Das Wahlsystem erfordert zu oft Koalitionen, die nicht wirklich funktionieren können. Wie sollen Neuwahlen etwas andres als Jamaika bringen? Ein Mehrheitsförderndes Wahlrecht wäre für beide Länder die bessere Lösung.
„Besser nicht regieren, als schlecht regieren!“ Eigentlich ist diese Aussage, mit der FDP-Obmann Christian Lindner begründet, Jamaika gesprengt zu haben, nicht unvernünftig.
Allerdings hätte ich vermutetet, dass eher die Positionen von CSU und Grünen in der Flüchtlingsfrage unvereinbar sind, als dass die FDP unvereinbare Positionen in Wirtschaftsfragen sieht.
Vor allem, ob man Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige gewährt, ist wirklich – auch in Österreich- höchst heikel. Denn es stellt einen entscheidender Pull-Faktor für die Zuwanderung von Wirtschaftsflüchtlingen dar: Familien suchen das Kräftigste ihrer jüngsten Kinder aus, um den gefährlichen Weg nach Europa zu wagen; schon wegen ihrer Jugend können die Betreffenden nicht zurückgeschickt werden, selbst wenn die Verhältnisse in den Ländern aus denen sie kommen das zuließen.
Gleichzeitig sind es meist Länder, in denen nicht ein, zwei, sondern vier, fünf Kinder das übliche Maß darstellen, so dass Familien-Nachzug durchaus bis zu sieben Personen bedeutet.
Familiennachzug bedingt beträchtlichen Aufwand
Entsprechend hoch kann der Aufwand an Mindestsicherung, Schulraum, Wohnraum oder Spitalsraum ausfallen, den das aufnehmende Land zur Verfügung stellen muss und der Zeitpunkt zu dem die Aufgenommenen ihn durch ihre eigene Wirtschaftsleistung wieder begleichen, liegt meist ferner als Grüne sich das vorstellen.
Deutschlands ehemaliger christlich -sozialer Arbeitsminister Norbert Blüm hat dennoch einen flammenden Apell veröffentlicht, dass eine Partei sich nicht „christlich“ nennen könnte, wenn sie den Familiennachzug ablehnt und ich sehe das ähnlich- aber die CSU oder die ÖVP sehen das zweifellos anders. Und zumindest ihr Argument, dass die Integration von noch mehr Personen als den tatsächlich Asylberechtigten die Gesellschaft überfordert ist keineswegs abwegig.
Ich hätte mir vorstellen können, dass Grüne oder CSU die Sondierungsverhandlungen verlassen- Horst Seehofer nicht zuletzt um Angela Merkel eins auszuwischen – dass die FDP sie verlässt, hätte ich eher nicht erwartet.
Das Tempo des Kohleausstiegs schien mir eigentlich verhandelbar.
Ich bin gespannt, ob Christian Lindners Kalkül aufgeht? Kann sein, dass die Wähler seine Entschiedenheit honorieren – kann aber auch sein, dass sie ihn dafür bestrafen, Neuwahlen vom Zaun gebrochen zu haben.
Merkels Minderheitsregierung könnte durchaus funktionieren
Die meisten Kommentatoren erwarten, dass Neuwahlen kommen. Bundespräsident Walter Steinmeier, dem dabei eine Schlüsselrolle zukommt, kann freilich ebenso gut eine Minderheitsregierung Merkels befürworten, die meines Erachtens in Deutschland noch bessere Karten als in Österreich in Händen hätte: Merkel brauchte nicht die geringste Sorge haben, dass diese Regierung gestürzt würde, denn dazu bedürfte es eine Allianz aus SPD, Grünen, FDP, Linker und AfD – und die ist ausgeschlossen.
Solange sie gute Gesetzentwürfe präsentierte, hätten es FDP, Grüne und SPD hingegen sehr schwer, ihre Zustimmung zu verweigern. Merkel könnte also eine durchaus effiziente Minderheitsregierung anführen, der sich Grüne und FDP dann irgendwann doch anschlössen.
