Es ist leider exakt so gekommen, wie ich an dieser Stelle vermutet habe:
Bashir al Assad hat keine Sekunde an einen Waffenstillstand gedacht, sondern seinen Vormarsch gegen Aleppo fortgesetzt; Putin
hat seine Luftangriffe keine Sekunde unterbrochen, sondern Assad weiterhin im wahrsten Sinne des Wortes den Weg geebnet. (Bald steht in diesen Gebieten kein Haus mehr)
Amüsant ist, mit welchen Worten Russlands Regierungschef, Dmitri Medwedew, die Lage auf der Münchner Sicherheitskonferenz kommentierte: Die USA, so erklärte er, seien mit ihrer Kritik an Russland in die Denkmuster des Kalten Krieges zurückgefallen.
Wäre es doch nur so: Im Kalten Krieg begegneten die USA jedem von der Sowjetunion vermeintlich oder tatsächlich geplanten Vorstoß mit einer Demonstration ihrer eigenen militärischen Stärke und damit blieb jede reale Kampfhandlung aus.
In der Ukraine oder in Syrien hat Barack Obama den durchaus realen militärischen Vorstößen Putins allenfalls Worte entgegengesetzt. (Dennoch wird mein Leser Franz Lofasz-Erös mir sofort erklären, dass die USA auch in diesen beiden Ländern die eigentlichen Aggressoren sind.)
Assad, so meine sich verfestigende Prognose, wird seine Herrschaft über das nicht vom IS beherrschte Syrien zurückerlangen – und Putin mit ihm. Das wird, so Gott will, irgendwann zumindest das Ende des syrischen Bürgerkrieges sein – der als Aufstand demokratisch gesinnter Studenten gegen einen Despoten begann.
Ein klassischer Erfolg amerikanischer Politik
Vorerst gibt es seltsame Entwicklungen auf einem Nebenkriegsschauplatz: Auch die syrischen Kurden erobern im Schutz des russischen Bombenteppichs neue Gebiete. Sie haben diese Schützenhilfe nicht bestellt, aber de facto hat sich ein Zweckbündnis ergeben: Sie freuen sich mit Putin, der Türkei auf diese Weise etwas heimzuzahlen und Ärger zu bereiten. Denn Recep Tayyip Erdogan fürchtet bekanntlich nichts mehr als ein geschlossenes, vom Irak bis nach Syrien reichendes „Kurdistan“ an seiner Grenze.
Dabei könnt man in einer solchen Entwicklung mit positiver Phantasie auch eine große Chance für eine friedliche Neuordnung sehen: Das autonome Kurden-Gebiet im Irak ist ein erstaunlich gut funktionierendes Staatswesen. Wenn die Weltgemeinschaft bereit wäre, das Selbstbestimmungsrecht der Kurden innerhalb des Irak anzuerkennen, wäre dieser neu entstandene kurdische Staat zu hundert Prozent bereit, jedem Anspruch auf kurdische Gebiete innerhalb Syriens oder der Türkei auf alle Zeiten zu entsagen und die Grenzen zu diesen Staaten so penibel zu achten wie Deutschland die polnische Grenze.
Es ist journalistisch reizvoll, das Risiko eines dritten Weltkrieges an die Wand zu malen.
Aber das ist wie gesagt pure Träumerei. In der Realität schäumt Erdogan und die Türkei droht, Truppen nach Syrien zu entsenden. Wenn deren Soldaten auf russische Elite-Einheiten stießen, die sich ebenfalls in Syrien aufhalten, könnte sich theoretisch ereignen, was Medwedew in seiner Rede „die dritte Welterschütterung“ nannte: Das Nato-Mitglied Türkei wäre in eine Konfrontation mit Russland verwickelt, bei der ihr die USA und Europas Nato-Mitglieder theoretisch zur Hilfe kommen müssten.
Es ist journalistisch reizvoll, an Hand dieser Möglichkeit das Risiko eines dritten Weltkrieges an die Wand zu malen (und einige Kommentatoren haben sich auch dazu verführen lassen), aber ich sehe es nicht: Wenn die türkische Armee einmarschierte und wirklich auf russische Einheiten stieße, passierte, was schon in der Luft passiert ist, als die türkische Raketen einen russischen Jet abschossen – die beiden Staatschefs tauschten Grobheiten aus. Obama sähe auch auf dem Boden in bewährter Weise weg und die europäischen Mitglieder der NATO vermieden vermutlich sogar, verbal Partei zu ergreifen.
Möglicherweise ärgerte sich Erdogan über die mangelnde Solidarität von USA und EU und überdächte daraufhin sein Verhältnis zur Nato und seine allfällige Hilfe bei der Bewältigung des europäischen Flüchtlingsproblems – dann hätte Putin einen weiteren Erfolg erzielt.
Man mag sich fragen, was er von solchen Erfolgen in Syrien oder der Ukraine eigentlich hat? In Syrien gibt es kein Öl – daher das Desinteresse der USA – und irgendwelche andren Reichtümer gibt es auch nicht. Vermutlich ist Assad nicht einmal in der Lage, die russischen Waffenlieferungen adäquat zu bezahlen. In der Ukraine stellt die Krim zwar schon eher einen realen Wert dar, aber in Summe kostet auch das Ukraine-Engagement Putin primär viel Geld, das er nicht hat.
Manche Kommentare meinen, es ginge um begreifliche menschliche und nationale Eitelkeit: Putin wolle unbedingt als mit den USA gleichberechtigter Player in der weltpolitischen Arena angesehen werden, lautet die zugehörige Formulierung.
Das hat er freilich überall längst erreicht.
Was also bleibt als Motiv? Putin kann seine Bevölkerung nur durch die Vorspiegelung einer angeblichen Bedrohung durch die USA und durch den Hinweis auf seine „Erfolge“ gegen diese Bedrohung davon ablenken, dass es Russland, voran seiner Wirtschaft, miserabel geht, weil er nie in der Lage war, sie unabhängig von Öl und Gas zu machen. Denn zu diesem Zweck müsste er Unternehmern Unabhängigkeit von seiner Person und Rechtssicherheit gewähren – und dazu ist ein Mann seiner Struktur so wenig wie Assad in der Lage.