Nur Armin Wolf ist Sebastian Kurz gewachsen

Es ist leider so: Armin Wolf ist unter den männlichen Interviewern des ORF der einzige, der redegewandte Politiker herausfordern kann. Hans Bürger ist höflich, sympathisch, weiß viel – aber  er vermag nicht zu konfrontieren.  Noch weniger vermag das Nadja Bernhard unter den potentiellen weiblichen Interviewerinnen.

Deshalb war das Sommergespräch mit Sebastian Kurz eine herbe Enttäuschung: Kurz durfte dozieren und tat das erwartungsgemäß blendend. Kaum etwas – außer seiner klaren Stellungnahme für ein EU-Verfahren gegen Orbans Ungarn – war neu und bemerkenswert.

Die Peinlichkeit zeitraubender Karikaturen

Der ORF muss meines Erachtens das gesamte Format überdenken:

  • Eine Stunde ist zu wenig, um auf eine Vielzahl von Fragen einigermaßen ernsthaft einzugehen. Wer sich überhaupt für ein “Gespräch” interessiert, ist auch bereit, anderthalb bis zwei Stunden zuzuhören.
  • Völlig widersinnig ist es, innerhalb von nur einer Stunde Interviews mit Passanten einzublenden, die unmöglich repräsentativ sein können. Und peinlich, Zeit für die so ziemlich schlechtesten Karikaturen zu verschwenden, die mir hierzulande untergekommen sind.

Unterlassene Fragen zur Religion

Die konkreten einleitenden Fragen über Kurz` religiöses Verhalten waren zwar  nicht uninteressant, haben aber einmal mehr zu viel Platz eingenommen. Ich habe mit Freude erfahren, dass er sich an das Urteil des Verfassungsgerichthofes hält, die Beziehung Homosexueller der Heterosexueller gleichzustellen, und dass er Religion ansonsten-zu Recht – als Privatsache ansieht. Was an ihr vielleicht nicht nur privat ist, wurde er leider nicht gefragt:

  • Warum gibt es weiterhin keinen Ethik-Unterricht an den Schulen? Obwohl der die Chance böte, die Verwandtschaft des Islam zum Christentum aufzuzeigen und beider Anspruch auf den Alleinbesitz der Wahrheit zu relativieren. Obwohl dringend auch die Aufklärung besprochen werden könnte und müsste.
  • Warum gibt es unverändert erhebliche Subventionen für katholische Privatschulen, während andere Privatschulen ähnlicher Qualität solche Subventionen nicht erhalten.
  • Wie stehen Sie zum katholischen Verbot der Empfängnisverhütung, obwohl Sie die hohe Geburtenrate in (afrikanischen) Entwicklungsländern zu Recht als eines von deren größten Problemen erachten?

Unterlassene Fragen zur Wirtschaft

Weitestgehend unterlassen wurde eine Konfrontation in Fragen der Wirtschaftspolitik.

Kurz durfte durch die gesamte Sendung so tun, als seien die aktuellen guten Wirtschaftsdaten ein Erfolg der zehn Monate, die er bisher regiert hat, statt dass wenigstens einmal darauf hingewiesen worden wäre, dass sie zwingend voran auf der Leistung seiner Vorgänger-Regierung beruhen, von der er behauptet, dass sie völlig unfähig gewesen sei.

  • Die 60 Stunden Woche, die Arbeitgeber nunmehr auch ohne Zustimmung der Gewerkschaft anordnen können, durfte Kurz einmal mehr damit begründen, dass Arbeitnehmer ja nur das Recht bekommen hätten, länger zu arbeiten und mehr zu verdienen, wenn sie das wollten.
  • Statt Kurz zu fragen “Glauben Sie wirklich, dass eine Angestellte ihrem Chef widerspricht, wenn er sagt: In den kommenden zwei Wochen müssen wir 60 Stunden arbeiten, denn wir müssen den Auftrag X erledigen?”  konfrontierte Hans Bürger ihn mit der eleganten Formulierung eines deutschen Philosophen, der leise Zweifel an dieser Art der Freiwilligkeit anmeldet. Nur dass man diese Formulierung zwei Mal hören muss, um sie zu verstehen, während man sofort versteht, wenn Kurz sagt: “Viele Arbeitnehmer wollen ja die vier Tage Woche” – können sie freilich keineswegs fordern, was zu entgegnen unterblieb.
  • Natürlich durfte Kurz auch von Lögers Steuerreform schwärmen, ohne dass eingewendet worden wäre, dass sie denen am wenigsten gebracht hat, die am wenigsten verdienen und dass sie auf den ökologischen Lenkungseffekt einer CO2-Steuer verzichtet hat.

