Wie schafft man eine wahrnehmbare Wende?
Nirgends wird der Unterschied im Demokratieverständnis zwischen Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen deutlicher als in dessen Reaktion auf seine stärkste Befugnis: Kaum gewählt, empfiehlt er, das Recht des Bundespräsidenten, die Regierung zu entlassen und den Nationalrat aufzulösen, in einem Verfassungskonvent zu überdenken.
Denn zweifellos gehört diese Kompetenz eliminiert: Es kann nicht sein, dass es dem Gutdünken eines Mannes überlassen ist, zu revidieren, was 6,4 Millionen Wahlberechtigte entschieden haben.
Obwohl sich die FPÖ der notwendigen Zweidrittelmehrheit zu dieser Verfassungsänderung vorerst verweigern wird, weil sie die einsame Entscheidung starker Männer grundsätzlich bejaht, glaube ich, dass man das mit etwas Geduld selbst recht einfachen Bürgern erklären kann: Die Bevölkerung soll erkennen, dass es mit dem blauen Respekt vor dem Volk als „Souverän“ nicht so weit her ist.
Van der Bellens Vorstellung, eine Regierungsbildung unter blauer Führung zumindest behindern zu können, bedarf demokratischer Korrektur
Vielleicht ist auch ein Tauschgeschäft möglich: Es schiene mir sinnvoll, dem Bundespräsidenten vorzuschreiben, dass er nach einer Wahl primär den Obmann der stimmenstärksten Partei mit der Regierungsbildung zu betrauen hat. Wenn der nach einer gesetzlich festzulegenden Zeitspanne keine Regierung mit parlamentarischer Mehrheit zu präsentieren vermag, sollte zwingend der Obmann der zweitstärksten Partei den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten – und so fort.
Auch Van der Bellens Vorstellung, eine Regierungsbildung unter blauer Führung zumindest behindern zu können, bedarf demokratischer Korrektur. In diesem Fall zugunsten von Heinz-Christian Strache.
Es spricht meines Erachtens alles dafür, die Kompetenzen des österreichischen Bundespräsidenten den bloß repräsentativen seines deutschen Pendants anzunähern. Und übrigens auch sein Gehalt: Es ist nicht einzusehen, dass er eines der höchsten Politikergehälter der Welt bezieht – ein höheres als das von Angela Merkel, François Hollande oder durch lange Zeit selbst das von Barack Obama. Das ist teurer Größenwahn beziehungsweise Weltreich-Nostalgie. Und gilt übrigens auch für die Spitzen der Nationalbank, deren Abenteuergehälter auch jeder Vernunft spotten. Natürlich machen alle diese Gehälter nicht einmal ein Promille der Staatsausgaben aus – aber dass das politische Establishment diese Unverhältnismäßigkeit so gar nicht begreift, ist einer der Gründe dafür, dass so viele Leute FPÖ wählen.
Es ist – leider – symptomatisch, dass Norbert Hofer, auf sein allfälliges Bundespräsidentengehalt angesprochen, wenigstens sofort einfiel, dass er dann seine Spendentätigkeit intensivieren müsste, während Alexander Van der Bellen schwieg – statt anzuregen, dass man es halbieren sollte.
Schafft die von Christian Kern geführte Regierung bis 2018 eine Trendwende?
Abseits solcher Möglichkeiten, sinnvoll an Volkstümlichkeit zu gewinnen, ist der Bundespräsident in den nächsten Jahren Gott sei Dank wieder das, was er bisher war: ein Staatsnotar, und so Gott will eine moralische Instanz.
Die Regierung muss nicht, wie das unter Norbert Hofer der Fall gewesen wäre, befürchten, dass sie entlassen wird, weil ihre Leistung dem Staatsoberhaupt nicht genügt und die FPÖ sich Neuwahlen wünscht.
Sie muss allerdings befürchten, dass ihre Leistung den Wählern bei den Nationalratswahlen im Herbst 2018 nicht genügt – hat also noch etwa 27 Monate Zeit, sich zu bewähren. Im Gegensatz zu Hans Bürger, dem Leiter der „ZIB“-Innenpolitik, glaube ich nämlich nicht, dass es zu vorzeitigen Neuwahlen kommt, denn weder SPÖ noch ÖVP können ihre Situation dadurch verbessern.
Anders als der Politologe Anton Pelinka glaube ich auch nicht, dass die ÖVP diese Neuwahlen suchen könnte, wenn sie in Umfragen von der SPÖ aufgrund des „Kern-Effektes“ überholt werden sollte – sie wird dann vielmehr Reinhold Mitterlehner gegen Sebastian Kurz tauschen.
Und eine Kern-Kurz-Koalition wäre ein doch recht chancenreiches Team, sofern beide ihr Ego im Zaum halten können.
Wirklich erfolgreich gegensteuern könnte man nur durch ein Ausscheren aus dem Sparpakt
Die einzig spannende Frage scheint mir daher: Schafft die von Christian Kern geführte Regierung bis 2018 eine Trendwende, die von der Bevölkerung auch als solche wahrgenommen wird?
Das gelänge meines Erachtens bei der Schulpolitik, die jede Mutter und jeden Vater persönlich berührt, am leichtesten – sofern man ideologischen Ballast abwirft und sich auf Kindergärten und Ganztagsschulen statt „Gymnasium“ oder „Gesamtschule“ konzentriert.
In der Wirtschaftspolitik ist es hingegen extrem schwer: Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass die Arbeitslosigkeit sinkt. Nicht, weil Österreichs Wirtschaft „abgesandelt“ wäre – sie hat nicht weniger Jobs als die deutsche geschaffen –, sondern weil Österreichs Bevölkerung wächst, während die deutsche trotz Flüchtlingen schrumpft.
Aber wie will man das FPÖ-Wählern erklären, wenn man es Christoph Leitl nicht erklären kann?
Wirklich erfolgreich gegensteuern könnte man nur durch ein Ausscheren aus dem Sparpakt, der außerhalb der deutschsprachigen Nationalökonomie durchwegs für wahnwitzig gehalten wird – aber der Jurist Wolfgang Schäuble zweifelt daran so wenig wie der Betriebswirt Hans Jörg Schelling. Und dem Volkswirt Van der Bellen ist dazu erwartungsgemäß nur Schweigen eingefallen.