Trumps Amerika

Strangers In Their Own Land – eine soziologische Analyse.

TV-Auftritte Donald Trumps lassen mich fast so fassungslos vor dem Bildschirm zurück wie Ausschnitte aus Reden Adolf Hitlers: Wie konnten Millionen Deutsche und Österreicher diese Karikatur eines Staatsmanns umjubeln? Wie können das Millionen Amerikaner? Müssen diese Leute nicht jeden Verstand verloren haben?

Offenkundig nicht: Unsere Großeltern waren weder schwachsinnig noch verrückt und umjubelten dennoch zu Millionen einen Mann, der weit Schlimmeres als Trump gesagt und sofort zu tun begonnen hatte.

Auch Trumps Wähler sind keine Schwachsinnigen oder Verrückten. Die Soziologin Arlie Russell Hochschild ist durch fünf Jahre zwischen der Berkeley-Universität und der Trump-Hochburg Louisiana gependelt, um in die Welt jener weißen, älteren, evangelikalen Männer einzudringen, die ihm zum Wahlsieg verhalfen. Das Ergebnis ihrer Studien hat sie in dem großartigen Buch „Strangers In Their Own Land“ (New Press Verlag, 368 Seiten)zusammengefasst, aus dem ich hier Bruchstücke referiere.

Voran Daten: Louisiana ist der zweitärmste US-Bundesstaat und zählt zum historischen „Süden“. Hatten Weiße bundesweit zu 39 Prozent Barack Obama gewählt, so waren es in Louisiana nur 14 Prozent. Denn Louisiana ist „Tea Party“-Land. Hat diese Retro-Gemeinde USA-weit 20 Prozent – rund 40 Millionen – Anhänger, so bekennen sich in Louisiana 50 Prozent zu ihren Zielen. Vom Süden ausgehend ist sie zu Kopf, Rückgrat und Muskulatur der republikanischen Partei geworden.

Ihren Hass auf „Democrats“ und „Washington“ begründet sie etwa so:

Die bringen uns, die Arbeitenden (the makers), durch hohe Steuern um unser Geld, um es Nichtstuern (the
takers) zuzustecken.
Ihre Medien wollen uns vorschreiben, diese Nichtstuer auch noch zu bemitleiden.
Die Nichtstuer befürworten Todsünden wie Abtreibung oder Homosexualität und wenden sich von Jesus ab.

Unglaubliche 42 Prozent der Amerikaner halten für wahrscheinlich oder jedenfalls möglich, dass Jesus im Jahr 2050 auf Erden wiedergeboren wird. Alle republikanischen Präsidentschaftskandidaten bestreiten die Evolution und verdammen „Verhütung“.

Der Abstand zu den Demokraten ist so zum Abgrund geworden. Störte es 1960 nur fünf Prozent der Befragten, wenn ihr Kind einen Anhänger der anderen Partei heiratet, so stört es heute ein Drittel der Demokraten und 40 Prozent der Republikaner (mehr als die Heirat eines farbigen Partners).

Die Kluft ist nicht entstanden, weil die Demokraten nach links, sondern weil die Republikaner nach rechts gerückt sind. Der Republikaner Dwight D. Eisenhower hat Spitzenverdiener mit 91 Prozent besteuert und massive Infrastrukturinvestitionen getätigt – den Republikanern von heute sind 40 Prozent Spitzensteuersatz zu viel, und sie fordern Budgetkürzungen selbst bei Gesundheit oder Bildung.

Mit 50 Jahren stehen sie noch in der Warteschlange, obwohl sie immer denkbar hart gearbeitet haben.

Dabei sind republikanische Staaten durchgehend ärmer als demokratische und hängen damit weit mehr von Bundesmitteln ab. Denn durchwegs haben sie mehr Arbeitslose, mehr minderjährige Mütter und mehr Kranke. Die Lebenserwartung ihrer Bürger ist um fünf Jahre geringer als die demokratisch regierter Bundesstaaten. Zwischen Louisiana (75,7) und Connecticut (80,8) ist ein Unterschied wie zwischen den USA und Nicaragua.

44 Prozent von Louisianas Budget muss Washington beisteuern – aber nirgendwo ist „Washington“ verhasster.

Zur Armut kommen die größten Umweltprobleme der USA. Zeitweise waren Louisianas Gewässer durch Rückstände seiner Ölindustrie so vergiftet, dass Krebs ganze Familien hinwegraffte und Straßen „Cancer-Allee“ genannt wurden. Dennoch sind selbst Hinterbliebene mit der Tea-Party und Louisianas Gouverneur für die Abschaffung der EPA: Die Bundesumweltschutzbehörde koste Jobs, Steuergeld und Unabhängigkeit von Washington.

Was geht in den Familienvätern vor, die die USA so unwirtlich erleben? Hochschild beschreibt es mit einem Bild, das ihre Gesprächspartner durchwegs zutreffend nennen: Sie sehen sich in einer Warteschlange am Fuß eines Bergs, der unverändert den amerikanische Traum verbirgt: ein Häuschen, ein Auto und Kinder, die es noch weiter bringen. Doch mit 50 Jahren stehen sie noch in der Warteschlange, obwohl sie immer denkbar hart gearbeitet haben. Der Grund kann also nur sein, dass sich andere vor ihnen eingereiht haben – „weil Washington ihnen hilft“:

Schwarze, die sie weit hinter sich glaubten – weil „Washington“ Unternehmen, die Staatsaufträge erhalten, zwingt, sie vor Weißen zu Qualifizierungslehrgängen zu entsenden (Affirmative Action).
Frauen, die „dank Washington“ mit schlechteren Noten als Männer studieren und promovieren.
Selbst Schwule, Zuwanderer und Flüchtlinge genießen „Washingtons“ Unterstützung.

Wer aber unterstützt sie? Worauf können sie „politisch korrekt“ wenigstens stolz sein? Auf ihre Arbeit – obwohl sie schlechter denn je entlohnt wird?

Wenn sie stolz sind, Weiße zu sein, gelten sie als Rassisten. Wenn sie stolz sind, Männer und heterosexuell zu sein, gelten sie als homophob. Wenn sie stolz sind, Christen zu sein, gelten sie als beschränkt.

Sie sind Fremde im eigenen Land. Nur Donald Trump weiß sie zu schätzen.

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