Flüchtlinge: Bilanz eines “Gutmenschen”

Als sogenannter “Gutmensch” (ich werde dieser Kategorie zugezählt, weil ich zeitlebens Flüchtlinge in meine Wohnung aufgenommen habe) muss man zur Kenntnis nehmen, dass alle Parteien, die in der Migrationspolitik keine harte Linie verfolgen, bei Wahlen massiv Stimmen verlieren. In Österreich, das besonders viele Flüchtlinge aufgenommen hat, genauso wie in Frankreich, das besonders wenige aufgenommen hat. In Italien, wo zwar die meisten Flüchtlinge landen, nicht aber aufgenommen werden genauso wie in Deutschland, wo derzeit nur mehr wenige ankommen und dessen schrumpfende Bevölkerung Zuwanderung am ehesten vertrüge.

Die deutliche Mehrheit der Bevölkerung der EU will keine Zuwanderung. Am wenigsten die von “Wirtschaftsflüchtlingen”, die gemäß Genfer Konvention gar keine Flüchtlinge sind. Aber sie will auch so wenige Konventionsflüchtlinge wie möglich aufnehmen.

Die Mehrheit der Europäer und ihrer Regierungen will Europa zur “Festung” ausgebaut wissen- so sehr die Regierungschefs diese Bezeichnung vermeiden. Das muss ich zur Kenntnis nehmen.

Der große Stimmungswandel

Es war allerdings nicht sofort so- zu Beginn haben die “Gutmenschen” den Ton angegeben und wurden auch nicht als solche verspottet.

Jetzt geben Orban, Seehofer, Strache oder Kurz den Ton – in dieser Rangordnung – an. Der Ton irritiert mich dabei manchmal mehr als die von Kurz getroffenen sachlichen Entscheidungen. Dass ich in der EU einen Viktor Orban dulden muss, der Hilfe für ( in den Augen ungarischer Behörden) nicht asylberechtigte Flüchtlinge unter Strafe stellt, tut mir weh. Schließlich wäre ich in Ungarn womöglich bereits ein Verbrecher.

Am klarsten ist der mittlerweile eingetretene Stimmungswandel an Angela Merkel ablesbar. Sie besitzt bei der Bevölkerung wie in der CDU-CSU keine Mehrheit mehr. Nicht vielleicht, weil sie eine in meinen Augen katastrophale Wirtschaftspolitik betreibt, die geeignet ist, die EU zu sprengen und selbst in Deutschland desolate Verkehrswege, versagende Schulen und steigende Armut produziert, sondern weil sie eine menschliche Regung gezeigt hat: Als sie in Budapest tausende Verzweifelte, darunter Frauen und Kindern festhängen sah, erlaubte sie ihnen die Einreise.

Merkels offenkundiger “Fehler”

Mir wäre in Merkels Funktion zweifellos der gleiche Fehler passiert. Ich bin gegen “grausliche Bilder” nicht ähnlich resistent wie Sebastian Kurz.

Dennoch gebe ich zu, dass Merkel, nachträglich betrachtet, offenkundig einen Fehler gemacht hat: Millionen Verzweifelte in Afrika und Asien zogen aus ihrer Aktion bekanntlich den falschen Schluss, dass sie in Deutschland willkommen wären. Gleich ob sie unter Kriegen litten, keine Zukunft für sich und ihre Kinder sahen, hungerten oder im Sinne der Genfer Konvention verfolgt wurden, haben sich die Initiativsten unter ihnen auf den Weg nach Deutschland gemacht oder wollten wenigstens in Schweden oder Österreich Aufnahme finden. Die “Gutmenschen” dieser Länder haben ihnen durch ihre Hilfsbereitschaft einmal mehr den Eindruck vermittelt, willkommen zu sein – aber das zwangsläufige Chaos an den Grenzen hat schon damals den Pendellausschlag in die Gegenrichtung eingeleitet. Man muss zur Kenntnis nehmen: Derzeit sind sie höchst unwillkommen.

Die Grenzen des Möglichen

Auch als “Gutmensch” muss man zugestehen: Es ist weder möglich noch vorteilhaft, die 68,5 Millionen Menschen, die derzeit weltweit auf der Flucht sind, in der EU aufzunehmen. Nicht nur, weil deren Bewohner es nicht wollen, sondern auch weil man Flucht-Länder nichts Gutes tut, wenn sie ihre Initiativsten, meist am besten ausgebildeten jungen Leute verlieren.

