Das italienische Drama

Der Wahlausgang entspricht der miserablen Wirtschaftslage. Die Italiener haben die EU-feindlichen Populisten gestärkt. Die italienischen Wahlen haben das erwartete Ergebnis gebracht: Die EU-feindliche, xenophobe, populistische Lega Nord hat im Bündnis mit dem Mafia-affinen Totengräber des Landes, Silvio Berlusconi, einen Sieg vor der chaotischen, populistischen, EU fernen Cinque Stelle, der Fünf Sterne-Bewegung gefeiert.

Der wirtschaftliche Zustand der, seit dem Ausscheiden Großbritanniens drittgrößte Volkswirtschaft der EU entspricht diesem Wahlergebnis und hat dazu einen entscheidenden Beitrag geleistet.

Das BIP/Kopf als wichtigste Kennzahl wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ist von 40.689 Dollar im Jahr 2008 auf 31.618 Dollar im Jahr 2017 gesunken. Dabei betrug es 2011 noch 38.003 Dollar, um erst mit Merkels und Schäubles genialem „Sparpaket“ völlig weg zu brechen. Italiens BIP liegt damit 2017 auf der Höhe des Jahres 2000 – das sind 17 verlorene Jahre.

Erwartungsgemäß ist die Schuld des Staates keineswegs gesunken, sondern von 1.606 Mrd. Euro im Jahr 2007 auf 2.226 Mrd. im Jahr 2017 gestiegen – die Staatsschuldenquote ist von 99,8 Prozent auf 135 Prozent explodiert. Die Banken haben über 300 Mrd. Euro „fauler Kredite“ in den Bilanzen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 11,2 Prozent, bei Jugendlichen über 30 Prozent. Die Löhne sind seit 2000 real nur um sechs Prozent gestiegen. Das Gehaltsniveau liegt deutlich unter OECD-Niveau. Italiens durchschnittliche Bruttomonatsgehälter liegen bei 2.100 Euro – in Deutschland bei 3.400 Euro. Wobei die Italiener keineswegs „faul“ sind, sondern im Gegenteil deutlich länger als Deutsche arbeiten. Aber das Geheimnis wirtschaftlichen Erfolgs liegt eben weder in niedrigen Löhnen bei langen Arbeitszeiten noch gar im Sparen des Staates, sondern in der maschinellen Ausstattung der Industrie.

Italiens Produktivität, wichtigstes Maß dieser maschinellen Ausstattung, ist seit 20 Jahren nicht gestiegen – so ziemlich das Schlimmste, was man über eine Volkswirtschaft sagen kann.

Die Zeitungen, allen voran die deutschen, werden also wieder einmal schreiben, dass Italiens Wirtschaft eben immer desolat war, weil es immer schlecht regiert und katastrophal verwaltet wurde. Das stimmt – aber nur halb.

Wesentlichen Anteil hat die deutsche EU- Politik 

Schließlich ist Italien trotz schlechter Regierungen, katastrophaler Verwaltung, lähmender Bürokratie und dramatischer Korruption seit dem zweiten Weltkrieg zur viertgrößten Volkswirtschaft Europas aufgestiegen, indem es vom Agrarstaat, der Gastarbeiter exportierte, zur Industrienation mutierte. Freilich immer nur im Norden – alle Versuche, den Süden zu industrialisieren, misslangen kontinuierlich. Trotz dieses Nord-Süd-Gefälles, trotz gigantischer Korruption und desolater Bürokratie konnte Italien bis in die 90er Jahre in der EU mithalten. Erst mit der Einführung des Euro verflachte die Wachstumskurve. Aber nicht, weil der Euro sie bremste, sondern weil Italiens Industrie zu wachsen aufhörte: Sie war ein besonders wehrloses Opfer des deutschen Lohndumpings, das deutschen Industrieprodukten einen Stückkostenvorteil von ca. 20 Prozent bescherte. Selbst innerhalb Italiens vermochte etwa VW oder BMW Marktanteile gegenüber Fiat oder Alfa Romeo zu gewinnen – umso mehr auf den Märkten der EU und der Welt. Italienischen Maschinen oder Geräten, ja selbst Luxusartikeln geht es nicht anders.

