"Abgesandelter" Spitzenreiter

Nur die Niederlande übertrafen Österreich 2015 an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit.


Seit ein paar Tagen ist das Jahr 2015 statistisch aufgearbeitet, und die endgültigen Wirtschaftsdaten liegen vor: Mit einem kaufkraftbereinigten BIP von 36.400 Euro pro Kopf lag das „abgesandelte“ Österreich an vierter Stelle der leistungsfähigsten Volkswirtschaften der EU – hinter Luxemburg (77.800 Euro), Irland (41.800 Euro) und den Niederlanden (36.900 Euro).

Von den Spitzenreitern sind Luxemburg und Irland Steueroasen. Bei Luxemburg ist das seit „Luxemburg Leaks“ allgemein geläufig, bei Irland bedarf es der Erläuterung: Seit Beginn ihrer EU-Mitgliedschaft lockte die britische Insel Unternehmer mittels deftiger Steuerprivilegien ins Land. Und obwohl die EU in jüngster Zeit daranging, solche Steuerdifferenzen zu vermindern, tat sie dies in Irland höchst zurückhaltend: Sie brauchte ein Beispiel für das Funktionieren des Sparpaktes. Irland darf seine einladenden Steuertricks daher bis 2020 beibehalten und darf danach zumindest digital erwirtschaftete Gewinne extrem niedrig besteuern. Irlands größte Investoren und mit Abstand größte Arbeitgeber sind Google und Apple. (Das Bruttonationaleinkommen der Iren ist um 20 Prozent niedriger als ihr BIP – das der Österreicher um ein Prozent.)

Die „völlig unfähige Große Koalition“ (Heinz-Christian Strache, Matthias Strolz, Robert Lugar) hat die bisher schwerste Krise der Weltwirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg besonders gut gemeistert.

Von den Staaten, deren BIP nicht entscheidend davon profitiert, dass sie anderen Staaten Steuern vorenthalten, sind damit ausschließlich die Niederlande wirtschaftlich leistungsfähiger als Österreich. Und selbst ihr Vorsprung ist 2015 in etwa in dem Ausmaß geschrumpft, in dem Österreichs Vorsprung vor dem Durchschnitt der EU-28 gestiegen ist: Betrug er 2007 – im letzten Jahr vor der Finanzkrise – 23 Prozent, so lag er 2015 bei 27 Prozent.

Klarer lässt sich meine These von der guten Leistungsfähigkeit unseres „abgesandelten“ Landes schwer bestätigen: Die „völlig unfähige Große Koalition“ (Heinz-Christian Strache, Matthias Strolz, Robert Lugar) hat die bisher schwerste Krise der Weltwirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg besonders gut gemeistert.

Franz Schellhorn (Chef des Thinktanks Agenda Austria) hat sich über diese Behauptung in einem profil-Kommentar – „Wie toll war eigentlich Werner Faymann?“ – lustig gemacht, und Leser haben mich gefragt, was ich zu seinen brillanten Ausführungen zu sagen habe. Wenig: Er polemisiert gekonnt.

Denn natürlich habe ich Österreichs gute Performance nie Werner Faymann gutgeschrieben (schon weil er als Kanzler kaum Wirtschaftskompetenzen hat), sondern Österreichs extrem leistungsfähigen Unternehmen und politisch der „Sozialpartnerschaft“ – jener Sozialpartnerschaft, die sich angeblich „komplett“ (VP-Chef Wolfgang Mitterlehner) beziehungsweise „dringend“ (IV-Chef Georg Kapsch) ändern muss.

Ich habe nur angemerkt, dass die Regierung Werner Faymann/Josef Pröll schwerlich alles falsch gemacht haben kann: Sie hat das erfolgreiche Maßnahmenpaket der Sozialpartner jedenfalls beschlossen.

Mir ist klar, dass Schellhorns Agenda Austria Aufmerksamkeit braucht und die eher durch Verrisse der Regierung erzielt. Ich verstehe auch, dass Christoph-„Abgesandelt“-Leitl oder Georg Kapsch für Verrisse der Politik besonders viel Beifall ihrer Mitglieder erhalten, zumal es ja stets genügend wirklich Kritisierenswertes gibt. Trotzdem frage ich mich, ob sie ausreichend bedenken, wie sehr sie damit die öffentliche Meinung (ver)formen und das Terrain für Heinz-Christian Strache pflügen.

In Wirklichkeit hat die „Große Koalition“ die aktuelle Krise mindestens so gut gemeistert wie die Alleinregierung Bruno Kreisky die weit harmlosere der 1970er-Jahre.

Ich beziehe in diese Kritik auch meine Branche ein: In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ oder selbst in der „Bild“ kann man zumindest „auch“ erfahren, was die deutsche Regierung gut macht – in Österreichs Medien nur, was Österreichs Regierung schlecht (vor allem schlechter als die deutsche) macht.

In Wirklichkeit hat die „Große Koalition“ die aktuelle Krise mindestens so gut gemeistert wie die Alleinregierung Bruno Kreisky die weit harmlosere der 1970er-Jahre. Aber Kreisky und Hannes Androsch wurden für ihre Leistung gefeiert – die aktuelle Koalition läuft Gefahr, 2018 vom Wähler gefeuert zu werden. Das hat sehr wohl auch mit der Wirtschaftsberichterstattung zu tun: Wenig recherchierte Zahlen – viel populistische Meinung.

Summiert – und damit gebe ich Leitl und Schellhorn in diesem Punkt recht – ergab das ein reales BIP-Wachstum von nur einem Prozent, das damit unter dem EU-Durchschnitt lag.

Natürlich hat Deutschland aus Gründen, die ich hier oft erörtert habe, wirtschaftlich auch gegenüber Österreich zugewonnen und belegt mit einem BIP/Kopf von 35.900 Euro Rang fünf. Nachdem schrumpfende Reallöhne (stagnierender Inlandskonsum) sein Wachstum trotz extremer Exporterfolge lange dämpften, haben die jüngsten Lohnerhöhungen es deutlich befördert.

Österreichs Wachstum zeigte hingegen 2015 genau die Schwäche, auf die ich hier ständig hingewiesen habe: Die Steuerreform kam viel zu spät – daher stagnierte der Inlandskonsum. Der Export, bei dem die Wettbewerbsfähigkeit entscheidet, stieg auch 2015 um 3,6 Prozent.

Summiert – und damit gebe ich Leitl und Schellhorn in diesem Punkt recht – ergab das ein reales BIP-Wachstum von nur einem Prozent, das damit unter dem EU-Durchschnitt lag. Nur war es die ÖVP, die ständig forderte, mit der Steuerreform zuzuwarten. Heuer dürften Steuerreform und flüchtlingsbedingte Wohnbauinitiative wieder für Wachstumsgleichklang mit Deutschland sorgen.

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