Die Tücken der “schwarzen Null”

Wenn notwendige Investitionen des Staates nicht von ihrer Berechnung ausgenommen werden, ist sie wirtschaftspolitischer Schwachsinn.

Zu den paar Fragen, in denen die Unterhändler der geplatzten Jamaika-Koalition in Deutschland einig waren, zählte der beschleunigte Ausbau des Glasfaser-Netzes. Mit einer Einschränkung: Seine Kosten dürften die “schwarze Null” nicht gefährden, erklärte die “Wirtschaftspartei” FDP.

Da Österreich, wie eben aus den Koalitionsverhandlungen verlautete, vor der gleichen Aufgabe des flächendeckenden Netzausbaues steht und Sebastian Kurz und H.C. Strache “Schuldenbremse” und “schwarze Null” auch bei uns verankern wollen, scheint mir berechtigt, zu diskutieren, wie vernünftig es ist, diese beiden Forderungen zu kombinieren.

“Ein Unternehmer dem man das zumutete, griffe sich an den Kopf”

 Obwohl ich den Staat sonst ungern mit Unternehmen oder Personen vergleiche – er soll ja Leistungen erbringen, die beide nicht erbringen – scheint es mir diesmal geboten: Glaubt jemand, dass ein Unternehmen gut beraten ist, wenn es die Anschaffung neuer Maschinen, von denen es weiß, dass sie seine Produktivität vervielfachen, hinausschiebt, weil es zu diesem Zweck einen großen Kredit aufnehmen, also Schulden machen müsste?

Ich glaube, jeder Unternehmer, dem man das zumutete, griffe sich an den Kopf.

Wenn es stimmt, dass das Glasfasernetz die Voraussetzung der Industrie 0.4 ist – und daran zweifelt eigentlich niemand – dann ist es in Wahrheit grundvernünftig, wenn ein Staat Schulden macht, um es schnellstmöglich auszubauen.

Deutschland- und das erschwert jede Diskussion- ist allerdings in einer besonderen Lage, auf die ich hier schon einmal eingegangen bin: Es hat dank zwei Jahrzehnten “Lohnzurückhaltung” zu Lasten aller anderen Länder Exportmärkte hinzugewonnen, so dass seine Steuereinnahmen sprudeln. Daher kann es sein zurückgebliebenes Glasfasernetz vielleicht auch schnell genug ausbauen, ohne sich zu verschulden – Österreich kann das kaum.

“Die 60 Prozent-Schuldengrenze ist willkürlich”

Woher kommt die Vorstellung, dass der Staat, um eine geeignete Infrastruktur herzustellen, keine Schulden eingehen darf, obwohl er sie zu seinen besten Zeiten- beim Ausbau des Eisenbahnnetzes- selbstverständlich eingegangen ist?

Mastermind war der Ökonom Kenneth Rogoff, der aufgrund von Wirtschaftsdaten aus 200 Jahren und 44 Staaten ermittelt haben will, dass eine Staatsschuldenquote über 90 Prozent die Wirtschaft im Schnitt um 0,1 Prozent schrumpfen lässt.

Das ist erwiesenermaßen falsch: Rogoff wurde nicht nur ein simpler Rechenfehler nachgewiesen, sondern er hat auch Volkswirtschaften, deren Wachstum seiner These massiv widersprachen- ­Kanada, Australien, Neuseeland- nicht berücksichtigt.
Es gibt die magische 90-Prozent-Grenze nicht. Die Entwicklung der USA falsifiziert sie weithin sichtbar: Obwohl sie mit 110 Prozent des BIP verschuldet sind, wächst ihre Wirtschaft weit stärker als die der EU.

Die 60 Prozent-Schuldengrenze der EU ist ähnlich willkürlich Um es diesmal am Vergleich mit einer Person zu illustrieren: Ein Mann, der im Jahr 60.000 Euro (5000 Euro pro Monat) verdient, dürfte demnach keinen Kredit von mehr als 36.000 Euro aufnehmen. Wenn er zu den üblichen Kredit-Bedingungen eine Wohnung kaufte, müsste man ihn in den Schuldturm sperren. Und einmal mehr griffe ein Unternehmer sich an den Kopf, dem man verböte, mehr als 60 Prozente seines Jahresertrages Kredit-finanziert zu investieren.

