„Steht Europa vor einer Merkel-Dämmerung?“ fragte Claudia Reiterer „im Zentrum. „Jein“ lautet die Antwort – es wird sie sicher noch die kommenden vier Jahre geben und wahrscheinlich wird doch die SPD ihr Partner sein. Ich revidiere auf Grund der Sendung meine Meinung, dass die SPD eine solche Koalition weiterhin ablehnen wird – sie wird sie aus staatsbürgerlicher Verantwortung eingehen.
Europa – diesbezüglich haben CDU-Teilnehmer Elmar Brok und Politikberater Karl Jurka mich überzeugt-braucht ein stabil regiertes Deutschland, um in Zeiten des Brexit und spannender Vorschläge aus Emanuel Macrons Frankreich maximal handlungsfähig zu sein.
Vor allem aber braucht die EU ein anderes Deutschland und dafür bietet, diesbezüglich teile ich die Meinung Ulrike Guérots von der Donau-Universität, ihre momentane Schwäche eine Chance: Es ist in Wirklichkeit ein ungeheurer Segen, dass „Jamaika“ geplatzt ist.
Denn mit Jamaika wäre FDP-Chef Christian Lindner Deutschlands Finanzminister geworden. Wolfgang Schäuble hat die Erholung und Weiterentwicklung der EU nur erschwert – unter Christian Lindner wäre sie ausgeschlossen. Er will wie die AfD keinen deutschen Cent anders als deutsch genutzt und in Deutschland investiert wissen.
Gott sei Dank herrschte in dieser Sendung ausnahmsweise Einigkeit darüber, dass es nicht stimmt, dass sich die andern EU-Mitglieder auf Kosten Deutschlands saniert haben.
„Deutschland lehnt genau das ab, was die USA soviel erfolgreicher als die EU macht“
- Deutschland will keine „Transfer-Union“. Das unterscheidet die EU entscheidend von den USA, denn dort werden die Kosten für die Arbeitslosenversicherung, für Sozial- und vor allem für die (unzureichenden) Medizin-Programme, fürs Militär und für Teile der Polizei gemeinsam getragen. Ökonomen schätzen diesen Transferanteil auf 30 Prozent.
- Und Deutschland will keine „Eurobonds“ weil dabei andere von der hohen Bonität Deutschlands profitierten, während in den USA selbstverständlich alle Bundesstaaten bei ihren Krediten von der hohen Bonität der USA als Ganzes profitieren.
Diese Haltung Deutschlands ist der Hauptgrund für das normalerweise soviel schlechtere Funktionieren der EU (auch wenn im Moment Donald Trump dafür sorgt, dass sich der Unterschied im Funktionieren minimiert).
Deshalb braucht die EU ein wirtschaftspolitisch anders tickendes Deutschland. Und während Christan Lindner als Finanzminister dafür gesorgt hätte, dass es noch etwas nationaler tickt, als schon unter Schäuble, sorgte ein SPD- Finanzminister dafür, dass es etwas EU-freundlicher tickte.
„Dass die EU sich dank des deutschen Rezeptes erholt hat ist ein deutsches Märchen“
„Im Zentrum“ ist zu Recht der Brückenschlag mit Emanuel Macrons Frankreich im Zentrum der besprochen Aufgaben einer deutschen Regierung gestanden. Frankreich will an Stelle des Spar-Paktes wenigstens mehr gemeinsame Investitionen, durch ein größeres gemeinsames EU-Budget und einen EU-Finanzminister. Deutschland will das vorerst zwar nicht, aber in der SPD hat man den Spar-Pakt, die Zurückhaltung bei staatlichen Investitionen sowie die „Lohnzurückhaltung“ schon immer mit (leiser aber zunehmender) Skepsis betrachtet. Ein SPD – Finanzminister – und es bestünde kein Zweifel, dass die SPD ihn als Preis für ihre Koalitionsbereitschaft zugestanden erhielte- könnte und würde die Deutsche Wirtschaftspolitik in Richtung zu diesen Zweifeln verändern.
Im Zentrum hat Elmar Brok, unterstütz von der ORF-Korrespondentin Birgit Schwarz wieder einmal die Behauptung aufgestellt, dass Deutschlands Rezept zu Bewältigung der Finanzkrise – im Wesentlichen der Sparpakt- ja immerhin die Erholung der EU herbeigeführt hätte.
Das ist ein durch alle Zahlen widerlegtes deutsches Märchen- Europas Wirtschaft hat sich nur trotz des Spar-Paktes, wenn auch ungleich langsamer als in den USA, erholt. Weil es bei fast jedem wirtschaftlichen, eigentlich nur von außen (den USA) induzierten Absturz, eine Talsohle gibt, von der aus es wieder aufwärts geht. Dass das Wirtschaftswachstum derzeit in Spanien, in Portugal, aber selbst in Griechenland ein besonders hohes ist, bestätigt keineswegs die Qualität des deutschen Rezeptes, sondern rührt davon her, dass der Absturz in diesen Ländern ein besonders dramatischer war, so dass die Erholung von besonders tiefsten „Tälern“ ausgegangen ist. (In Irland ist das Wirtschaftswachstum sogar ein gigantisches- die Insel ist die Internetsteueroase der ganzen Welt geworden)
Aber erst 2015, sieben Jahre nach Ausbruch der Krise, hat die EU pro Kopf und an der Kaufkraft gemessen wieder ihr Vorkrisen-BIP erreicht – in den USA lag es mehr als 2700 Dollar über dem Jahr 2008.
