Wie man Karl Popper noch einmal aus Österreich vertriebe

Zu den wenigen Auszeichnungen, die mir in meinem Leben wiederfahren sind, gehörte die Freundschaft mit dem österreichisch-britischen Philosophen Karl Popper, der mich traf, so oft er in Wien war und zu dessen achtzigstem Geburtstag ich eine Laudatio halten durfte. 

Immerhin nannte der „Spiegel“ Popper den wichtigsten Philosophen des Jahrhunderts und Staatsmänner wie Helmut Schmidt zählten sein Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ zur Pflichtlektüre, weil sie klarstellt, welche Institutionen Rechtssaat und Demokratie wirksam vor autoritären Ideologien wie dem Kommunismus oder dem Faschismus schützen und worin das Wesen solcher Ideologien besteht.

Jemand, der Poppers Überlegungen in der Welt zu verbreiten sucht, ist der aus Ungarn stammende „jüdische“ Milliardär George Soros. Angesichts des aktuellen Flüchtlingsproblems plädiert er dafür, dass die EU in einem geordneten Verfahren innerhalb der Herkunftsstaaten jährlich 300.000 Menschen aufnehmen, auf einem sicheren Weg nach Europa bringen und diese Weise die Kontrolle über ihre Grenzen wiedergewinnen möge. Für die bessere Grenzkontrolle wie die Integration der Migranten sei mehr Geld aufzuwenden, das sich am Ende freilich rechne. Staaten, die Teile dieser 300.000 Migranten aufnehmen, sollten finanziell unterstützt werden, denn Aufnahme-Quoten gegen den Willen potentieller EU-Staaten seien weder durchsetzbar noch sinnvoll.

Technisch und argumentativ entspricht das ziemlich genau Vorschlägen die auch Sebastian Kurz vor zwei Jahren gemacht hat.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán nennte es einen Plan, Europa mit Flüchtlingen zu überschwemmen und hetzt seine Bevölkerung damit gegen Soros auf, finanziert der in Budapest doch eine Universität, die sich für Poppers „Offene Gesellschaft“ mit demokratischen Spielregeln einsetzt.

Diese Universität will Orbán aus begreiflichen Gründen dringend schließen.

Der Chef der Wiener FPÖ Johann Gudenus findet, dass Orbáns Vorwürfen gegen Soros durchaus begründet und berechtigt wären. Bundespräsident Alexander van der Bellen findet Gudenus` und damit Orbans- Argumentation lächerlich. Der zivilisierte Rest der Welt sieht darin die üble Kampagne eines autoritären Staatschefs gegen einen seiner letzten in Ungarn tätigen Kritiker unter der Ausnutzung antisemitischer Vorurteile und xenophober Ängste.

H.C. Strache sieht Gudenus` Argumentation durch „Fakten“ gestützt.

Sebastian Kurz ist „anderer Meinung“. Das ist es. Das ist Türkis-Blau, das ohne „Anpatzen“ auskommt. Das ist Österreich 2018. Ich glaube nicht, dass Karl Popper, wenn er noch lebte, dieses Österreich wieder besuchen wollte.

 

5 Kommentare

  1. Die große Frage, die ich mir stelle: Was passiert dann mit dem/der 300.001-ten?
    Mich würde Soros’ und Poppers Antwort darauf interessieren …

  2. Was würde Karl Popper wohl sagen, wenn er hörte, dass “unsere Exekutive” von “Fremden” ignoriert, Grenzen überrannt und rechtmäßige Abschiebungen nicht exekutiert werden (können) – und dass ein immer größerer Teil “unserer Bevölkerung” den Glauben und das Vertrauen in unseren Staat verloren hat? Und entsprechend – demokratisch – wählen …

  3. Wie so oft im Leben wird etwas anderes aus dem Guten.

    Beim “Gendern” stürzten sich Bürokrat/innen darauf und schufen “wichtig” eine kleine Nebenschauplatzhölle, aus der man mit Kopfschütteln flüchtet. Und selbstverständlich weitergendert, mit Augenmaß. Und aus den wunderbaren, immer gültigen Erkenntnissen eines Karl Popper – und vieler anderer in dieser Sphäre – wurde was?

    Ich mache hier einmal etwas Ungewöhnliches (falls Sie, Herr Lingens, das zulassen wollen), ich lasse die Frage jetzt offen. Vielleicht möchte jemand einmal selbst kurz darüber nachdenken. Meine Antwort auf diese Frage poste ich morgen. Die Frage lautet präziser gestellt: warum kamen die großartigen Überlegungen Poppers in der Jugend und großen Teilen der Allgemeinheit von heute NICHT an?

    1. Karl Popper hatte so eine ruhige, altväterliche Art. Lautere Gutmütigkeit schien mir seinen Charakter zu prägen. Und seine Worte? “Wir können unsere Ideen anstelle von uns selbst sterben lassen.” Oh, könnten wir das doch allgemein durchsetzen! Oder wie einfach ist das Wesen der Wissenschaft zu verstehen, wenn wir “Falsifizieren” als einen Grundmechanismus erkennen.
      Diese Gedanken gehören zu einem offenen Weltbild mit lebendiger Diskussion, zu einer angenehmen Lebens-Sphäre. Ich sehe einen direkten Zusammenhang zwischen “Wien, eine der lebenswertesten Städte der Welt” und dieser offenen Art des Diskurses. Ein Klima, in dem sich möglichst niemand ausgeschlossen fühlen soll.
      Nun der Schock: so ist das nicht mehr. Viele weniger Gebildete erleben sich als abgekoppelt und als nicht verstanden. Sie verstehen die Sprache derer “da oben” nicht zu mehr. Was ist passiert?
      Ich meine es nachvollziehen zu können. Ich höre Sätze wie “Die Dummen wählen jene, die ihnen schaden”, und dann reißt es mich so richtig. Die “Dummen”? Sind da jene Menschen gemeint, die nie Inhalte vor Augen hatten, wie sie mich von Kindheit an begleiteten: Kurier, Profil, Forum, hunderte Bücher, Radio, Fernsehen und viele Diskussionen? Und die wenig Zeit und Lust hatten, viel zu lesen? Diese Leute haben gearbeitet, nicht von allen Arbeitgebern gut behandelt, sie haben sich bemüht im Rahmen ihrer Möglichkeiten, und sie haben meinen Respekt dafür. Und dann höre ich Politiker und Politikerinnen, die scheinbar völlig vergessen haben, dass sie ihren “Arbeitgebern” manches erklären sollten. Wie sollen sie komplexe Zusammenhänge von selbst erkennen können?
      Was also tun? Verständlich mit ihnen reden.
      Ich bewundere, um zwei Beispiele zu nennen, Hugo Portisch und Gerti Senger. Beide formulieren ebenso verständlich wie auf höchstem Niveau, seit Jahrzehnten. Das ist segensreich – es tut so gut, grundlegend wichtige Dinge im Leben besser zu verstehen.
      Im Gegensatz dazu fühlen sich viele aktuelle Diskussionen an als “ein Reden unter uns”, in Blasen, in Kasten. Meine These: gerade wer das Privileg einer umfassenderen Bildung genoss, sollte die Verantwortung wahrnehmen, dieses Wissen verständlich weiterzugeben.
      Wie Sir Karl Popper: er schien immer auf der Suche nach größter Klarheit und Verständlichkeit.

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