Man muss daher, so meine ich, auch als “Gutmensch” schon heilfroh sein, wenn immerhin die am schlimmsten Verfolgten- “die Ärmsten der Armen” (Sebastian Kurz) in Europa Aufnahme finden.

Das bedingt, rein von den Zahlen her, dass Wirtschaftsflüchtlinge weitestgehend ausgesperrt bleiben müssen.

 Wer ertrinkt, kommt sicher nicht hier an

Ich muss Sebastian Kurz darin Recht geben, dass dieses Aussperren der “Wirtschaftsflüchtlinge” umso besser gelingt, je weniger von ihnen sich auf den Weg machen. Und es machen sich um so weniger auf den Weg, je weniger der berühmten “Pull-Faktoren” es gibt – je weniger attraktiv die Bedingungen sind, die sie erwarten- und je unwahrscheinlicher es ist, dass sie hier ankommen.

Wer ertrinkt, kommt sicher nicht hier an. In Wirklichkeit wird das zunehmend in Kauf genommen.

Allerdings führt kein Weg an Kurz´ Erkenntnis vorbei, dass umso mehr Menschen die Flucht über Meer wagen, je sicherer sie sein können, dass sie vor dem Ertrinken gerettet werden. Seine Behauptung, dass derjenige auf jeden Fall die Überfahrt wagt, der sicher sein kann, dass er damit im Falle seiner Rettung “ein Ticket in die EU” in Händen hat, ist unbestreitbar richtig. Zwar werden auch nach Einführung von “Anlandeplattformen” immer noch Menschen Schlepperboote besteigen, weil sie glauben, auf diese Weise dem Tod im Krieg oder dem Tod durch Verhungern zu entgehen, aber es werden deutlich wenige sein, wenn sie auf diesem Weg nicht die EU, sondern nur eine “Anlandeplattform” erreichen.

Die “Anlandeplattformen”, das muss einem auch als Gutmensch klar sein, reduzieren die Zahl derer, die ein Schlepper-Boot besteigen, vermutlich erheblich.

Anlandeplattformen sind durchsetzbar.

Es stimmt meines Erachtens nicht, dass die EU nicht in der Lage sein wird, die “Anlandeplattformen” in Nordafrika zu errichten. Mit genügend Geld kann man bei afrikanischen Staatschefs fast alles erreichen – notfalls indem man es ihnen persönlich übergibt. Mit genügend Geld kann man auch verhindern, dass in diesen “Anlandeplattformen” unerträgliche Zustände herrschen. Man muss es nur wirklich wollen.

Wenn dort allerdings automatisch Asylanträge gestellt und bewilligt werden können, ist das einmal mehr tatsächlich einer von Kurz´ “Pull-Faktoren”: Die Flucht übers Meer zu versuchen erhöhte dann für den Betreffenden nach wie vor zumindest die Wahrscheinlichkeit eines Asylverfahrens.

Mann muss “Anlandeplattformen” also wohl von jenen neu zu errichtenden Institutionen trennen, in denen man innerhalb afrikanischer Länder um Asyl – aber auch normale Zuwanderung- ansuchen kann. Diese Institutionen entsprächen dann weitgehend dem Vorschlag, den George Soros schon vor Jahren zur Lösung des Flüchtlingsproblems gemacht hat. Allerdings ist er darin davon ausgegangen, dass die EU jährlich eine Million Flüchtlinge auf diesem Weg aufnimmt.

Für Viktor Orban und Co ist das zweifellos undenkbar. Ich hingegen halte es angesichts einer Bevölkerung der EU von nach dem Brexit immer noch rund 440 Millionen Menschen für zumutbar. Wenn man ich mich auch dafür als “Gutmensch” verspotten lassen muss, muss ich es akzeptieren. Ich hielte es aber für das Ende einer glaubwürdigen Europäischen Wertegemeinschaft.

