Der erlahmte Lohn-Kampf der Gewerkschaften

Das BIP steigt und steigt, aber die Gewerkschaften setzen keine höheren Löhne durch. Kern wie Schulz kostete das Stimmen – die Wirtschaft kostet es technologischen Fortschritt.

In Österreich liegt die SPÖ 8 % hinter der ÖVP- in Deutschland hat die CDU 15 % Vorsprung vor der SPD.

Österreichs Wahlkampf weist zwar eine aktuelle Besonderheit auf – Sebastian Kurz wird Christian Kern vor allem vorgezogen, weil man ihm die größere Kompetenz in der „Flüchtlingsfrage“ zuschreibt, während Angela Merkel weit vor Martin Schulz liegt, obwohl sie in der „Flüchtlingsfrage“ Gegenwind hat – aber die langfristige Ursache des schlechteren Abschneidens der beiden Sozialdemokraten ist eine andere: Einstige Kernwähler – Arbeiter, unterbezahlte Angestellte, prekär Beschäftigte oder Arbeitslose – glauben nicht mehr, dass SPD oder SPÖ ihre Anliegen vertreten.

„Holt Euch, was Euch zusteht!“ ist ihnen gegenüber kein brauchbarer Slogan. Wären sie dazu in der Lage, so hätten sie es längst getan. Es ist das Wesen ihrer Lage, dazu nicht in der Lage zu sein.

Höchstens bis in die Siebzigerjahre haben Gewerkschaften und sozialdemokratische Parteien als starke Organisationen für sie erreicht, dass sie bekamen, was sie für ihren gerechten Anteil am Wohlstand hielten. Wie aber sollen Arbeiter des Jahres 2017 sich von SPD und SPÖ vertreten fühlen, nachdem ihre Reallöhne in den letzten zwanzig Jahren nicht nur nicht gestiegen, sondern gesunken sind, obwohl sich Österreichs oder Deutschlands BIP im gleichen Zeitraum verdoppelt hat?

Das Sinken der Arbeiter-Löhne ist nur augenfälligster Teil einer allgemeinen Entwicklung: Der Anteil aller Löhne am BIP ist in dem Ausmaß gesunken, in dem der Anteil aller Gewinne gestiegen ist. Bei uns (siehe Grafik), in Deutschland, in den USA – überall in der neoliberalen Welt.

Dabei müsste es uns nach der neoliberalen Theorie besser denn je gehen – denn die sagt ja, dass es allen umso besser geht, je besser es der Wirtschaft geht. Ich riskiere daher eine Gegen-Theorie: Es ist den Aktionären gelungen, zu Lasten der Werktätigen immer größere Gewinne zu erzielen, weil sich das Kräfteverhältnis zwischen ihnen und den Gewerkschaften verschoben hat.

Ich habe diese Kräfte-Verschiebung in den Achtzigerjahren im profil folgendermaßen begründet: Die steigende Arbeitslosigkeit entwickelter Volkswirtschaften, voran der BRD sei die Folge des Ersatzes menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen. Das vernünftigste Gegen- Mittel sei die Verkürzung menschlicher Arbeitszeit. (Das hat mir damals den Ruf eines Narren eingetragen, während heute zunehmend unbestritten ist, dass der technologische Fortschritt mehr Arbeitsplätze vernichtet als er schafft).

ÖGB wie DGB hatten Arbeitszeitverkürzung auch immer im Programm – aber neoliberal infiziert haben sie kaum dafür gekämpft.

Damit ist auch das Ende meiner Prophezeiung eintreten: Eine neue „industrielle Reservearmee“ hat sich gebildet und die Gewerkschaft massiv an Einfluss gekostet. Denn all die Menschen, die um ihren Job bangen, ihn bereits verloren haben oder prekär beschäftigt sind, gaben jeder Arbeitgeber-Forderung nach, wenn sie ihn nur behalten oder bekommen.

So ist es in Österreich wie Deutschland passiert.

Lohnerhöhungen waren nicht mehr durchsetzbar.

Mit der Osterweiterung erfuhr dieses Problem seine erste, mit der Globalisierung seine zweite massive Verschärfung: Sobald Unternehmer auch noch die Chance haben, ihre Produktion nach Polen oder Ungarn, Indien oder China zu verlagern, wird der Kampf der Gewerkschaften um höhere Löhne so schwierig wie vor hundert Jahren.

Und tatsächlich wurde er zunehmend aufgegeben.

Das wird DGB und SPD so verübelt, wie ÖGB und SPÖ. Denn es ist kein „Sachzwang“: Produktionsanlagen in Österreich oder Deutschland gehören zu den leistungsfähigsten der Welt. Ein Deutscher, der für 80 € eine Stunde an einer Maschine steht, die 1000 Zylinder fräst, produziert sie nach wie vor billiger als ein Chinese, der für 2 € in der Stunde mit seiner Maschine nur drei Zylinder fräsen kann.