Eigene Fehler verschärfen die Lage

Natürlich treten gravierende eigene Fehler hinzu: Italiens stagnierende Produktivität – das zentrale Problem der italienischen Wirtschaft – verschärft diesen Rückstand kontinuierlich. Schon ab Einführung des Euro stagnierte die Investitionsquote bei 21 Prozent de BIP, um mit der Finanzkrise stärker als in allen anderen Industrieländern auf 16,8 Prozent abzustürzen und sich kaum mehr zu erholen. Vor allem die Investitionen in „Ausrüstung“ – neue Produktionsanlagen – gingen schon vor der Finanzkrise zurück. Liegt in Deutschland die Quote der Investitionen in Forschung und Entwicklung bei 2,8 Prozent des BIP (Österreich 3,1 Prozent), so liegt sie in Italien bei 1,8 Prozent.

Freilich nicht ganz losgelöst vom deutschen Lohndumping: Die wenigen Großunternehmen verdienten einfach nicht mehr genug, um groß zu investieren. Dazu kommt: Die relativ vielen Staatsbetriebe investierten an der falschen Stelle; und die zahllosen Klein- und Kleinstbetriebe (95 Prozent der italienischen Betriebe haben weniger als zehn Angestellte) eignen sich schlecht zur Produktivitätssteigerung. Zusammen mit der Berlusconi-korrumpierten Verwaltung führt  das dazu, dass sich Italiens Volkswirtschaft noch langsamer als in fast allen anderen EU-Volkswirtschaften von der Finanzkrise erholt.

Dieser schlechten Wirtschaftslage, den dürftigen Gewinnen, geringen Investitionen und staatlichen Fehlinvestitionen entsprechen die vielen faulen Kredite, an denen die Banken kranken.

Der Sparpakt hat die Erholung überall in der EU verlangsamt: man kann denkunmöglich mehr verkaufen, wenn der Staat seine Einkäufe drosselt, obwohl die Einkäufe von Konsumenten und Unternehmen stagnieren. (in der Krise darf der Staat nicht sparen“ so der „rechte“ bürgerliche Ökonom Erich Streissler). Für Italien mit seinem Mangel an betrieblichen Investitionen war die Drosselung staatlicher Investitionen – nicht in „Staatsbetriebe“, sondern in Forschung und Entwicklung und in Infrastrukturprojekte, die allen Betrieben Aufträge schaffen – eine besondere Katastrophe. Sie erschwerte, der durchs Lohndumping geschwächten Industrie das Leben maximal.

Soweit die deutsch geführte EU das konnte, hat sie den Niedergang des Berlusconi-geschädigten Landes maximal befördert.

 

3 Kommentare

  1. Antwort: Damit haben Sie recht. Die Renten, Hartz IV etc. sind zu niedrig. Die Infrastruktur (Schulen, Strassen und das digitale Netz) sind mangelhaft und rückständig in Deutschland. Die Deutschen schaden sich damit ja selbst, denn ihre Target 2 Forderungen können sie in den Wind schreiben. Sie haben einen Teil ihrer Porsches und Maschinen „gratis“ exportiert. Trotzdem gilt: Süditalien ist eine andere Welt und hat ganz andere Probleme als die Toskana oder die Lombardei.

  2. Herr Lingens, bei jedem zweiten Kommentar schieben sie Deutschland die Schuld an allen möglichen Missständen zu. Dass das Mezzogiorno seit Jahrzehnten von der Mafia und ihren Ablegern regiert wird, dass hunderte Milliarden an Subventionen und Investitionen fehlgeschlagen und versickert sind, ist daran auch Deutschland schuld? Manchmal kommt mir der Spruch in den Sinn: Wenn das einzige Werkzeug ein Hammer ist, dann sieht man überall nur Nägel! Sie haben oft recht, Herr Lingens, aber manchmal würde eine Verschiebung des eigenen Standpunktes nicht schaden, um eine etwas andere Perspektive zu bekommen.

    1. Ich schreibe sehr wohl von den EIGENEN Fehlern Italiens und „nur“ der MITSCHULD Deutschlands durch seine „zurückhaltende“ Lohnpolitik seit fast zehn Jahren. Deutschland hat sich nie an den vereinbarten Inflationspfad von 2 Prozent gehalten. Die Produktivitätssteigerungen fanden keinen Niederschlag in den Gehältern und Pensionen sind nur halb so hoch wie bei uns. Im „reichen“ Deutschland drängen so viele Menschen wie noch nie zur „Tafel“ um halbwegs satt zu werden, eine Million Kinder leben in extremer Armut. Der Inlandskonsum ist im Vergleich weiterhin schwach, dafür der Export so stark wie noch nie. Und das nicht nur weil deutsche Produkte im Ausland begehrt sind, sondern durch deutsches Lohndumping billiger im Vergleich zu den jeweiligen Mitbewerbern sind.

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