Kurz` erste Fehlkalkulation

Selbst tumbe Wähler könnten gemerkt haben, worauf das neue Arbeitszeitgesetz abzielt: Diese Regierung vertritt alles mögliche, nur sicher nicht die Interessen der Arbeitnehmer.

Erstmals hat sich Sebastian Kurz verrechnet. In seinem Bemühen, das Arbeitszeitgesetz unternehmerfreundlicher als jeder Unternehmer zu gestalten, hat er derart übertrieben, dass die Regierung in die Defensive geraten ist. Selbst Wähler, die sich täglich dafür begeistern, wie entschlossen Kurz & Strache „Flüchtlinge“ um ihre bisherigen Rechte bringen, begreifen, dass sie mindestens so sehr draufzahlen.

Das Arbeitszeitgesetz ist die vorerst dritte Etappe auf dem Weg zu weniger Geld in ihrer Tasche. Davor lag die Kürzung der Geld-Zahlungen aus der Mindestsicherung, die ab Jänner auch die betroffenen Österreicher spüren werden; dazu die geplante Vereinigung mit der Notstandshilfe, die künftig zulässt, auf das Vermögen Arbeitsloser rückzugreifen; schließlich die geplante Erhöhung der zumutbaren Fahrzeit zum Arbeitsplatz.

Es fehlten nur noch die stufenweise Senkung des Arbeitslosengeldes, wenn man einen Termin versäumt, damit alle Voraussetzungen erfüllt sind, die in Deutschland als Hartz-Reform dazu geführt haben, dass die Löhne weit hinter der Entwicklung der Produktivität zurückgeblieben sind. Denn wer gezwungen ist, so rasch wie möglich einen Job anzunehmen, muss dürftige Entlohnung in Kauf nehmen.

Durch Jahre gab es in der Bevölkerung dennoch „Hartz“-Verständnis: „Natürlich soll jeder möglichst rasch wieder arbeiten müssen!“ Mittlerweile ist dieses Verständnis stark geschrumpft: Die resultierende Entwicklung des deutschen Lohnniveaus hat dazu geführt, dass der Prozentsatz „Armutsgefährdeter“ mit 15,7 % einen historischen Höchststand erreicht hat- noch 2005 lag er bei 14,7%.

Kurz` Arbeitszeitgesetz übertrifft in der geplanten Form sein deutsches Pendant in der negativen Rückwirkung auf die Arbeitnehmer um Längen: Bekanntlich können ihnen darin 12 Stundentage, 60 Stundenwochen und Sonntagsarbeit angeordnet werden, statt dass dergleichen als Ausnahme mit der Gewerkschaft vereinbart werden muss. Der Arbeitnehmer muss die Ablehnung angeordneter Mehrarbeit begründen, statt dass sie wie zuvor gar nicht angeordnet werden konnte und die Ablehnung keiner Begründung bedurfte. Die Behauptung, dass der Arbeitnehmer in seiner diesbezüglichen Entscheidung frei ist, ist ein Witz: Wenn er drei Mal abgelehnt, ist er den Job los.

Die zwingende Rückwirkung auf die Löhne hat der Arbeitsrechtsexperte Thomas Neumann am prägnantesten zusammengefasst :“Wenn der Rahmen der Normalarbeitszeit ausgeweitet wird, verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass Überstunden bezahlt werden müssen. Das sagt die Mathematik.“

Dass das selbst blaue Wähler begriffen haben dürften und das Gesetz vielleicht doch überarbeitet wird, ist- wohl einzigartig in der Geschichte- voran dem Präsidenten der Industriellenvereinigung Georg Kapsch zu danken, der nicht bestritt, dass Gleitzeit-Arbeiter auf diese Weise um Überstunden umfallen und vor laufender Kamera forderte, das Gesetz zu überdenken, weil er das nicht wollte.

Man kann ein „Interessenvertreter“ und zugleich ein anständiger Mensch sein.

Ich will auch Kurz nicht Unanständigkeit unterstellen- wohl aber die unsinnige neoliberale Überzeugung, dass es allen umso besser geht, je heftiger dumme Unternehmer einem Gesetz applaudieren, weil sie vergessen haben, was Henry Ford schon vor hundert Jahren wusste: „Ich muss meine Arbeiter gut bezahlen, damit sie meine Autos kaufen können.“

Nicht nur der einzelne Arbeiter bekommt bei verlängerter Normal-Arbeitszeit weniger Geld. Viel dramatischer ist, dass alle Unternehmen erst viel später gezwungen sind, zusätzliche Kräfte einzustellen. „Flexibilisierung“ der Arbeitszeit ist für diese Rundum- Benachteiligung der Arbeitnehmer ein so guter Hebel, weil sie so logisch scheint: Es ist für das Unternehmen natürlich vorteilhaft, mehr Arbeitskraft zur Verfügung zu haben wenn mehr Aufträge zu erledigen sind. Aber diese erhöhte Verfügbarkeit der Arbeitskräfte, ist zumindest mit deutlich erhöhten Einkommen abzugelten. Es stimmt zwar, dass auch der Arbeitnehmer es gelegentlich vorzieht, seine Freizeit als Block zu konsumieren. Aber im geplanten Gesetz lag die Entscheidung darüber nie bei ihm: Er kann nicht fordern „Montag, Dienstag will ich frei haben!“- aber der Arbeitgeber kann anordnen „Diese Woche wird 60 Stunden gearbeitet!“

Es geht bei der „Flexibilisierung“ also vor allem darum, wie sie stattfindet: Ob Unternehmer und Arbeitnehmer im gleichen Ausmaß davon profitieren? Das ist nicht leicht in ein Regelwerk zu fassen, und die Sozialpartner haben es bekanntlich in der ihnen gesetzten Frist nicht geschafft.