So lange unsere „Lohnstückkosten“ auf diese Weise konkurrenzfähig sind – und das sind sie – sind es auch unsere Produkte.

Im Rahmen konkurrenzfähiger Lohnstückkosten kann daher sehr wohl um höhere Löhne gerungen werden.

Das ist in Deutschland seit Gerhard Schröder unterblieben und wurde vom DGB genau so akzeptiert wie von der SPD. Österreich schloss sich an: Auch hier akzeptierten ÖGB und SPÖ die Lohnzurückhaltung – es wäre auch schwer für heimische KFZ-Zulieferer, höhere Löhne als ihre deutsche Konkurrenz zu zahlen. „Lohnzurückhaltung“ im großen Deutschland musste Lohnzurückhaltung überall sonst nach sich ziehen.

Deutschlands Regierung hält das bekanntlich für eine gute Sache: Deutschlands Lohnstückkosten sind auf diese Weise konkurrenzlos niedrig, der Absatz seiner Produkte ist konkurrenzlos hoch- mit Problemen für alle anderen Industrienationen, die ich an dieser Stelle beschrieben habe.

Heute will ich auf ein Problem hinweisen, das seit zwanzig Jahren gleichfalls überall im neoliberalen Westen zu beobachten ist: So sehr von „Digitalisierung“ geredet wird, so wenig steigen Produktivität und Innovation.

Der „Standard“ referiert dazu die Theorie des US-Ökonomen Joshua Mason: Wenn Unternehmen kaum höhere Löhne zahlen müssen, sinkt der Antrieb zur Steigerung der Produktivität – schon gar, wenn auf Grund stagnierender Kaufkraft kaum gesteigerter Absatz in Sicht ist.

Vielleicht löst das alle unsere Probleme: Immer weniger technologischer Fortschritt – immer weniger freigesetzte Arbeitskräfte. Aber vielleicht wird es auch zur Falle: Dann nämlich, wenn die Chinesen, deren Löhne sehr wohl steigen, ihre Produktivität sehr wohl erhöhen.

4 Kommentare

  1. Leider investieren die Unternehmen trotz immer höherer Gewinne eben nicht entsprechend mehr – weder in neueTechnologien noch in neue Märkte. Die Insvestitionsquote am BIP ist vielmehr so niedrig wie nie. Wenn es den Druck steigender Löhne nicht gibt, sinkt zwangsläufig das Interesse an Insvestitionen zur Förderung der Produktivität wie an der Ausweitung der Produktion.

  2. Mein Eindruck ist: kein Unternehmen teilt heute gewachsene Gewinne mit dem Personal, sondern investiert diese umgehend in neue Märkte, etc., neben der (stilleren) großzügigen Ausschüttung.

    Niemals wird sich die ökonomische Situation von Mitarbeitern verbessern, wenn diese nicht von größeren Interessensvertretungen gut verhandelt werden. (Überzogene Forderungen schwächen das Anliegen.)

    Darum halte ich den Slogan „… was Ihnen zusteht“ für gut und die SPÖ für gut beraten, wenn sie sich auf ihre traditionellen Themen besinnt, aber mit großem Engagement NEUE Lösungen und Wege für die aktuellen Probleme erarbeitet – Start sofort, und dann dran bleiben, konstant und verlässlich!

  3. Einer der wenigen Journalisten der die (ökonomischen) Tassen im Schrank hat…Apropos Wahlkampf: grosse Politiker/-innen erkennt man an Taten, nicht am Marketing.

  4. Zum Beginn Ihres Kommentars:
    “ In Österreich liegt die SPÖ 8 % hinter der ÖVP- in Deutschland hat die CDU 15 % Vorsprung vor der SPD.“
    Ja warum ist die SPÖ so desaströs abgesunken und siecht jetzt nur mehr dahin?: Diese unfassbaren Fehler mit dem Herrn Silberstein, mit dirty campaigning gegen Außenminister Kurz (Höhepunkt der Vergleich des Bundeskanzlersohnes Niko Kern mit Sebastian Kurz und dem blutrünstigen Massenmörder Idi Amin!), das Desaster mit der CETA Urabstimmung (88% der SPÖ Mitglieder stimmten gegen CETA, ungeachtet dessen fuhr Kern nach Brüssel und unterschrieb für CETA), etc. etc. Das sind alles Probleme, die die SPÖ selbst zu verantworten hat und deshalb darf sich niemand wundern, wenn diese Partei am 15. Oktober einen Bauchfleck hinlegt, den es weder in der ersten noch in der zweiten Republik jemals gegeben hat!

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