Der Kulturkampf im Klassenzimmer

Es gibt alle von Susanne Wiesinger aufgezeigten Probleme. Ethik-Unterricht, Aufsicht über den Religionsunterricht, Ganztagsschulen und „Durchmischung“ der Schüler könnten sie lindern.

Seit dreißig Jahren verlege ich im Hauptberuf das Jugendmagazin „TOPIC“, das mit 100.000 Abonnenten (140.000 Lesern) etwa die Hälfte aller Schüler zwischen 12 und 14 Jahren erreicht und ihnen u.a. politische Bildung vermitteln will. Da es durch „Buchklub“ und „Jugendrotkreuz“ an Schulen vertrieben wird, suche ich seit dreißig Jahren Schulen in allen Bundesländern auf und spreche mit Lehrern und Lehrerinnen – darunter meine Tochter und die Tochter meiner Frau- über ihre Probleme.

Ich maße mir also eine gewisse Kenntnis dieser Probleme und ein Urteil über Susanne Wiesingers Bestseller „Kulturkampf im Klassenzimmer“ an: er findet genau so statt, wie sie ihn beschreibt. Es gibt die Schüler, die sich als islamische Sittenwächter aufspielen und Lehrinhalte aus religiösen Gründen ablehnen; es gibt die Väter, die meiner Tochter nicht die Hand geben, wenn sie sie aufsucht, weil sie ihre Töchter nicht zum Unterricht schicken; und es gibt die Kinder, die das Fasten des Ramadan hindert, dem Unterricht zu folgen.

Dass all das diesen Unterricht unendlich erschwert, liegt auf der Hand, obwohl er an Wiener Schulen, wo die Hälfte der Kinder zu Hause nicht deutsch spricht, sowieso schon schwer genug ist: LehrerInnen müssen Schulaufgaben in ein und der selben Klasse in drei Schwierigkeitsgraden geben und korrigieren – für die, die fast nichts, für die, die einiges und für die, die fast alles verstehen. Auch wenn Österreichs Lehrer im internationalen Vergleich gut bezahlt sind, wird die Bezahlung dieser besonderen Anstrengung und Anspannung kaum gerecht. Es braucht dringend mehr Lehrkräfte – voran solche, die neben Deutsch auch die Sprachen der Herkunftsländer sprechen.

In der letzten ORF Diskussion „Im Zentrum“ versuchte Susanne Wiesinger unterstützt von Moderatorin Claudia Reiterer, konkrete Maßnahmen zu diskutieren, die die aufgezeigten Probleme lindern könnten und dabei auf parteipolitisches Hickhack zu verzichten. Bei FPÖ -Klubobmann Johann Gudenus war das leider ebenso unmöglich, wie bei SP-Bundesgeschäftsführer Max Lercher. Gudenus sprach fast nur vom endlich beendeten rot-grünen Versagen. Dass Landwirtschaft und Industrie, wo zu allen Zeiten „Schwarze“ dominierten, hauptverantwortlich für die Zuwanderung billiger, ungebildeter Erntehelfer und Hilfsarbeiter waren, ist ihm entgangen. Dass „Daham statt Islam“ die Integration islamischer Schüler kaum fördert, ist ihm fremd. Lercher vergeudete die Zeit mit nutzloser Gegenwehr und der falschen Behauptung, die SPÖ mache fast alles richtig.

Ich diskutiere hier also die konkreten Anregungen Wiesingers bzw. Reiterers, auf die leider fast nur die restlichen Teilnehmer, die Journalistin Melisa Erkurt, der Imam und Fortbildungsleiter für islamische Religionslehrer Ramazan Demir und Wiesinger selbst eingingen.