Die Regierung hat an ihrer Stelle gehandelt – aber leider maximal einseitig.

Wie sehr einseitig neoliberale Vorstellungen das Denken selbst Unbeteiligter bereits durchdrungen haben, zeigte ein Frage, die der ZIB-Moderator Roman Rafreider dem Arbeitsrechtexperten Marit Risak stellte: „Sind wir nicht einfach im 21 Jahrhundert angekommen, wo eigentlich klar sein sollte, dass man auch mal 12 Stunden oder am Wochenende arbeiten muss? Ist das nicht einfach logisch.“

„Logisch ist es eigentlich nicht!“, musste ihn Risak belehren. Die Entwicklung ist eigentlich seit 1900 dahin gegangen, dass die Menschen dank fortgeschrittener Technik immer kürzer arbeiten mussten und dass immer mehr Rücksicht auf ihre Gesundheit und ihre Bedürfnisse genommen wurde. „Was wir jetzt hier machen ist, dass wir in Wirklichkeit die 48Stunden-Woche wieder einführen. Ob das fortschrittlich ist, ist eine Frage der politischen Beurteilung. Historisch weist es eher in die Vergangenheit.“

 

5 Kommentare

  1. Was Sie unter „tumben Wählern“ verstehen – darüber würde ich sehr gerne einmal mit Ihnen und anderen diskutieren. Diese gibt es nicht – so meine These. Sind Sie, Herr Lingens, ein „tumber Automechaniker“? Und lassen Sie Ihr Auto daher andere reparieren? Politikerinnen und Politiker sollten das Land regieren, auch für mich, der ich das nicht könnte. Der von Ihnen beklagte Zustand ist nicht durch – vielleicht etwas weniger gebildete – Menschen entstanden. Sicher nicht.

  2. S.g. Hr. Lingens, nach reiflicher Überlegung muß ich Ihren Kommentar ( ganz ungewöhnlich ! ) als ein wenig weltfremd klassifizieren: Sie haben offensichtlich deutlich zu wenig Kontakt mit dem Teil der Arbeitswelt, die davon in Wahrheit betroffen ist, nämlich die Gruppe der fleissigen Handwerker, die unter dem Kuratell von Arbeitsinspektorat und Gebietskrankenkassa stehen, die Ihnen in pingeliger Form vorschreiben, wie sie zu arbeiten haben.

    Ich habe in den letzten 20 Jahren in diesem Segment eine zunehmende ( geradezu hochaggressive und bösartige ) Unternehmerfeindlichkeit sehen müssen, die nicht im Geringsten zum Vorteil der betroffenen Arbeitnehmer, sondern nur zur Befriedigung der eigenen ideologischen (Vor-)Urteile dient.

    Besonders krass distanziert sich Ihr Kommentar von der Realität mit dem Absatz „Es fehlten nur noch die stufenweise Senkung des Arbeitslosengeldes…“

    Wenn Sie sehen würden, wieweit wir von diesen Maßnahmen ( auch in Fällen, wo es geradezu eine himmelschreiende Gemeinheit ist, daß keine Streichung von Arbeitslosengeld vorgenommen wird !! )
    entfernt sind, dann ist es für mich absolut unverständlich, warum Sie diese klassenkämpferische Terminologie verwenden.

    Fakt ist: dieses Gesetz wird ( aus meiner bescheidenen Sicht ) vielen kleinen Unternehmen helfen, endlich ein wenig realitätsnäher Stundenaufzeichnungen machen zu können, ohne sofort von einem Kontrolleur wegen lachhafter Abweichungen von den immer enger gesetzten Toleranzen mit einem Fuß ins Krimimal geschoben zu werden.

    LG Hufnagl

  3. KURZ und sein Team zerstören mutwillig die Sozialpartnerschaft und bringen damit das Gros der österr. ArbeitnehmerInnen in ein gefährliches, soziales Out. Das muss verhindert werden!

  4. Das wird sicher bei bewerbungsgesprächen berücksichtigt werden: „selbstverständlich ist alles freiwillig, aber sagen Sie, haben Sie jemanden, der ihre kinder vom kindergarten und der Nachmittagsbetreuung abholt und betreut, wenn Sie länger arbeiten müssen?“. Ufffg

  5. Der „12 Stunden Arbeitstag“ wird S. Kurz und der Regierung – wenn überhaupt – nur kurzfristig einen kleinen Einbruch bei Umfragen bescheren.

    Das „große Thema“ ist so dominant, dass alle rechten Parteien in Europa weiterhin Zulauf haben werden, solange sich Merkel hält und herumeiert, Da tun sich alle anderen mehr als leicht und können auch schmerzhafte Reformen ohne großen Schaden durchziehen.

    12-Stunden Arbeitstage und Wochenendarbeit gibt es bereits bei großen Firmen – sind auch bei der ÖBB seit Jahren Standard. Und in kleinen Unternehmen stehen auch heute schon Mitarbeiter zur Disposition, wenn sie angeordnete Überstunden oder Mehrarbeit in dringenden Fällen nicht leisten …

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