Die seltsame Vorstellung, dass „Überschüsse“ des Staatshaushaltes ein Vorteil für die Bevölkerung sind.
Die Regierung befindet sich unverändert im Umfrage-Hoch. Wenig begeistert die Bevölkerung dabei mehr, als Sebastian Kurz` Feststellung eines historischen Durchbruchs: Erstmals seit 1954 gäbe der Staat weniger aus, als er einnimmt. Man erziele vermutlich erstmals einen „Überschuss“.
Der Applaus der Bevölkerung ist so heftig obwohl ihr zumindest klar sein müsste, dass die gute Konjunktur, die den „Überschuss“ ermöglicht, zweifelsfrei von der abgewählten rot-schwarzen Koalition grundgelegt wurde. Doch sie sieht das entscheidende Verdienst der aktuellen Regierung im „Sparen“: Erst sie sei so klug, diese gute Konjunktur zu nutzen, um Budgetüberschüsse zu bilden, indem sie weniger ausgibt.
Dass man das auch anders sehen kann, sieht die Bevölkerung nicht:
Wenn der Staat weniger ausgibt, als er einnimmt, gibt er der Bevölkerung weniger zurück, als er ihr wegnimmt.
Konkret: Die Regierung nutzte die dank der guten Konjunktur erzielten Mehreinnahmen nicht, um der Bevölkerung entsprechend gesteigerte Leistungen – bessere Schulen, mehr U-Bahnen, ein schnelleres digitales Netz usw. – zu bieten, sondern um den zitierten „Überschuss“ zu bilden. Das ist propagandistisch offenkundig sehr wertvoll. Aber normalerweise müsste die Bevölkerung eigentlich bedauern, dass sie auf diese Weise nicht in den Genuss gesteigerter Leistungen kommt.
Dass sie stattdessen applaudiert liegt daran, dass ihr eingeredet wurde, dass Überschüsse des Staates unglaublich nützlich sind, weil sie der Regierung erlauben, die Staatsschuldenquote zu senken. Denn mit Wolfgang Schäuble hält die Bevölkerung hohe Schulden-Quoten für verhängnisvoll- schließlich schnürt jede Hausfrau bei Schulden den Gürtel enger. Aber schon bei Unternehmen ist es meist besser, mittels zusätzlicher Kredite (= zusätzliche Schulden) in neue Produkte zu investieren. Bei Staaten ist es fast immer besser – weil ihre Investitionen unmittelbar Aufträge und Arbeit schaffen.
Ich weiß nicht, was ich noch anführen muss, um zu belegen, dass die Staatsschuldenquote eine ökonomisch nahezu irrelevante Zahl ist: die USA mit 108 Prozent stehen bei allen relevanten Daten – Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit, Zukunftstauglichkeit – weit besser als die EU mit ihren 81,2 Prozent da. Griechenland krankt nicht in erster Linie an seinen hohen Schulden, sondern seiner hohen Korruption. Japan mit seiner 233 Prozent Schuldenquote dürfte längst nicht mehr existieren. Die vom Sparpakt geforderte 60 Prozent Quote wurde von einem Ökonomen ersonnen, der Volkswirtschaften ausklammerte, die seiner These widersprachen und dem ein simpler Rechenfehler nachgewiesen wurde. Jemand, der 100.000 Euro im Jahr verdient, dürfte gemäß dieser These keinen Kredit von mehr als 60.000 Euro nehmen.
Die Forderung nach einer raschen Senkung der österreichischen Staatsschuldenquote ist ähnlich intelligent. Der schwarze Ex-Finanzminister Hans Jörg Schelling hat wenigstens gesagt, dass wir diesbezüglich „nicht unbedingt Vorzugsschüler“ sein müssten – Hartwig Löger hat uns dazu gemacht.
Obwohl vielleicht sogar dem „kleinen Mann“ einleuchtet, dass es angesichts minimaler Zinsen ökonomisch ungleich sinnvoller wäre, das digitale Netz schneller als geplant auszubauen oder das Schulsystem energischer zu sanieren, als die Staatsschuldenquote um vier Prozent zu senken.
Weil die mangelnde Aussagekraft der Schuldenquote zumindest denkenden Ökonomen klar ist, ergänzen Regierungen, die die Staatsausgaben dennoch dringend um „ausufernde Sozialleistungen“ senken wollen, ihre Sparappelle mittlerweile durch ein rationaleres Argument: Österreich würde dann von der niedrigeren Staatsschuldenquote profitieren, wenn die Zinsen wieder steigen, weil sein Zinsendienst dann geringer wäre.
