Hartz IV steht noch nicht vor der Tür

Sozial- und nun auch Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein hat bei ihrem ersten Auftritt in der ZIB 2  den erwartet kompetenten Eindruck hinterlassen. (Man wird nicht Vorstand für Health Care Consulting bei der Wirtschaftsprüfungskanzlei Deloitte, wenn man davon nicht wirklich etwas versteht.)

Das ist insofern von besonderer Bedeutung, als sich nur im Gesundheitssystem wirklich große Einsparungen ohne Verlust an Leistung für die Betroffenen durchsetzen lassen: Österreich hat zu viele teure Krankenbetten, die in billige Pflegebetten umgewandelt gehören.

Haupthindernis ist wie immer der Föderalismus – aber damit ist die Steirerin aus ihrer Tätigkeit im Hauptverband der Sozialversicherungsträger zumindest bestens vertraut.

Auch die organisatorischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Tätigkeit Hartingers, die der FPÖ schon unter Jörg Haider diente, sind gut: Das Gesundheitsressort ist wieder mit dem Sozialressort vereint. Das war stets eine Voraussetzung erfolgreicher Gesundheitspolitik, denn das Sozial- nicht das Gesundheitsministerium hat die Aufsicht über die entscheidenden Player des Gesundheitssystems, die Krankenkassen, inne.

Hartinger und Türkis-Blau können hier also wirklich Lorbeeren ernten, wenn sie sich gegen den Föderalismus durchsetzen.

Das richtige Aus für einen überflüssigen Bonus

Im Mittelpunkt der ZIB stand freilich Hartingers Einfluss auf den Arbeitsmarkt. Schon jetzt beschlossen ist bekanntlich -nicht zuletzt auf Grund der Rekordbeschäftigung des „abgesandelten“(so WKO Präsident Leitl) Wirtschaftsstandortes Österreich – das Ende des Beschäftigungsbonus. Ich habe diesen Bonus schon immer für überflüssig gehalten: Vernünftige Unternehmer – und solche haben wir und wollen wir weiterhin haben – stellen niemanden ein, weil sie dafür einen Bonus erhalten, sondern weil sie ihn brauchen – dafür haben sie in der Vergangenheit überflüssiger Weise ein Geschenk erhalten.

Das Geld ist wesentlich besser verendet, wenn man es zur Verminderung der Lohnnebenkosten nutzt.

Bei der Aktion 20 000 mit der Langzeitarbeitslose wieder eine Chance auf Beschäftigung erhalten sollten – ein schwierigeres Problem hat der Arbeitsmarkt kaum zu bieten – hätte ich mir vorstellen können, dass Hartinger doch etwas länger abwartet, wie sie sich bewährt. Aber ob nicht auch dieses Geld besser zur Senkung der Lohnnebenkosten eingesetzt wird, traute ich mich nicht zu beurteilen.

„Soziale Kälte“ wage ich aus diesen beiden türkis-blauen Reformen jedenfalls nicht abzuleiten.

Wie zumutbar ist Aufstehen um 4 Uhr 30 

Eher schon bei einer Reform der Zumutbarkeitsbestimmungen, die Hartinger kaum der Rede Wert fand: Dass einem Arbeitssuchenden in Zukunft nämlich eine Anfahrt von zweieinhalb, statt zwei Stunden zuzumuten sei.

Schon bisher musste er zu diesem Zweck um ca. 5 Uhr früh aufstehen – jetzt ist es 4 Uhr 30. Ich frage mich, wie viele der Politiker, die dergleichen beschließen, durch einen längeren Zeitraum um diese Zeit aufgestanden sind. Ich habe diese Erfahrung als Früh-Redakteur des „Kurier“ gemacht und erinnere mich daran nur mit Grauen. (Ärzte können jederzeit ausführliche Studien über die negative Rückwirkungen auf die Gesundheit vorlegen)

Viel eindeutiger in die gleiche Richtung – nämlich zur rascheren Übernahme eines angebotenen Jobs – drängt die geplante, stärker degressive Auszahlung des Arbeitslosengeldes, obwohl ich zugeben muss, dass es ein Problem ist, wenn sich jemand auf dessen ewige unverminderte Auszahlung verlässt. Ich habe einmal in Verbindung mit einem steirischen Unternehmen einen Installations-Betrieb besessen und erinnere mich sowohl an Arbeiter, die gebeten haben, doch wieder in die „Arbeitslose“ gekündigt zu werden, um endlich im Pfusch ordentlich dazu zu verdienen, als auch an Arbeitslose, die nur vorsprachen um ihre „Unbrauchbarkeit“ bestätigt zu bekommen.

Man kann nur abwarten und prüfen

Es ist nicht leicht, Bestimmungen so zu gestalten, dass einerseits ausreichend Druck zur Annahme eines Jobs besteht und dieser Druck anderseits nicht dazu zwingt, Jobs zu miserablen finanziellen und sozialen Bedingungen anzunehmen.

Hier kann man nur abwarten und prüfen, wie sich die Dinge unter Türkis-Blau konkret weiter entwickeln. Eins Sorge vermochte Hartlinger zumindest zu beseitigen: Dass, wie in Deutschland, auf das Vermögen von Arbeitslosen zugegriffen werden kann.

