Risiken und Chancen der Causa Landbauer

Eine seriöse Historikerkommission zur Aufarbeitung der braunen Flecken der FPÖ könnte für sie und Österreich zum historischen Befreiungsschlag werden.

Die Causa Landbauer eröffnet zwei Perspektiven: Das Risiko, dass sie nur die erste geplatzte braune Eiterbeule ist, die uns Sebastian Kurz mit seiner türkis-blauen Koalition beschert hat – und die Chance eines unerwarteten blauen Selbstreinigungsprozesses, der mit Landbauers Rücktritt begonnen hat und mit dem Bericht einer unabhängigen Historiker-Kommission über die braunen Flecken in der FP-Geschichte ihr Ende finden könnte.

Ich beginne mit der Eiterbeule. Wer Hans Henning Scharsachs Buch über „Die stille Machtergreifung der Burschenschaften“ gelesen hat, den kann nur das blanke Entsetzen packen: Es wimmelt in allen Burschenschaften, die er aus aktuellem Anlass anführt von „Kellernazis“ und ihr Verhalten schrammt fast durchwegs nur knapp am Verbotsgesetz vorbei. Wenn jetzt der Text „Gebt Gas ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million“ im Liederbuch der „Germania“ Aufsehen erregt, so ist er doch nur die Fortsetzung eines Liedes mit dem der NPD-Barde Michael Müller Ruhm unter Burschenschaftern erlangte, indem er textete: „Bei sechs Millionen Juden, da fängt der Spaß erst an“ bzw. “da ist noch lang nicht Schluss“. Noch 2003 lud H.C. Straches und Martin Grafs Burschenschaft „Olympia“ Michael Müller zu sich ein.

Es ist absolut kein Wunder, dass FP-Ideologe Andreas Mölzer (Vandalia Graz) Lieder dieser Art schon gehört „aber nicht mitgesungen“ hat, als man diesbezüglich „noch nicht so sensibel“ war. Er selbst war selten sensibel: Einer der prominentesten Trauergäste beim Begräbnis Müllers im Jahr 2009, der amtsbekannten österreichische Neonazi Karl Polacek zählte zu seinem „Personenkomitee“ für die Wahl ins EU-Parlament und war sein Co-Autor in der „Aula“ zum Thema „Als wir „befreit“ wurden“.

Am besten charakterisiert das „Netzradio Germania -für alle Kameraden und aufrechten Deutschen“, was diese Burschenschaften eint: Dass sie die Befreiung von Hitlers Herrschaft als größte Niederlage aller Zeiten empfinden.

Zur ihrer Psychologie: Polaczek wie Müller sind (wie übrigens auch Strache) vaterlos aufgewachsen und wurden in ihrer Jugend als „Dickerchen“ verspottet–das Macho-Gehaben der Burschenschaften mit Koma-Trinken und Mensuren musste sie gleich doppelt anziehen. Der Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer weist im profil zu Recht darauf hin, dass die zunehmende Verunsicherung eigentlich weicher Männer in einer Welt zunehmend gleichberechtigter Frauen diese Anziehungskraft massiv verstärkt. In den USA sind sie Kernwähler Donald Trumps, bei uns „retten“ sie sich in die patriarchale Vorherrschaft in „Burschenschaften“ und gelegentlich in den IS.

Sie bilden eine „völkische Parallelgesellschaft“(profil), nur dass ihr Einfluss auf Österreich den islamischer Parallelgesellschaften in Zukunft um Längen übertrifft. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Strache und vier seiner fünf Stellvertreter sowie 20 von 33 Mitgliedern des FP-Parteivorstandes sind völkisch Korporierte. In allen Ministerien haben die blauen Minister sofort Burschenschafter in neu geschaffene Schlüsselstellen (als Vorgesetzte der Beamten) gehievt. Wie in den USA die Tea-Party, erlangt damit eine eigentlich kleine, aber ideologisch fest gefügte und energiegeladene Gruppe überragenden Einfluss auf Österreichs Politik.

Sebastian Kurz, das will ich ihm konzedieren, hat davon dank jugendlicher Geschichtslosigkeit keine Ahnung gehabt – aber er wird vor der Geschichte die Verantwortung dafür übernehmen müssen.

Damit komme ich zur Chance, die das Ereignis dennoch bietet. Vermutlich hat Kurz darauf gedrungen, dass Strache Landbauer ablöst. Gerade noch rechtzeitig ist er damit auf die Linie eingeschwenkt, die Johanna Mickl-Leitner vorgegeben hat: Sie hat die NÖ-Wahlen nicht mit absoluter Mehrheit gewonnen, „obwohl“, sondern „weil“ sie sie sich so eindeutig von Landbauer distanziert hat.

Politisch ähnlich wichtig: Justizminister Josef Moser hat sich beinah wortgleich von ihm distanziert. Seine Behörde hat korrekt gearbeitet, sofort eine Hausdurchsuchung vorgenommen, die kriminaltechnische Untersuchung der Schwärzung angeordnet und mit Einvernahmen begonnen. Ob die Justiz unabhängig bleibt, ist in türkis-blauen Zeiten ähnlich entscheidend wie in der Amtszeit Trumps.

Weiteren Aufschluss darüber wird die Bestellung von drei Richtern für den VfGH geben, von denen die FPÖ zwei Im Kollegium beansprucht. Es wäre ein positives Zeichen, wenn voran der Forderung der Richtervereinigung nach ihrem Vorschlagsrecht und maximaler Transparenz Rechnung getragen würde.

