Viel Tuch vorm Kopf

Zu den positiven Überraschungen zählt, in welchem Ausmaß der bürgerliche Kurier seine Unabhängigkeit gegenüber der türkis-blauen Regierung bewahrt hat:

Braune Entgleisungen werden aufgelistet, Wirtschaftsdaten korrekt interpretiert, und Augenauswischereien wie Straches geplantes „Kopftuchverbot“ in Kindergärten und Volksschulen, von Chefredakteur Helmut Brandstätter als solche bezeichnet und präzise begründet: Das Kopftuch wird muslimischen Mädchen allenfalls ab der Menstruation vorgeschrieben. Die dafür aus dem Koran abgelesene Begründung ist für Brandstätter so dürftig und mittelalterlich wie für mich. Wenn ein Kopftuchverbot Sinn haben soll – und Brandstätter kann ihm wie ich eine Menge abgewinnen – dann muss es für alle Schulen bzw. den gesamten „öffentlichen Raum“ gelten. Denn nur so ist es vielleicht auch vor dem Europäische Gerichtshof – der die Strache-Lösung mit Sicherheit kippte – erfolgreich zu begründen, indem man argumentiert, dass man in Befolgung der gebotenen Trennung von Kirche und Staat, grundsätzlich keine religiösen Symbole im öffentlichen Raum zulässt.
Dann freilich hat auch keine Kippa, keinen Turban und natürlich kein Kreuz dort Platz.

„Mittelalterlich“ kann auch das Christentum sein

Das freilich hielten Sebastian Kurz wie H.C. Strache für ein Sakrileg, wie wohl die Verfassung eben diese Trennung vorschreibt. Denn das Christentum ist für sie natürlich etwas vollständig anderes als der Islam: Auch Menschen, die – wie ich oder meine Kinder- wenig damit anfangen können, haben dem Kreuz selbstverständlich in jedem zweiten Schulzimmer die Ehre zu erweisen, die Strache und Kurz für geboten halten.
Die Kronenzeitung, die sich wie Strache und Kurz als Repräsentantin des wahren Willens des Volkes sieht, hat noch gegen jeden Politiker, der das Kreuz aus der Schule entfernt wissen wollte, einen Kreuzzug gestartet. Das Wissen, dass das Christentum vor nicht allzu langer Zeit um nichts weniger mittelalterlich funktioniert hat, als in manchen –keineswegs allen- Breiten der Islam, wird an Schulen so wenig gelehrt, wie es Kurz oder Strache zu schätzen wissen. Die Forderung nach einem Ethik-Unterricht grenzt an Ketzerei.
Davon, dass „gelebtes Christentum“ bis heute in vielen US-Bundesstaaten verbietet, die Evolutionstheorie zu unterrichten, ist hierzulande in der öffentlichen Diskussion nie die Rede – dafür täglich davon, dass es Muslimas in einer Reihe von Staaten verboten ist, ihr Haar offen zu tragen.
Dabei fällt mir schwer, zu entscheiden, welches der beiden Verbote mittelalterlicher ist.
In Wahrheit kämpfen auch in den angeblichen aufgeklärten Staaten mittelalterliche Weltanschauungen gegeneinander – es gibt leider tatsächlich Samuel Huntingtons Kampf der Kulturen.

7 Kommentare

  1. Die religioese Indoktrination und Absonderung einzelner Gruppen von anderen schon bei Kleinkindern ist abzulehnen. Das gilt fuer das Kopftuch im Kindergarten genauso wie fuer andere Symbole. In Wien sieht man juedische Buben im Alter von vielleicht 3 Jahren mit Kippa und Schlaefenlocken. Das muesste genauso abgelehnt werden wie muslimische Kopftuecher.

  2. dass der EUG das kippen würde, stimmt nicht, sonst könnte frankreich nicht das verbot seit 10 jahren in allen schulen haben. das verbot nämlich aller explizit religiös konnotierter Kleidung. Egal welcher Religion. Dort gilt es nur für den Schulbereich. Nicht für Universitäten oder öffentlichen Raum. Aber selbstverständlich wird strache/kurz nicht damit durchkommen, wenn das nur für eine religion gälte.

