Weder christlich noch sozial

Die “Mindestsicherung-neu” der einst christlich-sozialen ÖVP diskriminiert bewusst und befördert de facto fortgesetzte Armut

 Die “Mindestsicherung” sollte sein, was ihr Name sagt: Das Existenzminimum von Menschen sichern, die sich in einer Notlage befinden, weil sie “über keine angemessenen eigenen Mittel verfügen, den eigenen Bedarf und den ihrer Angehörigen ausreichend zu decken”. (So die Definition, als sie 2010 eingeführt wurde.) Zwei Drittel der 307.853 Mindestsicherungsbezieher sind daher Kranke, Behinderte, Pensionisten beziehungsweise (zu 52 Prozent) Menschen, die trotz Beschäftigung so wenig verdienen, dass ihr Einkommen unterhalb der “Mindestsicherung” läge, wenn diese es nicht aufstockte. 28 Prozent sind Arbeitslose. Unter den Frauen sind Alleinerziehende die größte Gruppe. Absolut sind es die rund 83.000 minderjährigen Kinder, die in Haushalten leben, die auf Mindestsicherung angewiesen sind.

Sehr viele Menschen, “die morgens nicht aufstehen” (Sebastian Kurz) sehe ich unter den Angeführten nicht.

Es stimmt, dass die Anzahl der Bezieher deutlich gestiegen ist – voran zweifellos der Flüchtlingsströme wegen – aber mittlerweile stagniert sie. Es stimmt auch, dass in Wien überproportional viele (63 Prozent) der Mindestsicherungsbezieher leben, aber das entspricht dem allgemein höheren Anteil der Bundeshauptstadt an Migranten sowie den verschärften Bedingungen in Nieder- und Oberösterreich. 60 Prozent der Bezieher – auch das stimmt- haben Migrationshintergrund. Daraus würde ich vor allem auf ein Versagen des Integrationsstaatssekretärs – wie hieß er doch?- freilich auch aller Vorgänger-Regierungen schließen.

Statt dieses Versagen zu korrigieren wird es jetzt durch die “Mindestsicherung-neu” verschärft: Denn Migranten sind zwangsläufig die Hauptleidtragenden der Bestimmung, die besagt, dass von nun an diejenigen 300 Euro im Monat weniger erhalten, die Deutsch nicht auf B1 oder Englisch auf C1- Niveau beherrschen- wobei die Regierung die Mittel für Sprachkurse gekürzt hat. Und natürlich sind es am ehesten Migranten-Familien, die mehr als zwei Kinder haben, und die nun für ein drittes Kind neben der Kinderbeihilfe nur mehr 43 Euro erhalten. Rein sachlich sorgt die Regierung durch diese Maßnahmen dafür, dass es trotz stagnierender Zuwanderung noch lange Menschen geben wird, die sich mangels ausreichender Fortbildung und Förderung im Kindesalter nicht selbst erhalten können und daher auf “Mindestsicherung neu” angewiesen sein werden.

Es ist richtig, dass auch diese geschrumpfte “Sozialhilfe” im internationalen Vergleich unter die höheren zählt – aber Österreich ist eines der reichsten Länder der Welt.

Das einzige sachliche Argument, das die Regierung für die erfolgte Schrumpfung vorbringt- dass die Sozialhilfe dem Einkommen arbeitender Menschen nicht zu nahe kommen dürfe – trifft in Österreich leider insofern zu, als Altenpflegerinnen oder Kindergärtnerinnen gelegentlich tatsächlich nicht viel mehr mehr als 860 Euro im Monat bleibt. Aber eben dies -die miserable Bezahlung einer gar nicht so kleinen Gruppe arbeitender Menschen – ist der dramatische Schiefstand, den eine gute Regierung durch ihre Politik zu beenden hätte. Wenn allen diesen Menschen zumindest 1.400 Euro blieben, wäre ein ausreichender Abstand zur Mindestsicherung sofort gewahrt. Aber gerade diese Regierung will bei staatlichen Leistungen, zu denen gerade auch Alten- wie Kinderbetreuung zählen, sparen. Und noch energischer will sie die weltweit – bis auf die Slowakei und Mexiko – niedrigsten Steuern für Milliardenvermögen beibehalten, statt Arbeitseinkommen zu entlasten.

PS: Nach Christian Konrad hat sich mit Erwin Pröll ein weiterer ehemaliger Grande der ÖVP kritisch dazu geäußert, dass Sebastian Kurz unerträglichen Vorkommissen in der FPÖ nicht energischer entgegentritt. Im Theater in der Josefstadt erzählte er, wie er Kurz in der Causa Landbauer- Liederbuchaffäre aufgefordert habe, Stellung zu beziehen und wie der ihm am Telefon bedeutet habe, sich mit Äußerungen in der Öffentlichkeit zurückzuhalten. Er habe das mit Hinweis abgelehnt: “Die einzige Instanz, der ich mich , verpflichtet fühle ist mein Gewissen”. Nach einem halben Jahr Funkstille habe es ein Mittagessen gegeben, von dem man sich eine erneuerte Gesprächsbasis erhofft habe, aber die sei zu Jahresbeginn schon wieder auf die Probe gestellt worden. Diesmal durch die Attacken der FPÖ auf die Caritas, der Klubchef Johann Gudenus im Zusammenhang mit Flüchtlingen “Profitgier” unterstellte. “Es geht nicht, dass Du dazu schweigst”, habe er dem Kanzler gesagt. Nach einigen Tagen habe Kurz endlich Stellung bezogen.