Unterlassene Fragen zur Migration

Den größten Raum des Gesprächs nahm erwartungsgemäß die “Migration” ein.  Kurz erkämpfte – zu Recht-  die Möglichkeit, seine Haltung zum “Mittelmeer” zusammenhängend zu begründen.

Ich habe hier schon einmal festgehalten, dass er meines Erachtens schlichtweg recht hat, wenn er behauptet, dass  Afrikaner solange nach Libyen aufbrechen, dort in unerträglichen Schlepper-Lagern vegetieren, in Schlauchboote steigen, kentern und ertrinken werden, als sie annehmen, dass dies die Chance bietet, gerettet in die EU zu gelangen.

Schiffbrüchige nicht in die EU sondern nach Afrika zurückzubringen, klingt (und ist) für die konkret Betroffenen zwar grausam, stellt aber die einzige Chance dar, zu erreichen, dass sie gar nicht erst aufbrechen, gar nicht erst in die libyschen Schlepper-Lager gelangen, gar nicht erst in die Schlauchboote steigen und also auch nicht ertrinken.

Zu Recht stellt Kurz der von ihm (und mittlerweile allen EU-Mitgliedern) geforderten Schließung der Mittelmeer-Route immer wieder ein Modell gegenüber, das legale Zuwanderung ermöglicht und vor allem auf Hilfe vor Ort setzt.

Innerhalb seines eigenen Models hätte man ihn freilich mit folgenden Fragen konfrontieren müssen:

  • “Wenn Sie Hilfe vor Ort zu Recht für so wichtig halten – warum hat Ihre Regierung Österreichs Entwicklungshilfe-Budget, das sowieso schon immer zu den niedrigsten vergleichbarer Volkswirtschaften zählte, noch einmal gekürzt?
  • “Warum beginnen Sie nicht damit, die Voraussetzungen für legale Zuwanderung nach Österreich zu schaffen? Warum gibt es kein Einwanderungsgesetz?
  • Warum erteilen Sie österreichischen Botschaften nicht die Vollmacht, in einer bestimmten Zahl konkreter Asyl-reifer Fälle entsprechende Visa auszustellen? Natürlich gehört diese Materie letztlich EU-weit geregelt- aber Sie könnten ein erstes Zeichen setzen, um zu zeigen, dass Sie es ernst meinen.”

Unterlassene Fragen zu “Einzelfällen”

Natürlich wäre Kurz nicht nur zu BVT-Affäre sondern zur Gesamt-Anmutung seines aktuellen Koalitionspartners, der Strache- FPÖ zu befragen gewesen.

  • “Wird die ÖVP den stellvertretenden FP- Vorsitzenden Johann Gudenus unterstützen, nach Neuwahlen in Wien das Amt des Bürgermeisters zu übernehmen, nachdem er einen jugendlichen Asylwerber ungeprüft zu Unrecht der Sympathie für Terrororganisationen  bezichtigt und Tage für eine Entschuldigung gebraucht hat? “
  • Für Ihre Landeshauptfrau Mikl- Leitner war Udo Landbauer als Regierungs-Partner untragbar, nachdem außer Zweifel stand, dass im Liederbuch einer Burschenschaft deren Vize-Obmann er ist, die Ermordung eine weiteren Million Juden gefordert wurde.
  • Ist er für Sie und die ÖVP jetzt als Partner tragbar, weil die Staatanwaltschaft Wiener Neustadt keinen Täter ermitteln konnte, ein diesbezügliches Verfahren gegen Landbauer eingestellt hat und der Liedtext geschwärzt ist?”
  • Wie verträgt es sich mit ihrem Rechts-und Demokratieverständnis, dass eine winzige Bevölkerungsgruppe mit durchwegs vom Verfassungsschutz überwachter Einstellung zur “Vergangenheit” – die Burschenschaften- einen großen Teil  der Minister ihrer Regierung stellt und fast nur Burschenafter als Mitarbeiter engagiert hat?
  • Halten Sie Burschenschaften daher für Organisationen, die dank ihrer Geschichte und ihrer Statuten besonders geeignet sind, Menschen heranzubilden, die Österreich regieren sollen? Denn nur dank Ihrer Entscheidung sind sie in diese Lage gekommen.