In Wirklichkeit ist die Verpflichtung des Staates, ausreichend in seine Infrastruktur zu investieren, eine noch viel größere, denn das Wohl aller Unternehmen auf seinem Gebiet hängt davon ab.

“Glaubt man wirklich, dass Bulgarien besser funktioniert, als Japan?”

Den Wert einer hochentwickelten staatlichen Infrastruktur konnte man aus dem Vergleich von West- mit Ost- Deutschland ablesen: Der Westen musste dem Osten durch Jahrzehnte Milliarden überweisen, um dessen ­Infrastruktur auf ein vergleichbares Niveau zu bringen.

Allein der Einblick in eine Tabelle der Staatschuldenquoten sollte eigentlich jede Überbewertung dieser Ziffer ausschließen: Glaubt man wirklich, dass Bulgarien mit seiner Staatschuldenquote von 26,3 Prozent wirtschaftlich besser funktioniert, als Japan mit seinen 255 Prozent?

In Wahrheit signalisieren die 26,3 Prozent Bulgariens das genaue Gegenteil: Dass nämlich notwendige Investitionen in sein Straßen- Strom-oder Kanalnetz, in seine Verwaltung und Rechtstaatlichkeit verabsäumt wurden.

Es ist dem Schuldenstand eines Staates nie nur sein BIP, sondern immer auch sein Kapital, also der Wert seiner Infrastruktur gegenüberzustellen. 2008 ist dergleichen zufällig in einer Frankfurter Zeitung geschehen: Da erschien zuerst die Gräuelmeldung, dass die Stadt Frankfurt mit 1,2 Milliarden überschuldet sei; wenige Wochen später ergab eine betriebswirtschaftliche Bewertung aller städtischen Vermögenswerte 18 Milliarden.

“Staatsschulden nützen der nächsten Generation in vielen Fällen”

 Staatsschulden sind kritisch, wenn die Finanzmärkte das Vertrauen in die Rückzahlungsfähigkeit eines Staates (einer Stadt) verlieren – siehe Griechenland. Aber sie schaden Frankfurt sowenig wie den USA oder Japan, weil nicht der geringste Zweifel an deren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit besteht.

Natürlich besteht er auch nicht bezüglich Österreichs.

Selbst die höchst populäre Behauptung, dass erhöhte Staatschulden “zu Lasten der künftigen Generationen gehen”, ist bei näherem Hinsehen unhaltbar. Denn wenn der Staat heute Schulden eingeht, um z.B. ein Glasfasernetz zu installieren, dann haben gerade “künftige Generationen” den entscheidenden Nutzen davon. Genau so wie sie am meisten von verbesserten Schulen oder beschleunigten Bahnverbindungen profitieren.

Die “schwarze Null” ist nur sinnvoll, wenn notwenige Investitionen des Staates ausdrücklich von ihrer Berechnung ausgenommen sind – sonst ist sie wirtschaftspolitischer Schwachsinn.

 

 

4 Kommentare

  1. Deshalb erschiene es mir auch höchst sinnvoll, den “Glass Stegall Act” wieder in Kraft zu setzen. Investments und Zahlgeld-Kreisläufe dürfen nicht vermischt werden! Wenn (vermeintlich) staatliches Bezahlgeld nur in Form eines Investments (Kredit von “Anlegern”) entsteht, hat der Staat seine Souveränität auch schon verloren und Demokratie wird zu einem Schauspiel herabgewürdigt.
    Ein kürzlich aufgeschnappter Ausspruch bringt es auf den Punkt: “Es muss nicht alles billig sein, so lange das Geld umläuft”. Deshalb ist auch das “Vollgeldkonzept” als erster Schritt zu einer Reform der Finanzarchitektur zu befürworten. http://www.vollgeld.de; http://www.vollgeld-initiative.ch; http://www.monetative.de; http://www.monetative.at; http://www.lifesense.at; u.a.

  2. Ist beim “besorgten Bürger” & Wahlvolk ,aber sehr verankert ! Diese Politiker(innen) ,die dieses “Mantra” stets gerne vorbeten ,bei sich selbst aber kaum das “beherzigen”!Das nur so “am Rande”….

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