Nur dass es auch diesen Zusammenhang zwischen Quote und Zinsen so nicht gibt: Der Zinsendienst Japans ist mit steigender Schuldenquote ständig gefallen. Es erhält trotz seiner 233 Prozent Schulden jede Menge Geldes zu günstigsten Konditionen weil es wirtschaftlich eben sehr stark ist. Österreich trotz seiner 74,8 Prozent natürlich auch. Nur wenn es zum Beispiel sein Bildungssystem nicht energischer verbessert, ist seine Bonität gefährdet.
Zugleich ist ein massiver Anstieg der Zinsen weit und breit nicht in Sicht. Es gibt vielmehr jede Menge billigsten Geldes, das nur darauf wartet, zu noch so niedrigen Realzinsen in halbwegs funktionierenden Volkswirtschaften veranlagt zu werden. Das aktuelle Problem der alten Industrienationen besteht nicht in den hohen Schulden- sondern den hohen Spar-Quoten: Reiche Bürger bilden immer höhere Spar-Guthaben, erfolgreiche Unternehmer legen immer höhere Gewinne auf die hohe Kante – und nach dem deutschen produziert nun auch der österreichische Staat „Überschüsse“ zum Zweck des Schuldenabbaus, statt voran die Kaufkraft zu mehren und Arbeit zu schaffen.
Geld aber kann die Wirtschaft nur beflügeln, wenn es ausgegeben wird (investiert oder zu Einkäufen verwendet). Es muss, aus Gründen der Mathematik- jemanden geben, der Schulden macht, damit die Wirtschaft wachsen kann. Dass Österreich sie nicht macht sondern sogar einen Überschuss erzielt, bedingt, dass andere Staaten umso mehr Schulden machen müssen.
So unterminieren wir Europas Solidarität.
Auch die These, dass Staaten Guthaben brauchen, um neuerliche Krisen bewältigen zu können, hält der Überprüfung nicht stand: Krisenbewältigung funktioniert ganz anders – durch noch höhere Staatsverschuldung zum Zweck von Großaufträgen, wie vor dem 2.Weltkrieg in den USA und selbst im Hitler-Deutschland.
PS: Ein Kulturtipp: Wenn Sie sich fürchten wollen, dann Sehen Sie sich „Rhinoz!“ von Ellen Schmitty frei nach Ionescos „Die Nashörner“ im Wiener „Theater zum Fürchten“(Scala-Theater) an. Sie erfahren dort unter anderem, warum Regierungspartner aus Burschenschaften, in deren Liederbüchern zur Vergasung der siebenten Million Juden
aufgerufen wird, für Sebastian Kurz ein Phänomen darstellen, das er im Griff zu haben überzeugt ist. Nach spätestens zwanzig Minuten ist Ihnen eiskalt. Eine beklemmend
gute Inszenierung
2 Kommentare
Japan hat das Glueck (?) dass die eigene Bevoelkerung, die sehr sparsam ist, die Staatsanleihen kauft, auch wenn sie praktisch zinslos sind. Die USA wiederum verkauft einen beachtlichen Teil ihrer Staatsanleihen ins Ausland und kann, da der USD eine Reservewaehrung ist, die Schulden mit neu geschaffenem Geld bezahlen. Schuldner und Glaeubiger sind nicht dieselben Personen. Irgendwann sind Schulden zu begleichen, ausser man inflationiert sie weg oder geht bankrott. Ob Schulden relevant sind, hat man in Griechenland gesehen und derzeit auch in Italien. 10 jaehrige Anleihen kosten den Staat ( die Steuerzahler ) ungefaehr 3 % mehr als den deutschen Staat. Dass der Staat das geborgte Geld meist fuer kurzfristige Wohltaten ausgibt, dabei private Kreditnehmer verdraengt bzw. solche Kredite vertaeuert, dass der Staat selten effizient investiert, u.s.w kommt nocgh zu allem hinzu.Schulden machen heisst, Ressourcen aus der Zukunft heute in Anspruch nehmen, Die zukuenftigen Steuerzahler, die mit einem Berg von Schulden aufwachsen, werden darueber nicht gluecklich sein. Und wir wissen auch, dass die Staatsschulden, wenn man alle Verpflichtungen ( Pensionen, Zinsen, Pflegeausgaben etc. ) beruecksichtigt, jetzt schon bei weit ueber 300 % des BNP liegen und bei ueber 500% gemessen an den tatsaechliech verfuegbaren Einnahmen des Staates. Prost Mahlzeit!
Das kann man auch ganz anders sehen. Diese Gegenmeinung zu erklären dauert aber zu lange. Grundprinzip: Schulden wurden meist für Konsum und nicht dazu verwendet, Investitionen zu tätigen, mit Hilfe derer das Kapital mit hohen Zinsen (höher zumindest wie der Fremdkapitalaufwand) zurück verdient wurde.