 

 

 

 

12 Kommentare

  1. Nicht zwingend, wie sie formulieren, ist die momentane gute wirtschaftliche Situation der Vorgänger-Regierung zu verdanken. Für Unternehmer reicht es wenn eine unternehmerfreundliche Regierung am Ruder ist (und das Wissen, dass diese noch einige Zeit bleibt) um Investitionsvorhaben anzugehen und, noch wichtiger, Leute einzustellen und so die Arbeitslosigkeit zu senken. Rote oder Rot-Grüne Regierungen, die vor allem die Wünsche von Arbeitnehmern im Auge haben und nicht selten protektionistische Maßnahmen setzen um diese zu schützen(?) oder besserzustellen haben häufig den gegenteiligen Effekt. Unternehmen stellen Investitionen zurück oder tätigen diese in anderen Ländern! Unerfreuliche Entwicklungen aber aus der Sicht von Unternehmen nachvollziehbar. Z.B. haben sie bis heute nicht den Kündigungsschutz in den Ländern Italien, Frankreich, Spanien und die negativen Auswirkungen auf die Wohlstandsentwicklung dieser Ländern in voller Tragweite akzeptiert. Viele lieber machen sie die Deutschen für den wirtschaftlichen Niedergang dieser Länder verantwortlich. (Selbst wenn das teilweise richtig ist muss man sich fragen ob es von Gewerkschaften und linken Parteien dieser Länder intelligent war ihren Unternehmen den ohnehin schon harten Konkurrenzkampf gegen die Deutschen noch zusätzlich durch absurde Arbeitsmarktgesetze zu erschweren?)

    1. Sowohl Erholung des Wachstums wie Rückgang der Arbeitlosigkeit haben in Österreich schon in der Ära Kern-Mitterlehner eingesetzt, nachdem der VP-Finanzmnister endlich die von der SPÖ lange geforderte steuerliche Entlastung der Gehälter durchgeführt hat.
      Die Kündigungsbestimmunge, auf deren Bedeutung Sie zu Recht verweisen, waren im rot-schwarzen Österreich stets liberaler als in Deutschland. (Von Spanien oder Frankreich nicht zu reden)
      Deutschland führt daher -leider- keinen “harten Konkurrenzkampf” sondern den müssen alle anderen EU-Mitglieder gegen Deutschland führen, weil es nicht möglich ist, dessen Lohnstückkosten-Vorsprung zu egalisieren.

  2. Danke für die kürzestmögliche verständliche Erklärung der grausamen Situation:
    Schiffbrüchige (…) nach Afrika zurückzubringen (…) stellt aber die einzige Chance dar, zu erreichen, dass sie gar nicht erst aufbrechen, gar nicht erst in die libyschen Schlepper-Lager gelangen, gar nicht erst in die Schlauchboote steigen und also auch nicht ertrinken.

    Es braucht so etwas wie den “Marshall-Plan” für Afrika.
    Die “Dorferneuerung in NÖ” wäre ein – vielleicht – adaptierbares Modell, das aktives Tun der Menschen voraussetzt, über die Kleinteiligkeit Missbrauch begrenzt und eine Begleitung auf Augenhöhe ermöglichen würde.

  3. Die unser Schulsystem ruinierten bzw. ruinieren, schicken ihren “Nachwuchs” auf Privatschulen! “Gerne” auch von den “Sozen” Granden!

  4. Volle Zustimmung – möglicherweise sollte ein Sommergespräch mit PML oder vielleicht RAU vom Standard geführt werden – knackige Fragen sind jedenfalls für den Zuseher interessanter als eine matte, aufgelegte Fragenlandschaft.

  5. Zum Thema: (katholisches) Verbot der Empfängnisverhütung
    Bei keinem Sommergespräch wurde das gewaltige Bevölkerungswachstum wenigstens nur angesprochen! Dabei ist das die Hauptursache für die größten Probleme auf unserem Planeten – es verursacht auch den Klimawandel und in Folge auch Migrationsbewegungen, die zu Unfrieden bis hin zu Krieg führen (werden).

    Schon die Verdopplung der Bevölkerung in Afrika mit jeder Generation wird noch gewaltige Einflüsse auf Europa haben. Noch vor einigen Jahrzehnten sind wenigsten 2/3 der Bevölkerung vor dem 15. Lebensjahr gestorben! Dadurch blieb die Bevölkerungszahl einigermaßen im Lot.

    Wenn Kirchen / Religionen weiterhin gehen Empfängnisverhütung sind, wird das alles sehr böse enden. Aber vielleicht ist das sogar “Gott gewollt”.

    Warum das die Sozis – die Linken – Sozialdemokraten nicht thematisieren, ist mir ein Rätsel.
    Nicht umsonst haben die “Rechten” ein leichtes Spiel – auch weil ihnen das Thema Migration nicht abhanden kommen wird.

  6. Herr Lingens, Sie zitieren Kurz wie folgt: „Viele Arbeitnehmer wollen ja die vier Stunden Woche”.

    Das hat Kurz wirklich gesagt eine 4 Stundenwoche??!!

    Oder machen Sie hier einen subtilen
    Schmäh um Kurz zu diskreditieren?

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