Die wirkliche Schwäche des türkis-blauen Regierungsprogramm wird sich erst mit großer Zeitverzögerung zeigen – es ist nicht wirklich wettbewerbsorientiert sondern befördert niedrigere Löhne anstelle von Fusionen und steigender Produktivität
Das türkis-blaue Regierungsprogramm gefährdet nirgends Demokratie und Rechtsstaat. Innen- und Heeres-Ministerium in einer Hand bereitet nicht „1934“ vor, sondern wird bewirken, dass die beiden einander ergänzen, statt bekriegen. Das Problem liegt woanders: Herbert Kickl hat die Möglichkeit, Schlüsselpositionen seines Ressorts mit Männern zu besetzen, die „Daham statt Islam“ geil finden; Mario Kunasek kann Offiziere befördern, die in Migranten voran „Kriminaltouristen“ sehen. Solche Beamten werden wir auf Jahrzehnte nicht los.
Nur keine Flüchtlinge
Dass das Programm nirgends so detailliert ist, wie im Bemühen, weitere Flüchtlinge von Österreich fernzuhalten, irritiert zwar Christen, Grüne oder Leute wie mich, die auf Grund ihrer Familiengeschichte Verzweifelten ungern die Türe weisen (abgesehen davon, dass meine Wohnung immer groß genug war, Flüchtlinge aufzunehmen) aber es ist weder „menschenverachtend“ noch unverständlich: Österreich hat schon bisher mehr Flüchtlinge aufgenommen als vergleichbare Länder. Es ist unseriös zu behaupten, dass sie unsere Pensionen sichern. Die erfolgreiche Integration von Migranten aus fernen Kulturen kostet vielmehr Geld und kann sehr wohl zu kritischer Überforderung der Gesellschaft führen.
Ungedeckelte Geldbeträge als „Mindestsicherung“ sind unbestreitbar ein „Pull-Faktor“: Flüchtlinge suchen deshalb sehr wohl besonders gern in Österreich um Asyl an; arme Familien in Afghanistan oder Nigeria entsenden sehr wohl kräftige Jugendliche um hierzulande ein besseres Leben vorzubereiten. Als subsidiär Schutzberechtigte können sie nicht abgeschoben werden und nutzen ihr Recht auf Familiennachzug.
Das ist sehr wohl ein Problem.
Wo das Programm Asylberechtigte allerdings schlechter als Österreicher stellen will, verlässt sich Sebastian Kurz wie bei der Homo-Ehe offenbar darauf, dass der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmung kippt. Ob soviel gevifte Taktik wirklich auf einem „christlichen Fundament“ ruht, wird man wissen, wenn seine Bilanz österreichischer Hilfe vor Ort vorliegt.
Bombe mit Zeitzünder
Die „wirkliche Bombe“ des Programms liegt für Professor Martin Risak wie für mich im Arbeitsrecht. Sie ist denkbar unscheinbar und mit einem Zeitzünder versehen:
Das „Arbeitslosengeld neu“ soll kürzer ausgezahlt werden, längere Wege zum Arbeitsplatz sollen zumutbar sein. Es soll verstärkt auf das Vermögen Betroffener zurückgegriffen werden können.
Sie werden rascher = billiger Arbeit annehmen müssen.
Die Verlegung der (an sich sinnvollen) Arbeitszeitflexibilisierung von der Ebene der Kollektivverträge auf die von „Betriebsvereinbarungen“ wird Ähnliches bei Beschäftigten bewirken. Zwar wird nicht, wie anfangs erregt kolportiert, der „Zwölfstundentag“ eingeführt, aber er ist nicht mehr die Ausnahme, sondern kann jederzeit zwischen Betriebsrat und Betriebsinhaber vereinbart werden. „Selbstverständlich“, so wurde in Interviews betont, „unter Beibehaltung von Überstundenzuschlägen und ausgleichenden Zeitguthaben“.
Doch der Teufel liegt im Detail: Die Zuschläge können entfallen, wenn größere „Durchrechnungszeiträume“ vereinbart werden. Wenn sogar das Folgejahr einbezogen wird, kann auch das Zeitguthaben wertlos werden, denn es kann mit einer Periode zusammenfallen, in der der Arbeitgeber sowieso weniger Arbeit braucht.