8 Kommentare

  1. S.g. Herr Lingens!
    Es ist schade, dass Sie immer vergessen, dass es auch einen weiteren Zusammenhang gbt, der vor allem Afrika betrifft: die zunehmende Hitze auf der Welt, die mit der Klimaproblematik zusammenhängt. Damit wird der Lebensraum in Afrika verringert (Wüste, …) und der Hunger vermehrt.
    Gleichzeitig wird die Wirtschaft destabilisiert durch die unnötigen Exporte der EU und USA, die die Kleinbauern ruinieren.
    Unglaublicherweise ist dasselbe auch in Europa zugange. Die Bauern werden mit dem Wirtschaftssystem überfordert und müssen die kleinen Betriebe aufgeben.

    Die Dinge hängen leider alle sehr stark zusammen.
    Da ist eine Gutmenschen-Debatte zu einseitig in diesem Multiversum an Zusammenhängen.

    Ich kann mir als momentane Konsequenz nur vorstellen: Schluss mit den Exporten der EU, wenn sie lokale Märkte zerstören. Gleichzeitig Vollgas gegen die Klimaerwärmung. Und ein klares Bekenntnis zur sozialen Martwirtschaft, die nicht ausgrenzt und Arbeitslose produziert, sondern ein soziales Netz für alle anbietet. Mit einem Schluss der Finzanzspielerei durch Finanztransaktionssteuern und ähnlichem (siehe das Buch: “Der Weg zur Prosperität” von Stefan Schulmeister), was bedeutet, das der Reichtum gerechter verteilt werden muss.
    Und alles in einer vorrübergehenden “Festung Europa”, damit die Paranoia zurückgeht und normales Denken und Handeln für Zukunftsinvestitutionen möglich wird.

    Möge uns der Spagat gelingen!

  2. Es geht gar nicht so um “Flüchtlinge”. Immer mehr Österreicher sind beunruhigt über die – stark – zunehmende Anzahl an “Ausländern”.

    Im bevölkerungsreichsten Bezirk Wiens (Favoriten) – mit 202 Tausend Einwohner (Wien mit 1,9 Mio., Graz mit 290 T und Linz mit 205 T) – ist der “Ausländeranteil” 44%! Wenn man berücksichtigt, dass auch sehr viele “Alte” (Österreicher) da leben, die sich kaum mehr vermehren, kann man sich ausrechnen, wie sich die Bevölkerung in ein, zwei Jahrzehnten zusammensetzen wird. Ein Blick in viele Wiener Schulen zeigt es deutlich.

    Wen wundert es daher, dass die Wiener – aber auch die österreichische – Bevölkerung immer weiter nach “rechts” driftet?

    Jetzt kann einem diese Entwicklung egal sein – oder sie sogar gut heißen. Aber eines darf man nicht vergessen: Politische Systeme wie der Sozialismus, Kommunismus und die Hitlerei sind nicht aus dem Nichts entstanden. Es kommt daher, wie es kommen wird. Ich weiß schon, dass einige selbst hochgebildete Gutmenschen das anders sehen …

  3. Ich fürchte, es ist nicht nur das Ende einer glaubwürdigen Europäischen Wertegemeinschaft sondern auch das Ende einer Illusion, nämlich jener vom solidarischen (barmherzigen) Menschen.

  4. Vor Wirtschaftsflüchtlingen bräuchte man keine Angst zu haben, so lange sie das System nicht überfordern. Es gibt andere Dinge, vor denen die Angst nachvollziehbar ist, wie etwa der importierte Antisemitismus, der zu recht von Arik Brauer thematisiert wurde. Dieser versteckt sich nämlich nicht in abgeschlossenen “Buden”, sondern agiert offen auf der Straße. Dass er noch nicht so stark wahrgenommen wird, liegt daran, dass hierzulande nur ganz wenige Arabisch verstehen. Brauer ist einer davon.
    Ein anderes Faktum ist auch, dass überall dort, wo Islam Mehrheit ist, es weder Religionsfreiheit, nocht Minderheitenrechte gibt. Die Religion ist zugleich Staatsideologie und die meisten Menschen aus diesen Ländern haben diese bereits im Kindergartenalter eingetrichtert bekommen. Ob es möglich ist, diese furchtbare, menschenverachtende Ideologie wieder aus den Köpfen dieser Menschen raus zu bringen, daran haben viele zurecht ihre Zweifel.
    Womit die meisten “Gutmenschen” (ich verwende ungern diesen Begriff) ihr Problem haben ist, dass sie selbst manchen Überzeugungen nachhängen, die sich längst als so falsch erwiesen haben, wie der Kreationismus oder das geozentrische Weltbild.
    Dazu zählt etwa der Glaube, die Menschen wären von Natur aus friedfertig und gewaltfrei.
    Wenn man dann feststellt, dass die Realität doch eine andere ist, als die Wunschwelt, die man sich über viele Jahrzehnte ausgemalt hat, dann kann man leicht in die Krise kommen, welche man nur durch kritisches Hinterfragen der eigenen Position meistern kann, nicht jedoch durch stures nicht Wahrhaben wollen. Letzteres war lange genug der Wind in die Segel der Rechtspopulisten.

