Anleitung zur EU-Wahl nach Ibiza-Gate

Auch in der EU muss ein GAU verhindert werden. Dazu eine restlose neoliberale Wirtschaftspolitik.

Sofern die Mehrheit der Österreicher sinnerfassend fernsehen kann, sollte die EU-Wahl eine klare Sache sein: Die FPÖ sollte absacken, NEOS, SPÖ, Grüne und Liste JETZT sollten zulegen. Nur ob die ÖVP dafür gestraft wird, dass Sebastian Kurz sich mit H.C. Strache und Johann Gudenus eingelassen hat, oder dafür belohnt, sich so rasch von ihnen getrennt zu haben, steht in den Sternen.

Dennoch sollte Ibiza-Gate nicht völlig davon ablenken, dass es bei den Wahlen zum EU- Parlament nicht um Österreich sondern um Europa geht. Dass man also mit seiner Stimme für einen bestimmten Kandidaten Europa- Politik macht.

Den mit Abstand größten Einfluss auf diese Politik hat der von mir Gewählte, indem er mit seiner Stimme darüber entscheidet, wer Präsident der EU-Kommission wird. Und da gilt es einen GAU abzuwenden: Es ist möglich, dass durch die Teilnahme der Briten eine beträchtliche Zahl von Nigel Farage angeführter EU- Hasser ins EU Parlament gelangt. Wenn die sich mit den EU-Verächtern aus Lega Nord, AfD, FPÖ, Rassemblement National, aus den rechtsextremen Parteien Skandinaviens, Spaniens und der Benelux-Staaten, aus der ungarischen Fidesz und der polnischen PSI verbünden, ist nicht auszuschießen, dass sie die größte Fraktion des EU -Parlaments bilden. Dass sie mit Matteo Salvini einen Kandidaten aufstellen, der sich kaum von Strache unterscheidet. Der könnte dann nur sicher abgewehrt werden, indem alle anderen Parlamentarier gemeinsam für einen Gegenkandidaten stimmen, über den sie eilig Einvernehmen herstellen müssten. Nicht dass ich dieses Horrorszenario für sehr wahrscheinlich halte- Europas Rechte ist Gott sei Dank sehr zersplittert und in wichtigen Fragen (der Haltung zu Russland) denkbar uneins – aber vielleicht begreift man alleine an Hand dieser Möglichkeit, in welch beängstigendem Zustand die EU sich in Wahrheit befindet.

Die beste Aussicht, Kommissionspräsident zu werden, hat der Deutsche Manfred Weber als Kandidat der Christdemokratischen Fraktion. Seine Wahl unterstützt man auf jeden Fall, indem man die Liste der ÖVP wählt und im Zweifel dürften ihn auch die NEOS unterstützen, weil auch sie wirtschaftspolitisch neoliberal ausgerichtet sind. Ich habe in Dutzenden Kommentaren und einem Buch begründet, weshalb ich eine Wirtschaftspolitik aus Austerity -Pakt, deutschem Lohndumping und Neoliberalismus für die zentrale Ursache der wirtschaftlichen Probleme der EU halte. Da der deutsche Notenbankchef Jens Weidmann auch noch Favorit für die Nachfolge Mario Draghis als EZB-Chef ist, halte ich die ohnehin dürftige Konjunktur der EU durch diese Kombination für akut gefährdet, denn nur die lockere Geldpolitik Draghis hält sie trotz mangelnder Investitionen sparender Staaten mühsam aufrecht. Gemeinsam hindern mich Weber und Weidmann daher denkbar entschieden, die Liste der ÖVP zu wählen, obwohl ich Othmar Karas für seine hohe EU-interne Kompetenz und seine große ÖVP-interne Anständigkeit gern mit meiner Vorzugsstimme belohnte.

Es hindert mich auch, die NEOS zu wählen, obwohl ich wie Claudia Gamon von “Vereinigten Staaten von Europa” träume. Aber diese “Vereinigten Staaten” sind, wenn sie überhaupt kommen, Jahrzehnte entfernt, und ich trüge mit meiner Stimme für die NEOS, und damit vermutlich für Manfred Weber, dazu bei, dass der Traum womöglich schon demnächst platzt.

Möglich ist allerdings, dass die liberale Fraktion im EU Parlament durch extrem geschickte Allianzen im letzten Moment Margaret Vestager als einziger weiblichen Kandidatin eine Präsidenten-Chance eröffnet. Verstager hat als Wettbewerbs -Kommissarin einen extrem guten Job gemacht. Ich zöge sie Weber also entschieden vor, halte die neoliberale Wirtschaftspolitik der liberalen Fraktion aber aus den oben angeführten Gründen für dennoch verhängnisvoll.