Kommt hinzu, dass höchst fraglich ist, ob Neuwahlen das aktuelle Problem beseitigten.
Ich kann mir allenfalls vorstellen, dass ein paar CDU Wähler Lindners Verhalten goutieren und zur FDP wechseln – aber eine stärkere FDP und eine schwächere CDU/CSU änderten nichts an der Notwendigkeit einer Jamaika-Koalition, wenn man eine sichere Mehrheit will. Denn selbst eine in Neuwahlen erstarkte SPD ginge kaum von ihrem Entschluss zur Opposition ab, dankte sie dieses Erstarken doch eben diesem Entschluss.
Frankreichs Wahlsystem als Vorbild
In Wirklichkeit müsste man in Deutschland wie in Österreich das Wahlsystem überdenken. Denn in beiden Ländern erzwingt der normale Wahlausgang Koalitionsregierungen bei denen in drei von vier Fällen Parteien zur Zusammenarbeit gezwungen werden, die in wesentlichen Fragen ziemlich verschiedene Lösungsvorschläge haben und außerdem meist auch noch glauben, sich gegeneinander profilieren zu müssen. (Dass es in Österreich diesmal anders ist, ist eher ein historischer Zufall und bringt andere Probleme mit sich: In Wirklichkeit stimmen ÖVP und FPÖ bezüglich der EU-Politik oder Freihandelsverträgen in keiner Weise überein)
Normalerweise ist es eher schwer, in Koalitionen effizient zu regieren und die Wähler nehmen deren mangelnde Effizienz immer übler.
Ich bin deshalb ein Anhänger eines mehrheitsfördernden Wahlrechts, wie es mir derzeit am besten in Frankreich verwirklicht scheint: Ein Präsident erreicht mit seiner Partei im Normalfalle eine Mehrheit, die ihn seine Pläne halbwegs effizient durchsetzen lässt. (Auch wenn ich diese Pläne im Fall Emanuel Macrons nur teilweise für die richtigen halte – aber genau das sollen am Ende seiner Amtsperiode die Wähler beurteilen.) Gleichzeitig verhindert das französische Wahlsystem sehr lange, dass extreme Parteien entscheidenden Einfluss auf die Politik erhalten.
Ich glaube daher, dass Deutschland wie Österreich der Wechsel zu einem mehrheitsfördernden Wahlsystem gut täte.
8 Kommentare
Bei der zu befürchteten Zuwanderung ist vor allem der finanzielle Aspekt zu beachten. Bei einem derzeitigen Schuldenstand von rund 300 Milliarden und dem Nichtwollen der Politik sich das Geld dort zu holen, wo es im Übermaß vorhanden ist, befürchtet der sogenannte kleine Mann, dass man ihn wieder einmal zur Kasse bitten wird. Kein Wunder, dass die Volksmeinung immer mehr nach rechts abrutscht. H.Petrik
Ich gebe es ehrlich zu, für mich sind auch die weiterführenden Kommentare sehr hilfreich . ?
Ein Mehrheitswahlrecht ist sicher diskutierenswert – aber nur, wenn die Legislaturperiode von fünf Jahren wieder auf vier verkürzt wird.
Diese Verlängerung war ohnehin eine Frechheit, kein einziger Wähler wollte sie, es wurde ja auch keiner gefragt, das wurde im Parlament husch-husch durchgewunken. Bei einer allein regierenden Partei wäre diese Frist bis zu einer möglichen Abwahl entschieden zu lang.
Sie könnte dann auch nur drei Jahre dauern, weil auch die langwierigen Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen wegfallen würden und die neue oder alte Regierung gleich weiterarbeiten könnte.