Die US- Arbeitslosenrate liegt heute mit 4,4 Prozent sogar unter Vorkrisenniveau – die der EU liegt immer noch bei 7,7,Prozent., die aber vor allem dem gewaltigen Rückgang in Deutschland und dem selbstverständlichen industriellen Aufholprozess des ehemaligen Ostblocks zu danken sind.
Die deutsche Behauptung, dass gerade der „Süden“ sich jetzt prächtig entwickle, möge man an folgenden Beschäftigungszahlen messen: In Spanien ist die Beschäftigung seit 2006 von 19,9 auf 18,4 Millionen gesunken; in Portugal von 5,1 auf 4,69 und in Griechenland von 4,53 auf 3,68 Millionen – obwohl der Terror in Afrika und der Türkei diesen Ländern einen einzigartigen Tourismusboom beschert.
Und in Italien dauert weiterhin das niedrige Wirtschaftswachstum an.
3 Kommentare
Die Bundesanleihen der USA (US Treasuries) dienen ausschließlich der Finanzierung des amerikanischen Bundesbudgets, das natürlich – wie geschildert – wesentlich größer Aufgaben hat als das Budget der EU. Eine ‚Übersetzung‘ auf die EU würde bedeuten, Eurobonds ausschließlich für das Budget der EU (anstelle der Mitgliedsländerbeiträge) zu emittieren.
Die Budgets der amerikanischen Staaten werden – analog zu den EZ Staaten – durch eigene Staatsanleihen finanziert. Diese Staatsanleihen bauen zu 100% auf eigenständiger Bonität der einzelnen Staaten auf. Die amerikanische Verfassung beinhaltet eine no-bail-out Klausel, die es dem Bund explizit verbietet, einzelnen Staaten finanziell zu Hilfe zu kommen. Dem (total überschuldeten) Bundesstaat Illinois geht es z. B. schlechter als Griechenland, weil er bei der Sanierung seiner Staatsfinanzen nicht mit Bundeshilfe à la EMS rechnen kann.
Die Finanzierungskosten der einzelnen US Staaten sind unterschiedlich und richten sich nach der eigenen Bonität. Sie sind natürlich ungünstiger als die Finanzierungskosten des US Bundes.
Die Befürworter von Eurobonds wollen Eurobonds, um die Budgets der einzelnen EZ Länder zu finanzieren. Das ist ein vollkommener Widerspruch zum amerikanischen System. Ein einheitlicher Zinssatz für recht unterschiedliche Volkswirtschaften führt zu Verzerrungen, die man am jetzigen Zustand der Eurozone beobachten kann. Zu Beginn der Eurozone galt die sogenannte Zinsenkonvergenz als Beweis des Erfolges des Euros. Heute wissen wir, dass diese Konvergenz der größte Unsinn war und massgeblich zum Fast-Zusammenbruch der Eurozone beigetragen hat.
PS: dass man mit Eurobonds eine Ausweitung der Aufgaben der EU finanzieren sollte/könnte, ist ein separates Thema.
Grundsätzlich trifft diese Unterscheidung zu. Ganz so strikt wird die no-bail-out Klausel allerdings nicht gehandhabt: Die US-Bunderegierung bezahlt Bundesstaaten, die besonders hohe eigene Zinsen zahlen müssten Zuschüsse um deren Abdeckung zu erleichtern. Und die Bundesstaaten müssen selten besonders hohe eigene Zinsen zahlen, weil die Bonität der USA als Ganzes eben doch positiv auf ihre eigene Bonität abfärbt.
In Deutschland wird die SPD weiter an die AfD verlieren wie bei uns die SPÖ an die FPÖ, unabhängig, ob sie in Opposition geht oder Juniorpartner der Merkel-CDU/CSU bleibt.
Das ist nicht allzu schwer vorauszusehen.
Aber warum ist das so:
Das „Ausländerthema“ überstrahlt alles. Die (weitere) Entwicklung der EU, Wirtschafts- und Steuerthemen (Steuergerechtigkeit, Steuervermeidung), Schuldenkrise, … Solange die SPD (und bei uns die SPÖ) „Zuwanderung“ – in welcher Form auch immer – nicht konsequent ablehnt oder gar begrüßt, werden den sozialdemokratischen Parteien die Wähler (weiter) davonlaufen.
Und nur wirkliche Träumer – oder gut bezahlte Politiker – glauben, dass sich die EU positiv entwickeln kann und wird. Die Konstruktionsfehler waren zu groß, als dass sie mit so vielen – wirtschaftlich unterschiedlichen – Mitgliedern noch zu reparieren wären.
Nachsatz: Der US-Trump möge ein Vollidiot sein – was er aber sicher nicht ist. Aber an den politischen Schaden, den Merkel 2015 in Europa angerichtet hat, kommt er noch lange nicht ran.