Konstruktionsfehler, kaum vermeidbare historische Fehler und vermeidbare ökonomische Fehler haben ein kritisches Ausmaß erreicht.
Mein erstes Buches für den Falter-Verlag „Die Zerstörung der EU“ zu nennen, war wirtschaftlich falsch – die negative Botschaft stößt Käufer ab- aber inhaltlich richtig: die Zerstörung ist ziemlich fortgeschritten. Dass sie trotz Rezession in Italien, Revolten in Frankreich und selbst in Deutschland bröckelnder Konjunktur nur unscharf wahrgenommen wird, liegt am Brexit: Seit 2016 trommeln die Medien der EU welch gewaltigen Schaden Großbritannien durch sein Ausscheiden erleiden würde und durch den Entschluss dazu bereits erlitten hätte. Obwohl die Zahlen vorerst das Gegenteil sagen: mit 3,9% hat das Königreich die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 45 Jahren und das Wirtschaftswachstum ist trotz kaum mehr vermeidbaren Brexit nicht geringer als das Deutschlands. Vor allem sollte zu denken geben, was die Briten erreichten, indem sie sich ausdrücklich von zentralen Elementen der EU -Wirtschaftspolitik abkoppelten: Indem sie den Euro nicht einführten und den Sparpakt mieden, überholten sie die bis dahin zweit-und drittstärksten Volkswirtschaften der EU, Frankreich und Italien, klar an wirtschaftlicher Leistungskraft. (Siehe Grafik). Das britische Volk ist zwar gespalten, sein Parlament hat ein jämmerliches Schauspiel geboten und Boris Johnson ist ein verantwortungsloser Abenteurer -sein „ungeregelter Austritt“ wird die Briten, sollte er kommen, mehr als die EU kosten – dennoch kann ihnen diese EU schwer Vorbild sein.
Was ist von einer Staatengemeinschaft zu halten bei der Wahlen zum Parlament dazu führen, dass jemand der sich ihnen nicht gestellt hat an ihre Spitze gelangt? Dass eine nie mit Geldpolitik befasst Rechtsanwältin ohne Ausschreibung und Hearing als EZB- Präsidentin über das Schicksal des Euro entscheidet? Die untaugliche Personalauslese ist dabei nur eine der zahllosen katastrophalen Folgen des unveränderten Zwangs zur Einstimmigkeit im „Europäischen Rat“. Jedes noch so kleine Land kann jeden noch so wichtigen Beschluss der restlichen 27 blockieren. Die EU kann weder zu einer gemeinsamen Außen- noch Steuerpolitik gelangen. Obwohl stark unterschiedliche steuerliche Bedingungen jenen fairen Wettbewerb der Unternehmen ausschließen, der zu den entscheidenden Vorzügen freier Marktwirtschaft zählt.
Abzuschaffen ist die Einstimmigkeit nur einstimmig – die Selbstfesselung ist perfekt.
Historisch konnte die EU zwar kaum vermeiden, die Staaten des einstigen Ostblocks aufzunehmen – aber aktuell entpuppt es sich als gewaltige Belastung: Die im Kommunismus perfektionierte Korruption bremst ihr wirtschaftliches Aufholen; ihre politischen Führer neigen zum mangelnden Verständnis für Rechtsstaat und Demokratie ihrer kommunistischen Vorgänger: Frans Timmermanns konnte nicht Kommissionspräsident werden, weil diese politischen Führer ihn ablehnten, weil er sich besonders energisch gegen Korruption und für Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen und Ungarn engagiert hatte. Dennoch müssen beide diese Verfahren kaum fürchten, weil sie nur einstimmig vom Stimmrecht auszuschließen sind.
Staaten, deren Flüchtlinge seinerzeit beispielhaft aufgenommen wurden, verweigern sich kategorisch der Aufnahme von Flüchtlingen. Sämtliche Rechtsparteien der EU, von der Lega Nord über die FPÖ bis zum Rassemblement National fordern mit ihrer Rückendeckung erfolgreich das gleiche und haben ständig an Größe und Einfluss gewonnen: EU- Mandatare, die den Austritt aus der EU gefordert haben, sind im EU-Parlament so zahlreich wie Sozial- oder Christdemokraten. Aus dem verständlichen Verlangen, nicht alle Menschen aufzunehmen, die ihre Heimat verlassen wollen, ist die EU durch ihren Einfluss de Facto zu einer Festung geworden, die auch die zurückstößt, die sie verlassen müssen. Die EU als humanes Projekt war gestern. Ihre ökonomische Entwicklung hat diesen Niedergang entscheidend verschärft: Immer mehr Menschen, deren Reallöhne stagnieren, ja sinken und denen ein neoliberal reduzierter Sozialstaat weniger statt mehr Sicherheit bietet, haben zwangsläufig immer mehr Angst vor Konkurrenz durch Migranten.
Ich habe hier so oft über die ökonomische Fehlentwicklungen der EU geschrieben, dass es möglicherweise meine Leser nervt, aber sie sind nun einmal die zentrale Ursache für ihre fortschreitende Zerstörung: Ein ökonomisch keineswegs florierender Norden lässt den Süden mit gespenstischer Jugendarbeitslosigkeit zurück, statt dass er aufgeholt hätte; die Entscheidung der EU zu Austerity „war die Entscheidung zur Rezession“ (Institute of International Finance). Dabei ist die herbei gesparte Rezession nur die harmloseste, weil reversible ökonomische Schieflage der EU. Viel gravierender, weil ungleich schwerer rückgängig zu machen, ist die Verschiebung von Markanteilen aus dem Süden nach Deutschland. Denn sie ist es, die die EU spaltet. Anders als bis etwa 2000 beruht sie nicht mehr darauf, dass deutsche Produkte sich durch überlegene Qualität auszeichnen – sondern darauf dass Deutschlands Arbeitnehmer deutsche Preise durch niedrige Löhne subventionieren.
Dieses niedrige deutsche Lohnniveau begrenzt zwingend das Lohnniveau aller seiner Konkurrenten und Handelspartner und mit ihm zwingend deren Kaufkraft. Dem solcherart verminderten Konsum der Bevölkerung addiert sich der verminderte Konsum der sparenden Staaten zur akuten Gefahr einer Rezession. „Deutschland als Sprengmeister“ der EU habe ich das im Untertitel meines Buches zum Ärger der grünen EU-Doyenne Ulrike Lunacek genannt. Aber man muss die Dinge beim Namen nennen wenn man sie ändern will.
Illustration : das Schaubild von Seite 42 meines Buches, aber mit der Unter- oder Überschrift:
Das Vereinigte Königreich überholt Frankreich und Italien im realen BIP/Kopf