  • Wiesinger, Erkurt und Lercher waren einig, dass verpflichtender Ethik-Unterricht ein großer Fortschritt wäre. Ich füge an: er erlaubte es, die nahe Verwandtschaft von Islam und Christentum zu sehen und beider Anspruch auf den Alleinbesitz der „Wahrheit“ zu relativieren. Die „Aufklärung“ erhielte endlich eine Chance, auch als „Grundwert“ begriffen zu werden.
  • Demir bestand erwartungsgemäß (wie zu allen Zeiten die ÖVP) darauf, dass es auch den bisherigen Religionsunterricht geben müsse, und aus seinen Wortmeldungen war ablesbar, dass er Zwangsehen ablehnt und Frauen die Hand gibt. Ohne öffentlichen Islam-Unterricht fände der m.E. weit fundamentalistischer in Hinterzimmern statt.
  • Wiesinger und Gudenus befürworteten in der Schule ein Verbot des Kopftuches weil es die Unterdrückung der Frau symbolisiere. Demir war nicht in der Lage, das so zu sehen. Erkurt sehr wohl- nur bezweifelte sie den Sinn eines Verbotes: Sobald ein Mädchen die Schule verließe, würden ihre Brüder es als Sittenwächter zwingen, das Kopftuch wieder anzulegen. Ich neige eher dem Verbot zu, weil ich glaube, dass die Mädchen die Kopftuch-freie Zeit genössen und verteidigten. Lehrer könnten (sollten) ein Auge darauf haben, was Brüder ihren Schwestern beim Verlassen der Schule aufzwingen und es mit ihnen diskutieren.
  • Ganztagsschulen für alle, wie Wiesinger und Lercher sie forcieren wollen, während Gudenus auf Wahlfreiheit besteht, wären m.E. ein entscheidender Fortschritt: Die Zeit ohne Kopftuch und mit Deutsch als Unterrichtsprache verlängerte sich; das Mittagessen in der Schule linderte das Ramadan-Fasten-Problem. Kinder, so erklärte Demir, seien nicht zum Fasten gezwungen.
  • Wiesinger konnte sich vorstellen, dass man Familien, die ihre Kinder mehrfach nicht zum Unterricht schicken Beihilfen kürzt. Erkurt bezweifelte den Sinn einer finanziellen Strafe für sowieso arme Familien. Ich verweise auf Erfahrungen in Holland: Dort wurden, wenn Geldstrafen nicht eingetrieben werden konnten, drei, vier Mal Ersatz-Freiheitsstrafen verhängt – mit dem Erfolg, dass das fast nie mehr geschehen musste, weil es sich blitzartig herumsprach und die Fernbleibe-Rate drastisch zurückging.
  • Wiesinger versuchte vergebens, ihre Forderung nach „Durchmischung“ zur Diskussion zu stellen. Ich verweise darauf, dass „Bussing“ – der organisierte Transport von Schülern quer durch die Stadt um Weiße und Schwarze in Klassenzimmern besser zu durchmischen – in den USA ein ebenso umstrittener wie wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Beseitigung der Apartheit war. Jedenfalls halte ich es für unmöglich, Deutsch in Klassen zu erlernen, in denen, wie in manchen Klassen meiner Töchter, nur zwei Kinder Deutsch beherrschen.

5 Kommentare

  1. Da sie, Herr Lingens, in den meisten Ihrer Kommentare eher einseitig Argumente und Maßnahmen von SPÖ-Seite vertreten (die ach so tollen Wirtschaftsprogrammen dieser Partei z.B.) sollte ihnen schon klar sein, dass beispielsweise die Einführung einer „Ersatz-Freiheits-Strafe“ im Falle von Uneinbringlichkeit von Geldstrafen gerade von der SPÖ-Seite massivst bekämpft werden würde. Genau so wie die Kürzung von Beihilfen würde dies von der SPÖ als „menschenverachtend“ „neoliberal“ „sozial-kalt“ und sonst wie gebrandmarkt. Auch Selbstbehalte im Gesundheitsbereich, Ambulanz-Gebühr, Studiengebühren etc. allesamt intelligente Maßnahmen die zur Lösung von anstehenden Problemen führen könnten, wenn sie nicht von der SPÖ hintertrieben würden. Diese Liste liese sich nahezu endlos fortsetzen.