Vor allem aber will H.C. Strache eine Historiker-Kommission einsetzen, die sich mit den braunen Flecken der FPÖ befassen soll. Das kann wie beim „Bund sozialistischer Akademiker“ der Beginn eines Selbstreinigungsprozesses sein, sofern Strache bei der Zusammensetzung dieser Kommission dem Rat Mosers Rechnung trägt: „Sie wird umso glaubhafter sein, je unabhängiger sie ist.“ Diese Unabhängigkeit wäre gesichert, wenn man wie bei der Waldheim-Kommission internationale Historiker und jedenfalls den in Österreich führenden Experten Oliver Rathkolb beizieht. Der Bericht einer solchen Kommission könnte dann trotz aufgezeigter brauner Flecken zu einem echten, dauerhaften Befreiungsschlag werden.

Wenn Strache das wirklich wagt, werde ich ihm abnehmen, dass er tatsächlich nicht mehr der ist, der als vaterloser Junge unter dem Einfluss seines Beinahe-Schwiegervaters Norbert Burger in die Neonazi-Szene geraten ist und drei Finger zum ihrem Hitler-Gruß erhoben hat, sondern ein Staatsmann, der um der Wahrheit willen über alle braunen Schatten gesprungen ist.

4 Kommentare

  1. Sollte es einen „geschichtslosen“ Kurz tatsächlich geben, dann ist er als Bundeskanzler völlig fehl am Platz, da er zum Spielball der Rechten in der FPÖ wird.
    Scharsach´s Buch „Die stille Machtergreifung“ zeigt doch deutlich auf, dass ein Strache und ein Hofer sich eben nicht von den Ideen der Burschenschaften entfernt haben, sondern sich derzeit nur den Mantel der Demokraten umgehängt haben. Außerdem sind sie dem rechten Rand einiges an „moralischer“ Verpflichtungen schuldig, sieht man dies doch an den Besetzungen der Ministerien und den Aufsichtsräten wie ÖBB usw.
    Daher gibt es keine Chance auf einen „Selbstreinigungsprozess“, denn das wäre ebenso irrrational, wie wenn der Papst sich als bekennenden Atheisten outen würde.

  2. „Sebastian Kurz, das will ich ihm konzedieren, hat davon dank jugendlicher Geschichtslosigkeit keine Ahnung gehabt…“

    S. Kurz mit einer derartig knapp gehaltenen Begründung in die Ahnungslosigkeit zu entlassen ist nicht der Umgang den er sich verdient hätte:

    Hr. Kurz hat ganz genau gewusst mit wem er sich da einlässt, welche Personalreserven die FPÖ aktivieren wird und wie dieser Trupp denkt und handelt.

    1.) Man müsste den Kanzler schon bei jeder Gelegenheit fragen, ob er DAS
    (den Umstand, dass jetzt eine Mehrzahl der FPÖ Abgeordneten im NR schlagende Burschen sind, und dass diese in den Salon und zu den Schaltstellen der Republik vorgedrungen sind)
    für möglich gehalten hat und wie es ihm damit geht.

    2.) Ferner müsste man ihn schon öfters fragen, ob er das Geschichts-/Gesellschaftsbild der völkisch-deutsch-national-autoritär patriarchalisch denkenden schlagenden Burschen kennt und wie er sich vorstellt, dass dieses vereinbar ist mit der Tätigkeit im NR und in den höchsten Ämtern Österreichs.

    3.) Drittens sollte uns S. Kurz seine roten Linien nochmals genau im Detail auseinandersetzen,
    seine 2-dimensionale Erklärung in Richtung Strafrecht/Verbotsgesetz kann für Politiker im Jahre 2018 in Mitteleuropa nicht der Goldstandard sein.

  3. Ich kann beim besten Willen nicht sehen, dass sich die SPÖ aus der Regierungsverantwortung gedrückt hat. Christian Kern wollte im Gegenteil mit Kurz bis zum Ende der Legislaturperiode weiter regieren – was der energisch abgelehnt und damit Neuwahlen erzwungen hat.
    Auch nach diesen Neuwahlen, die er erwartungsgemäß auf Grund seiner Flüchtlingspolitik gewonnen hat, wäre die SPÖ sofort auch einer von ihm als Kanzler geführten Koalition mit der ÖVP beigetreten. Kurz hat aber nicht eine Sekunde den geringsten Zweifel daran gelassen, dass er lieber mit der FPÖ regieren will und jetzt eben mit lauter Burschenschaftern regiert.

  4. Ich teile alle Ihre Ansichten bezüglich der Gefahr der Burschenschaften und die Hoffnung auf einen Befreiungsschlag. Was ich aber nicht teile ist das ununterbrochen darauf hingewiesen wird, dass Sebastian Kurz dies mit der ÖVP-FPÖ Koalition verschuldet hat. Wo bleibt hier die Verantwortung der 2. stärksten Partei der SPÖ, die sich sofort aus der Regierungsverantwortung gedrückt hat. Was wäre passiert, wenn Kurz die Arbeit mit der FPÖ verweigert hätte? Eine Große Koalition, mit weiterem Stillstand und Streit oder gar eine SPÖ-FPÖ Koalition, wie schon mehrmals praktiziert??

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