Und „demokratie-politisch“ wäre es auch ehrlicher, weil man wählt derzeit eine Koalition und weiß gar nicht welche. Aber wie schon geschrieben: Bei drei in etwa gleich starken Mittelparteien wird es so ein System bei uns nie geben.
Ich bin mir sicher, dass die deutschen (und natürlich auch die österreichischen Wähler) diese Tatsachen und ihre Auswirkungen nicht kennen! Außerdem habe ich große Zweifel, dass sich eine Partei eine Änderung des Reststimmenverfahrens auf die Fahnen schreiben wird, denn jede Änderung dieses Verfahrens könnte dieser Partei bei der nächsten Wahlen bei gleicher Anzahl der Stimmen weniger Mandate bringen.
Aber über eine Änderung des Wahlrechts wird ja schon jahrelang diskutiert….
Soweit mir bekannt ist passt sich die Zahl der Kinder in der zweiten oder dritten Generation der Immigranten sehr wohl an die der einheimischen Bevölkerung an. Leider kann ich mich nur erinnern, dass dies eine französische Studie war.
„Nachzug“ zuzulassen, wäre wahrlich eine Art „Umvolkung“ – um dieses böse Wort zu gebrauchen -, und das bereits in mittlerer Zukunft. Deshalb muss man als Demokrat das zur Kenntnis nehmen, was das (ansässige) „Volk“ wirklich will – bzw. nicht will.
Über dieses Thema wurde meines Wissens nie wo wirklich direkt abgestimmt. Ich denke, dass ein Ergebnis darüber überall gleich eindeutig wäre – unabhängig jeder Religion / Konfession auf der Welt!
Aber zum eigentlichen „Problem“ und zu einer Frage, die sich kaum wer – öffentlich – stellen traut:
„Darf es sein, dass ein Frau mehr als drei Kinder bekommt?“ Die Antwort wäre mehr als eindeutig: „Na selbstverständlich!“
Und schauen wir einmal auf Afrika: Dort hat sich die Bevölkerung seit hundert Jahren vervielfacht(!) und tut es weiter. Frauen haben immer schon sehr viele Kinder bekommen, nur sind wahrscheinlich die meisten von ihnen nicht in die Geschlechtsreife gekommen sondern sind verhungert, an Krankheiten gestorben und in (Stammes-)Kriegen umgekommen. Da sich die Ernährungs- und Gesundheitssituation doch verbessert hat (natürlich nicht mit unserem Standard vergleichbar), kam / kommt es zu einem explosionsartigen Bevölkerungswachstum. Daher müssen / wollen viele Menschen in Regionen, wo es ihnen besser geht. Klimawandel ist auch ein Faktor – hat aber mit der Bevölkerungsexplosion nichts zu tun – eher im Gegenteil, sollte man meinen!
Also was jetzt? Diese Menschen einfach sterben lassen – wie früher? Sie alle zu uns kommen lassen? Ihnen Enthaltsamkeit bzw. Empfängnisverhütung empfehlen? Sie kastrieren? …
„Gute“ – humane – Menschen werden antworten: Die werden sich schon ändern (wenn sie einmal das sind). Nur bis jetzt ist das nicht wirklich feststellbar gewesen.
Das sind die wirklich ganz großen Fragen, die sich zumindest bei uns viele Menschen – wenn nicht sogar die Mehrheit – stellen. Dagegen sind Themen wie Koalitionen relativ unbedeutend.
Persönlich bin ich absolut für ein mehrheitsförderndes Wahlrecht – aber bei nahezu drei gleich starken Mittelparteien nicht (mehr) zu realisieren.
Ich bin auch für ein mehrheitsfördendes Wahlsystem, allerdings eher in Form eines Bonussystems für die stärkste Partei wie es das etwa in Griechenland oder Italien gibt. Ein solches System kann dennoch das ganze politische Spekturm abbilden und führt auch nicht zu umgekehrten Mandatsverhältnissen (die stimmenschwächere Partei erhält dennoch eine Mandatsmehrheit).