Salome zwangssterilisiert

Als Vater eines Schauspielers habe ich meiner Familie eigentlich versprochen, nie einen Regisseur zu kritisieren. Daran habe ich mich auch seit Bestehen dieses Blogs gehalten. Aber nachdem ich gestern auf ORF 2 die “Salome” der Salzburger Festspiele gesehen habe, möchte ich den 11 Minuten und 43 Sekunden langen Applaus und eine erste jauchzende Kritik der “Kleinen Zeitung” zumindest relativieren.

Im ersten Moment war der Applaus nämlich höchst verhalten. Erst als einige besonders heftig Applaudierende das Publikum überzeugt hatten, dass es einer “bedeutenden” Inszenierung beigewohnt hatte, schloss es sich diesem Urteil, wie in Österreich fast immer, lautstark an.

Musikalisch war es tatsächlich ein grandioser Abend. Besser differenzierter und zugleich impulsiver (erotischer) als Franz Welser – Möst und die Wiener Philharmoniker kann man die herrliche Musik Richard Strauss´ wahrscheinlich nicht interpretieren, besser als Asmik Grigorian die Titelpartie wahrscheinlich nicht singen. Auch alle anderen Sängerinnen und Sänger waren hervorragend – allenfalls John Daszak als Herodes hat gelegentlich gepresst.

Aber Oper ist eben auch Schauspiel.

Die provinzielle Abneigung gegen alles was provinziell wirken könnte

Regisseur Romeo Castellucci will ich als Bühnenbildner und Kostümbildner großes bildnerisches Talent, ansonsten aber vor allem Mut bescheinigen. Die durchscheinend grau verhängte Felsenreitschule war ein guter Hintergrund für die wenigen sich umso klarer abhebenden Figuren. Ihre fast durchwegs zur Hälfte rot geschminkten Gesichter wirkten gefährlich und interessant. Die aus dem Boden wachsende dunkle Scheibe, in der der Prophet Jochanaan langsam sichtbar wird, wirkte mystisch. Und die nackte auf einem Sockel zur Bondage verschnürte Salome ergab ein beinahe schönes, spannendes Bild.

Nun aber zum Mut. Es gibt bei manchen Salzburger Inszenierungen etwas, was ich die zutiefst provinzielle Abneigung gegen alles nennen möchte, was dem Publikum als provinziell – weil gewohnt oder gar konservativ- erscheinen könnte. Dem entspringt der krampfhafte Wunsch, ein Stück oder eine Oper jedenfalls ganz anders als erwartet und ganz anders als bisher zu inszenieren.

Ziemlich große Regisseure wie Ingmar Bergmann hatten diesen Wunsch beispielsweise nie. Andere, wie Peter Sellars bei seiner Salzburger “Clemencia di Tito” transponierten Stoffe unter Beibehaltung ihrer inneren Substanz auf brillante Weise in die Gegenwart. Castellucci hingegen inszeniert – zumindest in diesem Fall- das Gegenteil dessen, was “Salome” ausmacht: Er hat es fertig gebracht, eine zutiefst erotische Handlung völlig der Erotik zu entkleiden. Das ist tatsächlich eine Kunst.

Salome, die in sich die intensive Sexualität ihrer Mutter aufkeimen spürt, bei deren Anblick die Männer den Verstand verlieren und sich umbringen, wenn sie nicht erhört werden, nach der ihr Stiefvater Herodes voll verbotener Begierde lechzt, ist in dieser Inszenierung ein ungelenkes Mädchen mit Bubikopf, das sich verschnüren lässt, statt Herodes mit einem Schleiertanz derart zu verführen, dass er ihr verspricht, ihr Jochanaans Kopf auf einem Silbertablett zu servieren.

Selbst die Verschnürung wirkt nicht sadomasochistisch, sondern asexuell.