  5. S.g.Hr. Lingens, emotional und in einigen Teilbereichen bin ich ganz bei Ihnen, vor allem bei dem berechtigt zynischen Einwurf, Merkel hätte nicht wegen Ihrer wirtschaftspolitischen Fehlleistungen Ihren Rückhalt verloren, sondern wegen einer menschlichen Entscheidung. Wenn das so ist, und ich denke es ist so, dann ist das wieder einmal ein schlagkräftiger Beweis, daß Politik ein irrationales Geschäft ist und man sich dieser Irrationalität ( zumindest als Politiker ) auch stellen muß.

    Nicht ganz bei Ihnen bin ich bei der Trennung in Gut- und weniger Gutmenschen ( man möge mir diesen Seitenhieb verzeihen ), weil ich selber sehen mußte, daß die aggressivste Gruppe in unserem Land derzeit die selbsternannten Gutmenschen sind, die sich jeder kultivierten Gesprächsform entziehen, weil sie der Ansicht sind, Ihre ( teilweise !! ) emotional verständliche Haltung sei die einzig richtige und daher nicht argumentierbar.

    Die teilweise nicht vorhandene, teilweise massive Einschränkung der persönlichen Freiheit durch das massive Auftreten von Migranten ( bestes Beispiel: HPT-Bahnhof Linz, abends, ein Spiessrutenlauf ) spaltet verständlicherweise die Meinung in diesem Land. Dieser Spaltung darf man sich nicht entziehen, indem man die andere Meinung ex ante als moralisch verwerflich abqualifiziert. Das ist aber sehr lange und sehr lautstark passiert, dementsprechend deutlich ist jetzt die Meinungsäußerung ( auch mittels Wahlverhalten ).

    Ich muß merken, daß sogar explizit links Orientierte inzwischen eine Terminologie verwenden, die vor 2-3 Jahren noch sofort eine Einordnung ins deutlich rechte Lager ausgelöst hätte.

    Fakt ist, daß ich selber hier in unserem kleinen Ort merken muß, daß das Verständnis ( auch für Flüchtlingsfamilien ) immer mehr schwindet, weil sehr wenig Bereitschaft zu bemerken ist, sich aktiv in diese Gesellschaft zu integrieren, wenn jemand einige Jahre in Österreich ist und ( trotz aktiver Hilfen ) immer noch nicht Deutsch spricht und immer noch keine Arbeit animmt, weil diese Arbeit eben nicht sehr viel bringt im Vergleich zur doch sehr großzügigen Sozialhilfe, dann kann man schon morgens beim Bäcker hören, daß es besser wäre, wenn “die da” sich wieder auch den Weg zurückmachen würden. ( Ich habe jetzt bewußt eine möglichst kultivierte Wortwahl vorgezogen ).

    Wenn es nicht gelingt, diejenigen Migranten zu einer aktiven Integration zu bringen, dann wird das Konzept scheitern und die politischen Spannungen werden nicht abnehmen, sondern zunehmen.

    Mfg Hufnagl

  6. Die Bevölkerung Afrikas hat sich / wird sich in 100 Jahren verzehnfachen!
    Da sich die sehr hohe Geburtenrate nur leicht reduziert, es eine besserer medizinischer Versorgung (von niedrigstem Niveau) gibt, werden dort immer mehr Menschen leben – und ein Teil von ihnen will / wird nach Europa streben.

    Jedem “Gutmenschen” sollte das bewusst sein. Oder sind Gutmenschen einfach “Dummmenschen”? Das “Einzelschicksal” mag wirklich dramatisch sein. Aber wie kann man ganze – fremde – Bevölkerungen “retten”? Kann man das überhaupt? Soll man das? Will man das? Und wie?

    Ich vermisse – pragmatische – Antworten von der Intelligenzia …

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