Hoffnungsschimmer "Ganztagsschule"

Sie zu forcieren, bietet die relativ größte Chance, den Gordischen Knoten der österreichischen Schulpolitik aufzuschnüren.


“Neue Bildungsministerin, altes Wursteln”, urteilt die Denkfabrik Agenda Austria über die nur gerade seit Ende Juni amtierende Bildungsministerin Sonja Hammerschmid: Die von ihr herausgegebene Erfolgsmeldung “750 Millionen für Ganztagsschulen” sei einmal mehr reine “Ankündigungspolitik” anstelle der Vorlage eines durchdachten Reformplanes; “Ganztagsschulen”, die Freizeit und Unterricht richtigerweise verschränken, setzten Gespräche mit dem Finanzminister voraus, denn die 750 Millionen reichten bei Weitem nicht aus.

Es kann aber auch sein, dass die Agenda Austria Vorhaben eines Regierungsmitglieds ohne ausreichende Basis vorschnell abqualifiziert.

Letzteres stimmt, und es kann auch sein, dass Frau Hammerschmid wirklich nur “ankündigt”. Es kann aber auch sein, dass die Agenda Austria Vorhaben eines Regierungsmitglieds ohne ausreichende Basis vorschnell abqualifiziert. Die 750 Millionen entsprangen bekanntlich einer erst ausgehandelten Einmalzahlung der Banken im Abtausch gegen den Erlass der (unsinnigen) Bankenabgabe. Zwangsläufig setzte ein heftiges Feilschen darum ein, wofür dieser unerwartete Betrag verwendet wird. Es ist nur zu verständlich, dass Hammerschmid, die ihn für sich ergattern konnte, der Öffentlichkeit Auskunft über seine Verwendung gab.

Dass man mithilfe dieser 750 Millionen bis 2025 im Umkreis von höchstens 20 Kilometer Entfernung eine Ganztagsschule vorfinden soll, wäre nicht einmal dann ein Fehler, wenn diese Schulen nicht den optimalen, verschränkten Unterricht bieten – selbst dass berufstätige Eltern nicht mehr für die Nachmittagsbetreuung ihrer Kinder sorgen müssten, wäre ein Fortschritt. Vor allem aber weiß ich nicht, wie die Agenda zu der Annahme kommt, dass Frau Hammerschmid nicht weiß, dass verschränkter Ganztagsunterricht die optimale Ganztagslösung darstellt. Die Agenda hat zwar recht, dass die sehr viel höheren Kosten vom Finanzminister aufgebracht werden müssten – aber auch das ist Frau Hammerschmid schwerlich unbekannt. Sie erinnert sich jedoch zweifellos daran, wie erfolglos Gespräche ihrer roten Vorgängerinnen mit den schwarzen Finanzministern gelegentlich verliefen, und ist deshalb sehr froh, dass sie Schelling zumindest die 750 Millionen entreißen konnte. Genügend große Gebäude braucht man sowohl für den verschränkten Unterricht wie für die bloße Nachmittagsbetreuung -und für deren Bereitstellung ist der Betrag von Nutzen.

Es gibt offenkundig verschiedene Wege zu gutem Schulerfolg

Ich halte Frau Hammerschmids öffentliche Konzentration auf “Ganztagsschulen” deshalb für so wesentlich, weil sie damit möglicherweise das Grundproblem rot-schwarzer Schulpolitik zu umgehen vermag: Die rote Schulideologie, wonach das Heil nur von der Gesamtschule kommen kann, und die schwarze Schulideologie, wonach die AHS unverzichtbar ist, sind unvereinbar.

“Ideologien” nenne ich beide Positionen, weil weder ÖVP noch SPÖ die Falsifizierung ihrer These akzeptieren: Die Behauptung von der Unverzichtbarkeit der AHS ist durch die finnischen Erfolge bei PISA oder die Anmeldung von Patenten falsifiziert. Aber das kaum schlechtere Abschneiden der Schweiz in diesen beiden Kategorien falsifiziert die rote Behauptung von der Unverzichtbarkeit der Gesamtschule – denn die Eidgenossen differenzieren wie wir zwischen Haupt- und Mittelschulen.

Es gibt offenkundig verschiedene Wege zu gutem Schulerfolg, und ich halte Frau Hammerschmids bisherige Weigerung, sich zu einer der beiden Ideologien zu bekennen und lediglich “die bestmögliche Schule” anzustreben, für einen entscheidenden Fortschritt gegenüber der dogmatischen Haltung ihrer Vorgängerin.

Da ÖVP und FPÖ als überwältigende politische Mehrheit im Einvernehmen mit der Mehrheit der Bevölkerung an der AHS festhalten wollen, ist es vernünftig, wenn wir von den bestehenden Verhältnissen ausgehen und versuchen, sie in Richtung Schweiz zu optimieren. Und in einem Punkt gibt es ausnahmsweise Übereinstimmung zwischen so gut wie allen (selbst roten und schwarzen) Experten, die sich mit Schule befassen: Die Forcierung der Ganztagsschule ist ein wesentlicher Schritt in Richtung zu dieser Optimierung.

Es gibt zwar (vornehmlich “bürgerliche”) Eltern, die auch das besser zu wissen glauben, aber diesbezüglich kann die Agenda Austria bei ihrer (vornehmlich “bürgerlichen”) Klientel hoffentlich wertvolle Aufklärungsarbeit leisten. Zu Recht weist sie darauf hin, dass die “verschränkte ” Ganztagsschule, in der einander Unterrichts-, Lern-und Freizeitphasen abwechseln, der anspruchsloseren (weit billigeren) Nachmittagsbetreuung bei Weitem vorzuziehen ist. Zu Recht stellt sie klar, dass Chancengleichheit für Kinder aus bildungsarmen Familien dort weit eher hergestellt werden kann. Zu Recht regt sie an, zu überprüfen, wie weit Zwei-Drittel-Voten der Eltern wirklich den Ausschlag dafür geben sollen, ob und in welcher Weise eine Ganztagsschule zustande kommt. Vielleicht kann die Agenda Austria sogar ÖVP und Finanzminister überzeugen, dass die höheren Kosten von deutlich mehr verschränkten Ganztagsschulen eine dem “Schuldenabbau” bei Weitem vorzuziehende Investition in die Zukunft darstellen.

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