Gefährdete Arbeitnehmer reagieren irrational
Das Grundproblem solcher „betriebsspezifischen“ Verhandlungen besteht darin, dass der einzelne Betriebsrat dabei gegenüber dem Betriebsinhaber in einer denkbar schwachen Position ist: Der kann immer mit der Betriebsschließung oder Übersiedlung drohen, die Belegschaft wird immer in panischer Angst um den Erhalt ihrer Jobs agieren.
Selbst Adam Smith, dem Vater der „unsichtbaren Hand“ die in der Marktwirtschaft angeblich alles zum besten lenkt, war diese Asymmetrie bewusst: Im Arbeitskampf, so erkannte er, hätten Arbeitnehmer es schwerer als Unternehmer.
Außer „Neoliberalen“, die ihre Theorien prinzipiell nie empirisch überprüfen, weiß jeder Ökonom, dass der Arbeitsmarkt „seitenverkehrt“ funktioniert: Markttheoretisch müssten Arbeitnehmer die Kündigungen fürchten, ihr Arbeitsangebot verknappen, Überstunden also unbedingt ablehnen- in der Realität sind sie zu jeder Ausweitung der Überstunden bereit. Markttheoretisch müssten sie auch ihren Konsum ausweiten, denn dann könnte Mehrproduktion mehr Arbeitsplätze schaffen- in der Realität schränken sie ihren Konsum ängstlich ein.
Die Arbeitsrechtsänderungen des Regierungsprogramms werden daher folgenden Effekt haben: Arbeitnehmer werden, wie in Deutschland, für mehr Arbeit noch weniger Lohn akzeptieren.
Niedrige Löhne sind das Faul-Bett schlechter Betriebe
Ich habe hier schon einmal erklärt, warum das effizienter Marktwirtschaft diametral widerspricht: Dort müssten steigende Löhne schwache Unternehmen, die sie nicht verkraften, vom Markt oder zu Fusionen drängen und zur Steigerung ihrer Produktivität zwingen.
Dieses maximierte Sozialprodukt gehört dann in einer „sozialen Marktwirtschaft“ sozial verteilt. Was auch keine Herzenssache der neuen Regierung ist: indem sie auf vermögensbezogenen Steuern so weit wie möglich verzichtet und die Steuersenkung vorbei an den Einkommensschwächsten plant, verfestigt sie deren prekären Status – voran vieler FP-Wähler.
PS: Von der Wirtschaft ausnahmsweise zur Kultur und zurück: Der Dachstuhl des Scala-Theaters, eine der besten Bühnen Wiens (zuletzt mit einer exemplarischen Inszenierung von Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“) bedarf dringend der Sanierung. Sie käme die behauptete „Theater-Stadt“ Wien weit billiger als die Arbeitslosigkeit zahlreicher Schauspieler im Fall einer Sperre.
6 Kommentare
An sich sinnvolle Arbeitszeitflexibilisietung?
Wo ist denn noch immer zu wenig flexibilisiert worden in den letzten 30 Jahren?
Der 12-Stunden-Tag kann doch schon jetzt zwischen Unternehmen und Betriebrat temporär vereinbart werden. Was will man denn noch mehr? Zustände wie in Bangladesh?
Ich möchte besonders darauf hinweisen, dass die Arbeiter, die Strache in der Hoffnung gewählt haben, er werde sich für sie — ihren Lohn — einsetzen, von den bis jetzt bekannt gewordenen Absichten der neuen Regierung überhaupt nicht begünstigt werden. Nur die Reichen und Reicheren werden von den angekündigten Massnahmen begünstigt. Strache ( und Kurz) werden in Zukunft keine Erbschaftssteuer und keine Vermögenssteuer zulassen — und die Wähler von Strache — die schon genannten Arbeiter haben — merken nicht einmal, dass sie die falschen Politiker gewählt haben.
„Solche Beamten werden wir auf Jahrzehnte nicht los“ Das mag etwas übertrieben sein und wird auch in Einzelfällen stimmen.
Bestimmte „Zuwanderer“ werden uns aber über Generationen Geld kosten, und ich fürchte, dass das gar nicht so wenige sein werden …
Danke für die interessanten Beiträge und frohe Weihnachten!
Viele Neofaschisten tragen eine Maske.
Sehr bedenkliche Entwicklung im Kleinstaat! Aber es war mehrheitlich der „Wählerwille“!
Wenn jetzt noch „Wien ist anders“ fällt, was durchaus im Bereich des möglichen liegt, dann „gute Nacht“, für „länger“….