Die Bestellung der neuen Höchstrichter macht die Schwäche des Verfassungsgerichtshofes sichtbar. Ein „Brune“ könnte in absehbarer Zeit dort einziehen. In Deutschland hätte er es schwerer.
Nichts ist für ein Staatswesen wichtiger, als eine funktionierende Justiz: Die Türkei führt vor, wie ein Land trotz freier Wahlen zur Diktatur verkommt, wenn sie nicht funktioniert.
Zu Recht steht die Kür dreier neuer Richter des Verfassungsgerichtshofes daher im Zentrum des öffentlichen Interesses. Die meiste Kritik galt bisher dem VP-Kandidaten, Ex- Justizminister Wolfgang Brandstetter – es sei ein Problem, dass er womöglich eigene Gesetze prüfen muss. Das ist es in Grenzen auch. Er wird sich befangen erklären und es gibt genug Ersatzrichter – aber bei mir überwiegt die Befriedigung über die Kür eines anständigen, kompetenten Mannes, der kein VP-Büttel ist – jedenfalls hat er sich bei der Ablöse der Regierung Kern nicht so verhalten.
Der bekanntere der beiden FP-Kandidaten, der Rechtsanwalt Michael Rami scheint mir der FPÖ jedenfalls näher als Brandstetter der ÖVP zu stehen. Lange war er Kanzlei-Partner Dieter Böhmdorfers – bis heute ist er wie dieser in fast alle rechtlichen Aktionen gegen Kritiker oder Gegner der FPÖ involviert. Für glücklich halte ich so viel kämpferische FP-Nähe nicht – allerdings hat die SPÖ seinerzeit leider auch ihren kämpferischen Parteianwalt Wilhelm Rosenzweig zum Verfassungsrichter gemacht. Und in Medien-Fragen hielte vielleicht auch ich mich an Rami, denn darin ist er top.
Dagegen hielte ich mich in Verfassungsfragen kaum an den fixen FP-Kandidaten Andreas Hauer. Gegen seine Burschenschaft, „Alemannia Wien zu Linz“ hat zwar nicht einmal das „Dokumentationszentrum des österreichischen Widerstandes“ etwas vorzubringen, aber für den OÖ-Wohnbau-Landesrat und „Alemannen“ Manfred Haimbuchner gutachtete er, dass es verfassungskonform wäre, jemanden wegen mangelnder Deutschkenntnisse vom Bezug einer Gemeindewohnung auszuschließen; und durch die Wiener Akademikerball-Demonstranten sieht er das Recht auf Versammlungsfreiheit der Ballgäste gefährdet. Ich glaube, dass er in beiden Fällen juristisch danebenliegt. Dass er der Menschenrechtsjudikatur des EuGH Mitverantwortung für eine „multikriminelle Entwicklung“ Europas zuschreibt, prädestiniert ihn auch kaum zum Verfassungsrichter.
Trotzdem erfüllt mich seine Kür mit nur halb so viel Sorge wie der gesetzliche Modus, nach dem Verfassungsrichter in Österreich bestellt werden. Denn der lässt zu, dass unter gar nicht so fernen Umständen auch ein Jurist der Burschenschaft „Bruna-Sudetia“ Verfassungsrichter würde, solange er erfolgreich bestreitet, ihr Liederbuch („Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million…“) zu kennen.
Wenn die ÖVP der FPÖ im Koalitionspakt die Kür ihres Kandidaten zugesagt hat – und Sebastian Kurz hat ihr bekanntlich alles Mögliche zugesagt – könnte sie einen „Brunen“ als Verfassungsrichter nicht verhindern.
Das könnte allenfalls der Bundespräsident. Denn er „ernennt“ den Verfassungsrichter und könnte gegen ihn als „brunen“ Richter ähnliche Einwände wie gegen einen „brunen“ Minister vorbringen. Van der Bellen täte das zweifellos – aber dass auch Norbert Hofer einen solchen Mann als Verfassungsrichter ausschlösse, ist mehr als ungewiss, stellt er sich doch hinter Brunen- Obmann Herwig Götschober als Mitarbeiter seines Kabinetts, solang die Justiz ihm keine Verantwortung für das Liederbuch zuweist.
Und Hofer wäre nicht nur um ein Haar Bundespräsident geworden, sondern will es in fünf Jahren endlich sein. Ich behaupte, dass der Modus, nach dem Österreich seine Verfassungsrichter bestellt, uns sehr ungenügend vor Kandidaten schützt, vor denen wir die Verfassung schützen sollten. Wie ist dieser Modus beschaffen?
Vorgeschlagen werden die Kandidaten wie fast überall von der Regierung oder parlamentarischen Gremien, in denen sie im Allgemeinen die Mehrheit hat. Damit fällt eine katastrophale Nominierung zwar fast immer auf die nominierenden Parteien zurück – aber das verhindert in keiner Weise das auf Jahrzehnte hinaus problematische Resultat.
So hätte die Alleinregierung Bruno Kreiskys den VfGH fast völlig für sich vereinnahmen können, wenn in seiner Ära zufällig besonders viele Mitglieder die Altersgrenze erreicht hätten. Bei aller Sympathie für die Kreisky-SPÖ hätte ich das für problematisch gehalten.
Aktuell werden neun von zwölf Verfassungsrichtern aus ÖVP und FPÖ kommen, und wenn Brigitte Bierlein demnächst die Altersgrenze erreicht, werden es zehn sein. Das schafft eine in meinen Augen problematische Rechtslastigkeit.
Und ich will mir lieber nicht vorstellen, wie der VfGH aussehen könnte, wenn Hofer Bundespräsident wird und die Koalition lange durchhält.
Ich weiß nicht, wie weit Sebastian Kurz in der Lage ist, über seine Kanzlerschaft hinaus zu denken. Aber noch kann er vielleicht in Kooperation mit der Opposition so viel Druck auf die FPÖ auszuüben, dass sie bereit ist, die Bestellung von Verfassungsrichtern dem deutschen Modell anzugleichen:
- Alle Parlamentsparteien haben der Reihe nach ein Nominierungsrecht.
- Der Nominierte muss sich einem ernsthaften öffentlichen Hearing stellen.
- Er muss vor allem, im National- wie im Bundesrat, bei einer geheimen Abstimmung eine Zweidrittelmehrheit, statt einer bloß einfachen Mehrheit, auf sich vereinen.
- Ich räumte den amtierenden Richtern darüber hinaus ein Veto gegen einen Kandidaten ein, den sie einstimmig ablehnen.
PS: Mein Text “Wie senkt man Mieten” stellte u.a. eine überholte Forderung auf: Es gibt die Steuerfreiheit für den Wertzuwachs von Immobilien nach zehn Jahren nicht mehr. Er ist, wie ich das fordere, zu jedem Zeitpunkt zu versteuern. Allerdings zu 30 Prozent während ich 50 Prozent für sinnvoll hielt.
Ein Kommentar
sie haben völllig recht, sich am bestellungsmodus , den övp und spö reichlich ausgenützt haben, zu stossen und nicht wie die spö an personen