Wenn man meine wirtschaftspolitischen Thesen teilt, muss man daher auf den Kandidaten der sozialdemokratischen Fraktion für den Kommissionspräsidenten, den Niederländer Frans Timmermans, setzen. Er hat sich in der Vergangenheit vor allem gegen den Klimawandel und gegen Korruption im Ex-Ostblock engagiert. Anders als Weber begreift er zumindest, dass das Auseinanderklaffen von Einkommen und Vermögen, dass der in allen Mitgliedsländern ständig schrumpfende “Mittelstand” ein zentrales Problem der neoliberalen EU darstellt und dass sie daher dringend zumindest deutlich mehr sozialen Ausgleich braucht. Am Rande ist er ein charismatischer Redner, der Zuhörer (sogar in sechs Sprachen) mitzureißen weiß. Timmermans Wahl unterstützt man, indem man die SPÖ, die Grünen oder die Liste JETZT wählt, denn Grüne könnten in der Wahl zwischen ihm und Weber als Zünglein an der Waage den Ausschlag geben. (Mir ist daher unbegreiflich, wieso sich die Grünen und JETZT nicht auf eine gemeinsame Kandidatur von Werner Kogler und Johannes Voggenhuber einigen konnten, denn dann hätten sie wenigstens einen von ihnen sicher ins Parlament gebracht und selbst der zweite wäre nicht absolut chancenlos gewesen.)

Wer die NEOS wählt, wählt zwar vermutlich Weber, aber er tut es nicht mit Sicherheit. Denn vor allem Mandatare von “en marche”, die sich der liberalen EU-Fraktion zuzählen, könnten auch zu Timmermanns schwenken und die NEOS könnten sich ihnen im letzten Moment anschließen. Wissen kann man es, wenn man ihnen seine Stimme gibt, allerdings nicht.

Wirklich wissen, was man mit seiner Stimme bewirkt, könnte man nur, wenn dereinst Gamons Forderung verwirklicht würde, den Kommissionpräsidenten direkt zu wählen.

 

6 Kommentare

  1. Nach dem auffälligen Verhalten von Rechtspopulisten in ganz Europa, jetzt noch getoppt mit dem unverhohlenen “Landesverrat” der selbsternannten “Heimatpartei”, kombiniert mit dem Nichterkennen der Konservativen hinsichtlich des trudelnden Mittelstands und dem teilweisen Anbiedern der Konservativen an die Rechten (No-go!), kann man ohnehin nur den ROTEN FEUERLÖSCHER wählen.

  2. Sehr geehrter Herr Lingens!

    Da sie in obigem Kommentar die neoliberale Wirtschaftspolitik der EU erwähnen und ich glaube, dass sie in ökonomischen Belangen mehr als kompetent sind, generell eine Frage zur Besteuerung: Was halten sie von der Behauptung, dass eine Vermögenssteuer zu Kapitalflucht führen würde, da man ja als extrem wohlhabender Mensch sein Vermögen quasi per Knopfdruck ins Ausland transferieren kann?

  3. Eine Partei wie die von Nigel Farage dürfte überhaupt nicht zu eine EU-Wahl zugelassen werden. Das sehe ich so wie rechtsextreme Parteien die sich von den Verbrechen Hitlers nie distanziert haben, und/oder den Holocaust leugnen, und aus dem Grund verboten sind. Eine Partei die innerhalb des europäischen Parlamentes gegen die EU agiert und dessen Zerstörung zum Ziel hat kann doch wohl dort nicht politisch tätig sein!

  4. Stimmt schon, dass die NEOS durchaus wählbar sind, jedenfalls wie sie sich derzeit präsentieren – aber zu große Wirtschaftsliberalität kann leicht in das kippen, was ein gewisser Karl Marx so kommentiert hat : “Wenn wir das Kapital nicht zähmen, wird aus ihm ein unkontrollierbarer Molloch”. Selbst so alte Bekenner wie China und Russland zocken inzwischen an vorderster Front mit. Geld war ursprünglich ein Tauschmedium, aber inzwischen ist es schon fast eine Waffe geworden. Deswegen bin ich dafür, dass es mehr Gesetze gibt, die ein solches Ausufern verhindern, ob die NEOS bei so was mitmachen würden ??????

  5. “EU-Hasser” – Herr Lingens, was soll diese Ausdrucksweise?
    Grüne, Jetzt, SPÖ, Kummerln, … – wenn sich die “Linken-Kräfte” so zersplittern, wird das wohl nichts mit einer gerechteren, umweltschonenderen (Um)Welt.
    Und wenn man “Völkerwanderungen” (aus welchen Gründen auch immer) begrüßt, wird man auch keine Wahlen gewinnen. Da ist die Demokratie gnadenlos …

  6. Alle reden von Neoliberalismus, aber kam jemand weiß, was das wirklich ist. Lasst es Euch erklären von Mathias Strolz:

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