  3. Der Kurier war und ist für mich ein Qualitätszeitung.
    „Mittelalterlich“ – das Christentum? Ja, oft, leider. Menschen geben allzu gerne der Versuchung nach, ihre Machtbefugnisse zu überdehnen. Mein Christglaube (ich wurde persönlich nie enttäuscht von der Kirche) blickt auf Adolf Holl, Martin L. King, Mandela, Jägerstätter, Axel Corti, ebenso auf Ghandi und Ibrahim Rugova (o. Glaube) und auf Menschen in Afrika, der nicht nur ihre eigenen Kinder ernähren, sondern auch noch weitere, die elternlos geworden sind. Und auf den Papst, der auch Frauen, einem Buddhisten und zwei Moslems die Füße wusch.
    Das betrachtend sage ich: das heutige Christentum ist vielerorts das beste Christentum das es je gab. Viel gelebte Barmherzigkeit. Und wer heute hier in die Kirche geht, tut das (in der Regel) freiwillig. Wie viel noch könnte man reden über einen modernen Glauben, das Thema wird kommen, denke ich. Nur selten hört man so kluge Aussagen wie die Selbstverständlichkeit, die Anton Zeilinger vor kurzem aussprach: Wissenschaft und Religion sind zwei Sphären, die einander zwar in uns begegnen und überschneiden, aber als solche getrennte Bereiche sind, die inhaltlich NICHTS über den je anderen Bereich sagen können. (Etwa über historische Vorgänge und Details der Religion schon, aber nicht über geglaubte, spirituelle Inhalte.)

  4. ANM
    Dann freilich hat auch keine Kippa, kein___en Turban und natürlich kein Kreuz dort Platz.

    ANM zum Blog: Sie vergeben das Schlagwort “Allgemein” bei vermutlich allen Artikeln, bzw. löschen es nicht (es ist voreingestellt). Deswegen erscheint es als das größte Schlagwort – ich vermute, das ist keine Absicht?

  5. Wenn man nichts dagegen unternimmt, kommt eben alles so, wie es kommt. Jetzt ist es – leider – zu spät. Nur sollte niemand – nach viel Jahren – fragen, wie und warum es dazu kommen konnte.

    Kurz zusammengefasst: Die Roten / Linken waren in vielen Ländern Europas lange Zeit am Ruder, sie haben es aber leider verschissen …

  6. Ja, der Kurier gehört auch für mich zu den Qualitätszeitungen in Österreich.
    Nein, es ist nicht alles gleich. Man kann die evangelische oder die katholische Kirche nicht mit dem Islam vergleichen. Es sind nicht alle Religionen gleichermaßen problembehaftet. Auch als Konfessionsloser gestehe ich der katholischen Kirche zu, dass sie heutzutage – also nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil – nicht mehr dieses Monster ist, das sie jahrhundertelang gewesen ist.
    Während die christlichen Kopten (ägyptische Ureinwohner) fürchten müssen von islamischen Fanatikern in die Luft gesprengt zu werden, werden in Österreich moslemische Familien in katholischen Pfarrhöfen aufgenommen und der katholische Pfarrer (Pater Clemens) regt sich auf, wenn eine moslemische Familie von Österreich nach Kroatien zurückgeschickt wird.
    Die Islamisierung Österreichs (1970: 22.000 Moslems, 2016 mehr als 700.000 Moslems) durch Einwanderung wird von vielen Österreichern abgelehnt. Die jetzige Regierung wurde von vielen Österreichern in der Hoffnung gewählt, dass die Islamisierung gestoppt oder rückgängig gemacht wird.

    PS: Es ist zur Zeit nicht geplant das Kopftuch in privaten muslimischen Kindergärten oder privaten muslimischen Volksschulen zu verbieten.

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