    Von linker Seite hat man es lange genug mit „Kuschel-Pädagogik versucht – die Ergebnisse sind eher armselig. So lange man nicht bereit ist den Verursachern der von Frau Wiesinger aufgedeckten Problemen mit Maßnahmen entgegen zu treten, die von den Betroffenen als Affront gesehen werden müssen, wird sich nichts ändern. Wie wäre es z.B. mit der Einführung von Schul-Uniformen? (Denke da ist auch wieder die SPÖ dagegen da ihr das zu „uniform“ bzw „militärisch“ sein wird)

  2. 1. Zum ersten Mal überhaupt in meinem Leben (Danke, Herr Lingens!)
    lese ich in einem Medium vom Drei-Level-Unterricht, obwohl dieser seit geraumer Zeit schon fast überall notwendig ist, scheint mir. Zum Beispiel auch in Gymnasien, wo ich sporadisch Einblick hatte.
    2. Bitte lesen Sie den ersten Aufzählungspunkt „Ethik-Unterricht“! Niemand soll mehr sagen können: „Das war mir ja gar nicht bewusst!“
    3. Durchmischung, letzter Punkt: ich habe nie verstanden, warum die Lehrergewerkschaft nicht „wie ein Mann“ auf der Straße steht und skandiert: „Mit uns nicht!“, gut durchmischte Klassen fordernd. Oder es wenigstens ablehnt, in Klassen zu unterrichten, in denen die Mehrheit dem Unterricht sprachlich nicht folgen kann.
    Durchmischung ist einer der wichtigsten Faktoren – wie man auch an Wien generell beobachten kann, dadurch eine der lebenswertesten Städte des Planeten.

  3. Die unser öffentliches Schulsystem ruinierten, ruinieren, schicken ihren „Nachwuchs“ auf Privatschulen! Und jene, die es sich „leisten“ können! Nicht nur bei SPÖ „Granden“ so…..

  4. Es ist wie mit Gift: Alles nur Frage der Dosis
    Der Einzelne / eine wirklich kleine Gruppe muss / wird sich (schnell) integrieren, um kein Außenseiter zu sein / zu bleiben.
    Wenn die Gruppe zu groß wird, fällt dieser Druck natürlich weitgehend weg.
    Und richtig spannend wird es erst, wenn die ursprünglich kleine Gruppe zur Mehrheit wird, und sich die Mehrheitsverhältnisse umdrehen.

    Und wir sind auf dem Weg dorthin – zumindest in Wien …
    Dass das Menschen auch in „ländlichen Gebieten“ erkennen, ist doch logisch. Naive Gutmenschen wundern sich jedoch, warum (auch) in diesen Gegenden rechts gewählt wird, obwohl dort (noch) kaum „Ausländer“ leben.

    Aber was ist die Lösung?:
    – Die, die bereits legal da sind, sollten bestmöglich „geschult“ und integriert werden, auch wenn das extrem mühevoll ist und nur teilweise gelingen wird.
    – Illegale und Kriminell-Gewordene gehören jedoch umgehend abgeschoben. Und wenn das nicht möglich ist, gehören sie in ein Lager, wo immer das errichtet wird. Wichtig jedoch: Das Lager ist immer offen! – aber nur Richtung Heimat. (Auch zur Abschreckung für weitere Migranten, obwohl selbst manche „Prominente“ die Pull-Wirkung noch immer verleugnen.)
    – Keinen einzigen mehr aus solchen Weltgegenden zuwandern lassen – und das Asylrecht strengstens anwenden. (Dann darf z. B. Homosexualität kein unüberprüfbarer Asylgrund sein.)

    Wem meine letzten zwei Lösungspunkte zu unmenschlich erscheinen, sollte sich – realistisch – vor Augen führen, wohin sich unsere Gesellschaft in ein-zwei Generationen entwickeln wird, und einschätzen, ob das dann nicht auch unmenschlich sein wird. Klar, kann einem das wurscht sein. Das könnte einem aber auch mit der Umwelt und dem Klimawandel sein …

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