Bei Pröll oder Konrad spielt ihre christliche Gesinnung eine offenkundig wesentliche Rolle bei ihrer Irritation über Kurz` mangelnde Zurückweisung inhumaner freiheitlicher Entgleisungen. Mir ist der christliche Glaube zwar so fern wie seine Kirchen, aber auch ich meine, dass es einen größeren Gegensatz als den zwischen ernsthaftem Christentum und Nationalsozialismus nicht gibt- und dass er zwischen Christentum und Keller- Nazitum fortbesteht. Jesus Christus, wer immer das historisch gewesen sein mag, hat humanitäre Standards initiiert, die ich mit Pröll oder Konrad teile. Unter anderem, dass syrische (irakische, nigerianische) Migranten die gleiche Menschenwürde wie Österreicher besitzen. Dass man sie und ihre Kinder daher nicht gezielt von Teilen der Sozialhilfe ausschließen darf. Meines Erachtens wird das auch der EUGH so entscheiden. Aber in jedem Fall wird Kardinal Schönborn protestieren müssen, wenn die Kurz-ÖVP sich weiterhin christlich-sozial nennt.

 

6 Kommentare

  1. Ich kenne eine Familie, die von Sozialleistungen lebt. Der Vater ist aus Pakistan immigriert und hat eine Einheimische geheiratet. Diese Familie hat gerade das siebte Kind bekommen.
    Ich vermute, es wird ja nicht offen ausgesprochen, dass die Regierung genau solche Entwicklungen bekämpfen möchte.
    Wie man solchen Entwicklungen im Einklang mit den Menschenrechten entgegenwirken kann, weiß auch nicht.

    1. Es ist auch keine ausgemachte Sache, dass sich ungezügelte “Menschenrechte” immer positiv auf die globale Entwicklung auswirken. Es kann immer etwas “entarten” …

  2. Wenn man “Flüchtlinge” (die meisten sind Migranten als wirtschaftlichen Gründen) gleich behandeln muss, wie Österreicher (und Innen), die im Laufe ihres Lebens doch “was bei uns eingezahlt haben”, wird es bereits mittelfristig – nicht nur monetär – zu Problemen kommen, insbesonderes wenn diese Neuankömmlinge immer mehr werden (auch wenn derzeit die Zahl der Asylwerber stagniert), zumal die allermeisten Menschen aus gewissen Regionen für unseren Arbeitsmarkt nahezu unbrauchbar sind – und der Wille zu arbeiten oft sehr eingeschränkt ist. Das mögen die Herren Konrad u. Co. zwar anders sehen …
    PS: Da halte ich mich als “Sozialdemokrat” sehr an Thilo Sarrazin.

    1. @Rudolf Langer
      Ich möchte Ihre Bedenken keineswegs vom Tisch wischen, doch würde mich Ihre zeitgemäße Interpretation für “Arbeitsmarkt” interessieren. Um etwas als Markt verstehen zu können, braucht es doch gewisse Freiheitsräume und ähnlich wie beim gleichermaßen nachlässig verwendeten Begriff “Finanzmärkte” mangelt es auch am “Arbeitsmarkt” daran.

      Was wir als “Märkte” bezeichnen sind ja Machtstrukturen, die eher nicht einem sozialdemokratischem Denken entsprechen.

      Recht auf Leben (Menschenrechtsdeklaration UNO 1948, Punkt 3) bedingt in einer Geldwirtschaft Recht auf Einkommen in ausreichender Höhe zur Teilhabe an der Gesellschaft. Man braucht ein Einkommen, um sich zu arbeiten leisten zu können. Geld entsteht nicht durch Arbeit, sondern durch Kredit, und es wird nur gegen Arbeit gemäß den herrschenden Machtstrukturen zugeteilt.
      (weitere Gedanken dazu auf http://www.lifesense.at)

      1. @Günther Hoppenberger
        Meine Antwort ist nicht “zeitgemäß” sondern eher allgemein gültig:
        Ein Markt ist jener Ort, wo mehrere Angebote auf mehrere Nachfragen treffen. Das gilt auch für den Arbeitsmarkt. Wenn das Angebot weitgehend unbrauchbar ist, wird es nur sehr eingeschränkt zu Geschäftsabschlüssen – am Arbeitsmarkt zu Einstellungen – kommen.
        Da man die “Unbrauchbaren” jedoch nicht verhungern lässt, sorgt der Staat für diese Menschen. Das geht nur so lange, solange Wähler in einer Demokratie mitspielen.

  3. Bei all den Debatten zu Mindestsicherung und Mindestlohn wird stets ein wesentlicher Aspekt ausgeklammert: “Mindest wovon?”

    Des Weiteren wird der Verweis unterlassen, dass es sich bei der Mindestsicherung um eine 100%ige Wirtschaftsförderung handelt.

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