Mutige Irmgard Griss

Mit ihr wachsen die Chancen der NEOS die kommenden Wahlen zu überstehen – ihre Chancen auf eine Karriere sinken.

Im ersten Wahlgang der Bundespräsidentschaftswahlen habe ich Griss gewählt, weil ich sie unbeschadet ihres Alters für die jugendlichste Kandidatin hielt: Wirklich unabhängig in ihrem Denken und Handeln, wirklich intelligent und absolut eigenständig.

In keiner Weise bereit, das was sie für richtig hält, dem persönlichen Erfolg zu opfern. So handelt sie offenkundig auch diesmal.

Aus den Fernsehdebatten zur Präsidentschaftswahl habe ich folgende Schlüsselszene in Erinnerung: VP-Kandidat Andreas Khol minimierte seine Chancen, indem er Verständnis für das Freihandelsabkommen CETA äußerte; FPÖ- Kandidat Norbert Hofer maximierte sie, indem er erklärte CETA energisch abzulehnen und als Bundespräsident nicht zu unterzeichnen – denn das entsprach damals der Meinung der überwältigenden Mehrheit der Österreicher. Rudolf Hundstorfer äußerte sich für die SPÖ so kritisch wie möglich, wenn auch längst nicht so dezidiert wie Hofer und daher mit entsprechend weniger Applaus. Die einzig sachlichen, vernünftigen Stellungnahmen gaben zu Beginn der Debatte Irmgard Griss und Alexander van der Bellen ab: Man könne unmöglich ein Abkommen von vornherein ablehnen, solange es weder ausverhandelt noch inhaltlich bekannt sei.

Aber je länger die Debatte andauerte und je heftiger das Publikum der ablehnenden Haltung Hofers applaudierte, desto mehr wich Van der Bellen von dieser Einsicht ab um am Ende restlos umzuschwenken: Wenn er es recht bedenke, sei doch auch er voll und ganz gegen CETA.

Die einzige die bei Verstand blieb war Irmgard Griss: Man könne nicht ablehnen, was man nicht kenne.

Ich halte für nützlich, wenn es im Parlament Abgeordnete gibt, die sich zu diesem Grundsatz bekennen und halte diese rationale Grundeinstellung im Übrigen für den größten Vorzug der NEOS überhaupt: Ihrer Funktionäre sind intellektuell offen und zu ehrlicher Diskussion bereit sind.

Mit der ÖVP wäre Griss besser gefahren

Meine Begeisterung für Griss hat sich in der Folge etwas abgekühlt, als sie sich in der Stichwahl zwischen Hofer und Van der Bellen nicht und nicht für den grünen Professor aussprechen wollte, obwohl sie in zwei entscheidenden Position mit ihm übereinstimmte und in diametralem Gegensatz zu Hofer stand: Sie hielt für undenkbar, dass der Präsident die Regierung nach seinem Gutdünken entlässt und für ähnlich undenkbar, dass Österreich die EU verlässt.

Das, so meinte ich, müsste ausreichen, sie zu einer Wahlempfehlung für van der Bellen zu veranlassen.

Am Ende reichte es auch aus – doch es hat sehr, sehr lange gedauert.

Ähnlich lang hat es gedauert, bis Griss sich entschied, für die NEOS zu kandidieren. Aber ihr Entschluss zeichnet sich einmal mehr dadurch aus, dass sie ihn nicht davon abhängig gemacht hat, ob er ihr persönlich Erfolg bringt.

Denn sie wäre zweifellos besser gefahren, wenn sie sich der Kurz-ÖVP angeschlossen hätte, die sie lange Zeit nicht minder umworben hat: Bei deren doch ziemlich wahrscheinlichen Wahlsieg wäre sie als Justizministerin kaum zu umgehen gewesen, denn es ist schwer, sich eine kompetentere Besetzung vorzustellen.

So hingegen wird es immer noch sehr viel Glück brauchen – wird Sebastian Kurz ein Dutzend Fehler a la „redigierte“ Kindergartenstudie machen müssen – damit die NEOS nicht doch von der ÖVP ausgesogen an der fünf Prozent-Hürde scheitern.

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