Ein gescheiterter Versuch, zu begreifen, warum die ÖVP lieber Zweiter hinter der FPÖ als hinter der SPÖ sein will.
Im Schnitt der jüngsten Umfragen liegt die FPÖ bei 35 Prozent, und Heinz-Christian Strache zweifelt kaum mehr daran, Österreichs nächster Kanzler zu sein. Aber die Parteien, die nicht mit der FPÖ koalieren wollen – SPÖ, Grüne und NEOS –, liegen gemeinsam bei 45 Prozent. Wenn man davon ausgeht, dass auch nur die Hälfte der ÖVP-Sympathisanten lieber von Christian Kern als von Strache regiert wird, dann hat der FP-Chef unverändert die Mehrheit der Österreicher gegen sich.
Dennoch gehen fast alle politischen Beobachter davon aus, dass er spätestens 2018 Kanzler einer FP-dominierten Regierung ist.
Unter anderem hängt das mit der Vorstellung zusammen, dass es „undemokratisch“ wäre, die stärkste Partei – und das wird die FPÖ nach den Wahlen von 2018 zweifellos sein – von der Regierung auszuschließen. Doch das ist es nicht: Regieren kann – ich meine: soll –, wer die meisten Wähler hinter sich und jedenfalls nicht gegen sich hat. Mehrparteien-Regierungen unter Ausschluss der größten Partei sind eine legitime demokratische Möglichkeit und können auch funktionstüchtig sein: Man muss sich nur darauf einigen, dass ihre Abgeordneten ohne Klubzwang nach bestem Wissen abstimmen dürfen.
SPÖ und ÖVP haben jedenfalls diese Option, und wenn sie sie ernsthaft ins Auge fassten und schon jetzt probeweise so ähnlich agierten, könnte sich ihre Ausgangslage sogar noch erheblich verbessern.
Aber das ist zweifellos pures Wunschdenken: Die ÖVP zieht eine Zweier-Koalition mit der FPÖ einer Dreier(Vierer)-Koalition mit SPÖ, Grünen und NEOS offenkundig vor. Jüngstes Indiz: ihre Weigerung, die Wahl Alexander Van der Bellens zu empfehlen, obwohl Norbert Hofer in zentralen Fragen, voran der EU, das Gegenteil ihrer Politik vertritt. Und obwohl ihre Führung weiß, dass er als Bundespräsident vorzeitige Wahlen erzwingen kann, bei denen die ÖVP deutlich hinter der SPÖ zu liegen käme.
Nicht dass es mich moralisch empörte, dass die ÖVP zur Koalition mit der FPÖ neigt – genügend SP-Funktionäre tun das auch –, es wundert mich nur: Ist es für die ÖVP wirklich erstrebenswerter, Zweiter hinter der FPÖ Straches als hinter der SPÖ Kerns zu sein? Ist eine „rechte“ Regierung, die die EU nicht schätzt und von ihr nicht geschätzt wird, wirklich einer Regierung vorzuziehen, die die europäisch gesinnten Kräfte dieses Landes konzentrierte?
Strache lebt davon, dass seine Wähler so rasch vergessen, wofür freiheitliche Spitzenfunktionäre berühmt geworden sind.
Wobei die ÖVP als eindeutig kleinere der beiden Rechts-Parteien riskierte, dass Wähler, die diese Richtung schätzen, demnächst gleich die FPÖ wählen, während alle, die sie nicht schätzen, wohl die SPÖ stärkten. Wäre die FPÖ eine ganz normale Partei, so wäre diese Konstellation die natürlichste: Eine Koalition rechter Parteien steht einer links-grün-pinken Opposition gegenüber. Die Regierung kann besser regieren, weil sie in sich kohärenter ist, und wird, wenn sie scheitern sollte, von einer in sich ebenfalls etwas kohärenteren Opposition abgelöst. Aber die FPÖ ist keine normale Partei. Was sie unter „rechts“ versteht, ist weder „konservativ“ noch wirtschaftsliberal, sondern xenophob und chauvinistisch mit gelegentlich brauner Tönung durch „Keller-Nazis“. Die blaue Anti-EU-Emotion ist die logische Ergänzung dieser Grundhaltung.
Auch die Antipathie gegen die repräsentative Demokratie als „Parteienwirtschaft“ eint die FPÖ weit mehr mit den „wahren Finnen“, „UKIP “oder dem „Front National“ als mit der ÖVP. Ausfluss dieser Haltung, nicht der republikanischen Gesinnung der Schweiz, ist die blaue Forderung nach Plebisziten: Das Volk mit seinem „gesunden Menschenverstand“ möge an Stelle „abgehobener Politiker“ die großen Entscheidungen treffen (siehe Brexit).
In der aktuell so wichtigen Wirtschaft ist die FPÖ dagegen eher alt-links: mit kapitalismuskritischen Sympathien für Staatseigentum und der Forderung nach punktuellen staatlichen Interventionen. Nach „Leistung“ wurde in der Theorie zwar lautstark gerufen – aber in der Praxis fragt Walter Meischberger, wo seine Leistung war.
Strache lebt davon, dass seine Wähler rasch vergessen, wofür freiheitliche Spitzenfunktionäre berühmt geworden sind: Walter Meischberger, Gernot Rumpold, oder Uwe Scheuch wurden durchwegs der Korruption überführt. Peter Westenthaler muss sich demnächst neuerlich wegen Betruges und Untreue verantworten, und auch Karl-Heinz Grasser, der im BUWOG-Skandal unter Anklage steht, entstammt der FPÖ. Es gibt keine andere Partei, die in so kurzer Regierungszeit so viel Korruption geliefert hat. Und was passiert, wenn Freiheitliche gar die Spitze einer Regierung bilden, zeigte Kärnten: Schlusslicht bei allen ökonomischen Kennzahlen, aber mit der „Hypo“ Spitzenreiter bei der Geldverbrennung.
Dass eine tumbe Bevölkerung das alles vergisst, wenn ihr Hofer und Strache mit strahlend blauen Augen „Ehrlichkeit und Sauberkeit“ versprechen, muss ich zur Kenntnis nehmen (schließlich kann jeder vierte Österreicher nicht sinnerfassend lesen), aber dass die ÖVP lieber Zweiter hinter dieser FPÖ als hinter der SPÖ und vor den Grünen sein will, ist mir ein Rätsel