Sinnlichkeit war nur mit geschlossenen Augen spürbar

Dass Salome Jochanaan, gerade deshalb so heftig begehrt, weil er die Triebhaftigkeit ihrer Mutter (die auch die ihre ist) so heftig als verwerflich und hurös anprangert, kommt nie heraus – daher auch nicht ihre Wut, von ihm abgewiesen zu werden.

Nur einmal, als sie am Boden hockt und wie ein kleines Kinde trotzig zum dritten Mal widerholt, dass sie seinen Kopf haben will, gibt es eine Übereinstimmung ihrer Darstellung mit der Vorlage.

Dieses mangelnde Verständnis für eine Hauptfigur setzt sich bei Herodes fort: Der war laut Vorlage ein orientalischer Despot – es ist undenkbar, dass er genau so gekleidet war, wie seine Untertanen, dass er sein Gesicht in der gleichen Form hinter roter Schminke verbarg und auf einer Ebene mit ihnen agierte.

Wenn Castellucci, wie er sagt, vor allem Machtverhältnisse aufzeigen wollte, ist ihm das gründlich misslungen. Und zwangsläufig entbehrt HerodesBeziehung zu Salome jeder erotischen Spannung.

Nur wenn man die Augen schloss, konnte man die Sinnlichkeit dieser Oper genießen.

 

2 Kommentare

  1. Großartige Sprache Herr Lingens, ein Vergnügen zu lesen, ganz unabhängig vom Inhalt, der übrigens nachvollziehbar ist – Danke!

  2. Zu Ihrer Feststellung…. “Erst als einige besonders heftig Applaudierende das Publikum überzeugt hatten”… möchte ich Ihnen gerne Folgendes mitteilen:
    In meiner Studentenzeit Anfang der 70er Jahre verdiente ich nebenbei Geld als bezahlter Claqueur in der Wiener Staatsoper mit zwei anderen Studenten. Wir wurden von Tenören bzw. Sopranistinnen bezahlt und unsere Aufgabe war folgendermaßen: Ich selbst befand mich am Stehplatz in der letzten Reihe der Galerie, der zweite Claqueur war positioniert am Stehplatz im Parterre, der dritte am Stehplatz beim Balkon links vorne, “ausgestattet” mit einem Blumenstrauß in einer Sporttasche.
    Bei ganz bestimmten Arien begann ich oben von der Galerie aus zu klatschen mit “Brava-Rufen”, der zweite am Stehplatz Parterre setzte daraufhin ein und auch der dritten am Balkon begann zwei Sekunden später auch zu applaudieren.
    Wichtig war es, dass der Applaus von hinten nach vorne “aufgerollt” wird, also beginnend von mir in der allerletzten Reihe auf der Galerie.
    Wir haben uns eine eigene Klatschtechnik mit hohlen Händen eingeübt, um eine entsprechende Akustik zu erzielen.
    Am Ende der Vorstellung griff der Balkonsteher dann in seine Sporttasche und warf den Blumenstrauß auf die Bühne zu unserer Auftraggeberin, eine Sopranistin.
    Um meine Hände zu schonen wartete ich den Applaus ab und als dieser leiser wurde setzte ich wieder ein um die “Begeisterung” zu verlängern, das Spiel begann also wieder von vorne.

    Besonders begehrt war unsere Claqueurtruppe bei Premieren, da wurden wir auch sehr gut bezahlt. Da erhielt ich von meinem Auftraggeber sogar einen Sitzplatz im Parterre in den vorderen Reihen, um bei bestimmten Situationen “aufzuspringen” und somit ein “ständig ovations” zu initiieren, was mir auch immer gelungen ist.

    Wenn ich also jetzt von “Begeisterungsstürmen” in der Oper oder bei Festspielen lese, dann habe ich als Wissender dafür nur ein müdes Lächeln über…..

    Begeisterung kann man sich kaufen, ich lächle deshalb auch immer bei sogenannten Polit-Talkrunden, wo nach einem bestimmten Textbaustein ein Teil des Publikums plötzlich zustimmen klatscht.

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