Hartz IV steht also nicht unmittelbar vor der Tür – wir sind diesem System nur eine Nuance näher als zuvor.

Viele Österreicher meinen freilich – wie auch viele Deutsche – dass Hartz IV das eigentliche Geheimnis hinter dem Deutschen Wirtschaftswunder wäre. Das freilich ist in dieser Form ein Märchen. Die Deutsche Wirtschaft funktioniert so gut, weil sie über so hervorragende Produktionsanlagen verfügt. Und sie läuft Gefahr, diesen Produktivitätsvorsprung einzubüßen, wenn ihr weiterhin so billige Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.

Dafür ist Hartz IV jedenfalls mitverantwortlich. Ferner dafür, dass jeder sechste Deutsche – darunter 2,8 Millionen Kinder- als „armutsgefährdet“ angesehen werden muss.

 

9 Kommentare

  1. ….nicht unerwähnt darf aber folgendes bleiben: Die Deutschen haben eine lange Zeit hindurch meiner Meinung nach moralisch verwerfliche Zurückhaltung/Stagnation bei der Lohnerhöhung walten lassen und haben so einen massiven und für die anderen schädlichen Wettbewerbsvorteil ggü. anderen Ländern kreiert!

  2. Ich verstehe die Wortmeldungen von Kurz undCo so: Langzeitarbeitslose landen in der Mindestsicherung und werden abgeräumt (Zugriff auf „Vermögenswerte“), bevor sie in einer Mindestpension landen. Und damit das schön glatt geht (soll ja Eisprarungen bringen), stellen wir die Aktion 20.000 ein. Aber das Modell wird nicht Harz IV heßen. Nona besser kurz und g.

  3. Alle Verschärfungen betreffen Arbeitnehmer in nicht geschützten Sektoren.
    Die klassische ÖVP-Klientel, z.B. Beschäftigte im öffentlichen Dienst, die auch mit 55 nicht arbeitslos werden, muss wie üblich keinen Beitrag leisten. Neu ist an dieser Klientelpolitik genau gar nichts.

  4. Dieser Lingensche Kommentar hebt sich wohltuend von jenen ab, die mit aller Gewalt und Schaum vorn Mund gegen ÖVP-FPÖ wettern. Jetzt, wo die Wirtschaft einigermaßen rund läuft, ist der ideale Zeitpunkt, Reformen anzugehen. Eine weitere Auflage von Rot-Schwarz (oder nach den Wahlen ÖVP-SPÖ) hätte wieder Reformstillstand bedeutet, weil sich diese Parteien – wie immer – blockiert hätten.

  5. Anfahrtszeit 2 1/2 Stunden ist vielleicht im Grossraum Tokyo normal. In Oesterreich kommt man in der Zeit schon von Wien nach Salzburg. Zumutbar waere es m.M., den Wohnort zu wechseln. Wenn es in Wien wirklich keine Arbeit gibt, dann evtl. nach OOe oder Tirol uebersiedeln, statt jahrelang arbeitslos zu bleiben.

    1. Zum Einwand von Neumann: Ich habe nicht behauptet, das Arbeitslose generell in Hängematten liegen, sondern nur dass ich selbst erlebt habe, dass es die von mir beschriebenen Probleme gibt: Leute, die aufgetaucht sind, nur um die Bestätigung zu erhalten, sich gemeldet zu haben. Und jemanden, der gebeten hat, in die Arbeitslosigjeit gekündigt zu werden, um wieder pfuschen zu können.
      Ich glaube nicht, dass man das Verallgmeinern kann – aber man soll es auch nicht leugnen.
      Peter Michael Lingens

  6. Kein Unternehmer ist verpflichtet, geeigneten Arbeitskräften entgegen besseren Wissens „Unbrauchbarkeit“ zu bestätigen. Steuerberater könnten sicher auch davon berichten, dass sie von Unternehmen damit beauftragt werden, nach steuervermeidenden Schlupflöchern oder Konstruktionen zur Reduzierung von Steuern zu suchen, die dann auch individuell missbräuchlich angewandt werden. Und wenn Arbeiter darum bitten, in die Arbeitslose entlassen zu werden, um im Pfusch richtig Geld zu verdienen, wie war dann die Entlohnung? Meines Wissens war/ist es ganz im Sinne des Arbeitsgebers, siehe Baubranche oder Saisonbetriebe, Mitarbeiter außerhalb der Saison abzumelden. Die im Artikel speziell beschriebenen Beschäftigten und Arbeitslosen gab bzw. gibt es, sind sie aber so repräsentativ, die gesamte Arbeitnehmerschaft derart zu diskreditieren und Vorurteile zu manifestieren?

  7. Hinsichtlich des Bezuges von Arbeitslosengeld verwundert mich die Annahme, dass sich jemand auf dessen ewige unverminderte Auszahlung verlässt. Das kann nur jemand sein, der noch nie mit der Berechnung des Arbeitslosengeldes zu tun hatte. Das Märchen vom Arbeitslosen in der Hängematte ist eines der traurigsten und endet für die Betroffenen, die das glauben, wie die Geschichten vom Struwelpeter.

  8. Wie meistens ein sehr differenzierter und klarer Kommentar der es vermeidet auf die billigen und reflexartigen Kommentare unseres ehemaligen Bundeskanzler „hereinzufallen“!

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