stück einer Ware pro Stunde auf einer Produktionsanlage gefertigt werden können. Der Deutsche, der an seiner Maschine 100 Werkstücke zum hohen Stundenlohn von 70 Euro fräst, fertigt sie pro Stück billiger als der Italiener, der zum niedrigen Stundenlohn von 40 Euro an seiner Maschine nur 50 fräsen kann.

Es sind die “Lohnstückkosten”, nicht die “Lohnkosten”, die über die Konkurrenzfähigkeit einer Ware entscheiden, sonst könnte die Schweiz mit den tatsächlich höchsten Löhnen nicht mit so vielen Firmen Weltmarktführer sein.

Deutschlands Löhne- “die nicht mehr gesteigerten”

Nun ist natürlich auch eine perfekte Produktionsanlage (hohe Produktivität) deutscher Unternehmen ein Verdienst der deutschen Volkswirtschaft, das ich ihr sofort zugestehe. Zu Recht ist es Deutschland immer am besten unter den großen Volkswirtschaften gegangen. Nur konnten die anderen- von Frankreich über Italien bis Spanien – bis ca. 1999 mithalten, indem sie eben die in absoluten Zahlen niedrigeren Löhne zahlten.

Bis Deutschlands Gewerkschaften unter Gerhard Schröder “Lohnzurückhaltung” zu üben begannen und die Löhne nicht mehr, wie bis dahin, im Ausmaß der steigenden Produktivität erhöhten. Ein Deutscher, dessen Maschine 103 statt 100 Kolben pro Stunde erzeugte, erhielt nicht mehr 3 Prozent mehr Lohn. Ein Franzose oder Italiener, dessen Maschine um 3 Prozent mehr produzierte, sehr wohl.

Deutschland, das sonst so penibel auf die Einhaltung von EU-Vereinbarungen pocht, verstieß damit gegen deren ökonomisch wichtigste: das gemeinsame Inflationsziel von 2 Prozent im Jahr. Denn die Basis ökonomisch sinnvoller Inflation ist die dem Produktivitätsfortschritt angepasste Lohnsteigerung.

Deutschlands immer größerer Lohnstückkosten-Vorteil…

Über Jahre unterlassen bescherte sie Deutschland einen immer größeren Lohnstückkosten-Vorteil, der, je nach Land bis zu 20 Prozent (gegenüber Frankreich) erreichte. In diesem Ausmaß erhöhte sich Deutschlands Konkurrenzfähigkeit seit etwa 2001 auf allen Märkten.

Wobei hinzutrat, dass Deutschlands Konsumenten immer weniger der mehr produzierten deutschen Waren selbst kaufen konnten, da ihr Lohnniveau (Deutschlands Kaufkraft) solcherart ständig zurückblieb. Deutschland konnte sie nur im Export loswerden – des öfteren, indem sich die Konsumenten anderer Länder immer mehr verschuldeten.

Eine Vorstellung vom Lohnstückkosten-Niveau eines Landes bekommt man wenn man sein BIP durch seine gesamten Löhne dividiert. Tut man das bei Deutschland und (etwa) Frankreich, so ergeben sich nebenstehende Kurven (1) und man sieht, wie sie in Richtung 20 Prozent auseinanderstreben. Vergleicht man sie mit der Entwicklung der Inlandskaufkraft, so sieht man, wie sie in Frankreich steigt, in Deutschland unten bleibt.(2) Die dritte Kurve schließlich zeigt die zwangsläufige Explosion der deutschen Exporte.(3)

… wird zum uneinholbaren Rückstand der Italiener

Egal wie miserabel die italienische Politik mit ihrer Korruption, ihren Fehlinvestitionen und ihrer Bürokratie auch sein mag – diese Differenz könnte sie auch dann nicht beseitigen, wenn sie plötzlich vorbildlich würde. Genau so wenig kann sie die sowieso niedrigen Löhne jetzt absenken, weil das nicht nur einen Aufstand provozierte, sondern auch den Heimatmarkt restlos zusammenbrechen ließe.

Nur Deutschland könnte dieses Problem gegenüber ganz Südwesteuropa lösen, indem es seine Löhne drastisch steigerte.

Doch dazu trifft es aus Überzeugung keine Anstalten. Nur bei OECD, EZB scheint man das Problem langsam zu ahnen – ihren Auswertungen (einer Studie der EZB) sind die angeführten Grafiken entnommen.

So wie Deutschland agiert, wird Italien unweigerlich zum zentralen EU-Problem werden.

PS: Im gleichlautenden Text in der Falter Ausgabe 11/2018 vom 14. März wurden in der Legende die Länder Deutschland und Frankreich irrtümlich vertauscht.

 

 

2 Kommentare

  1. Als einer, der mehrheitlich in Italien lebt, wundere ich mich immer wieder, wie selbst kluge und erfahrene Wirtschaftsfachleute und -Journalisten das Land immer nur aus deutsch(sprachig)er Sicht sehen und daher völlig falsch beurteilen. Italien ist ganz und gar nicht mit Griechenland vergleichbar. Und eben auch nicht mit Deutschland. Denn Italien ist nach wie vor eine Ansammlung von kleinen regional völlig unterschiedlichen und eben auch wirtschaftlich völlig verschieden erfolgreichen Regionen. Genau daran scheiterte ja auch Renzi, denn er wollte diese Autonomien einschränken.
    Was völlig richtig ist, Lohndumping schafft in Italien seit Jahren enorme Probleme, dazu die Parallelgesellschaften und die schwächelnden Banken.
    Trotzdem haben schon zu Montis Zeiten enorm viele internationale Investoren die Chancen Italiens richtig gesehen und das hilft gerade jetzt sehr, trägt zur Stabilität bei.
    Okay alles nur sehr kurz und oberflächlich, aber Italien geht es eigentlich viel besser, als es in ausländischen, vor allem deutschsprachigen Medien immer dargestellt wird.
    Dazu kommt das interne Gejammer der Italiener selbst, das so effektiv ist, wie das wienerische Sudern. Trotzdem funktioniert die Produktivität, Italiens Privatwirtschaft ist viel pünktlicher und effektiver als ihr Ruf. Ja selbst jeder Freccia oder Italo ist pünktlicher, schneller und qualitativ besser als die deutschen ICE’s.
    Das wahre derzeitige Problem sind – so wie fast überall – die Populisten. Und das ist nach dieser Wahl ein grösseres Problem als die Flüchtlinge selbst, denn die sind inzwischen gut verteilt und man merkt sie kaum mehr. Doch die Diskussion wird brav geschürt, weil sie von den anderen Problemen so praktisch ablenken. Wenn also jetzt keine stabile Regierung zustande kommt, dann gibt es erstmals tatsächlich ein Problem.
    Aber vielleicht findet sich ja dann wieder eine Regierung wie unter Monti. Denn auch sowas kann eigentlich nur Italien.
    LG
    Helmut O. Knall

  2. Ich zitiere Prof. Lord Ralf Dahrendorf aus einem Interview mit DER SPIEGEL im Jahr 1995: “Die Probleme in Frankreich zeigen, daß die Beitrittsbedingungen, die von den Deutschen gewollt und durchgesetzt wurden, andere Länder in große Schwierigkeiten stürzen… Das Projekt Währungsunion erzieht die Länder zu deutschem Verhalten, aber nicht alle Länder wollen sich so verhalten wie Deutschland. Für Italien sind gelegentliche Abwertungen viel nützlicher als feste Wechselkurse, und für Frankreich sind höhere Staatsausgaben viel sinnvoller als starres Festhalten an einem Stabilitätskriterium, das vor allem Deutschland nützt.”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.