Türkis-Grüne Klippen

Die Gegensätze sind so groß wie nirgends sonst – aber das gilt auch für den Druck, sie zu überwinden. Der Blick nach Deutschland hilft.

Die Wählerstromanalyse zeigt klar, weshalb Türkis-Grün möglich geworden ist: 258.000 ehemalige FP- Wähler sind zur ÖVP gewechselt, weil sie dort das gleiche Wirtschaftsprogramm vorfinden und Sebastian Kurz in seiner Abwehr der Migration nicht hinter Herbert Kickl zurücksteht – die Grünen haben dank Greta Thunberg alle Jungwähler überzeugt und von Peter Pilz, aber vor allem von der SPÖ, all die Wähler zurückgewonnen, die ihr 2017 ihre Stimme geliehen haben, weil sie hofften mit Christian Kern Sebastian Kurz abzuwehren.

Jeder Halbsatz dieses ersten Absatzes zeigt, auf welche gewaltigen inhaltlichen Probleme eine Türkis-Grüne Koalition stoßen muss. Für sie spricht “nur”, dass die Grünen sie eingehen müssen, wenn sie eine Neuauflage von Türkis -Blau – so unwahrscheinlich sie derzeit auch scheint – ausschließen wollen. Denn nahezu undenkbar ist, dass Kurz zur unbeliebten Zusammenarbeit mit der SPÖ zurückkehrt, obwohl sie für ihn ökonomisch einfacher wäre: Wenigstens in der Ablehnung der CO2-Steuer wäre er mit Pamela Rendi Wagner einig und selbst “Nulldefizit” und “Ausgabenbremse” hat sie nie so explizit wie Werner Kogler abgelehnt. Dass sie sich in der Regierung so viel wohler als in der Opposition fühlt, machte die SPÖ wahrscheinlich sogar zu einem streichelweichen Partner.

Bei Werner Kogler liegen die Dinge anders: Ich glaube nicht, dass er dem Mitregieren grundlegende Überzeugungen opfert – so sehr viele Grünwähler diese Regierungsbeteiligung anstreben und obwohl sie in Tirol erfolgreich verwirklicht ist.

Die humane Haltung zu “Flüchtlingen” ist ein grünes Kernelement, und in ökonomischer Hinsicht ist der türkis-grüne Abstand der größte weit und breit: Der promovierte Ökonom Kogler weiß um den Unsinn von “Nulldefizit” und “Ausgabenbremse”- sie ist in der gegenwärtigen Situation eine Wirtschaftswachstumsbremse, die geeignet ist, die leise Rezession in Deutschland auf Österreich übergreifen zu lassen. (Auch wenn Sie es nicht mehr lesen wollen: Es kann nicht mehr verkauft werden, wenn Konsumenten, Unternehmen und auch noch der Staat Geld horten, statt einzukaufen.)

Was kann diese gewaltige türkis-grüne Differenzen überwinden?

Voran, dass mittlerweile insbesondere deutsche Unternehmer den Unsinn des Nulldefizits begriffen haben: Es ist Deutschlands Präsident der Industriellenvereinigung und es sind die Think-Tanks der Unternehmer, die dort (anders als die Agenda Austria) Nulldefizit und Ausgabenbremse energisch in Frage stellen. Wenn Kurz sich also unter ihnen und besseren Ökonomen als bisher umhört, ist er vielleicht ganz froh, wenn er beides wegen des grünen Widerstandes doch nicht beschließen muss, aber dennoch weiter bei seinem Narrativ bleiben kann, dass seine Regierung die erste ist, die Schulden abbaut. Denn das wird sie zumindest im ersten Jahr können, weil er, im Gegensatz zu seinen Behauptungen, von Rot-Schwarz keineswegs wirtschaftlichen “Stillstand”, sondern eine durchaus erfolgreiche Wirtschaft geerbt hat. Es gibt für Kurz also die Möglichkeit, gesichtswahrend auf “Nulldefizit” und “Ausgabenbremse” zu verzichten und er würde noch dazu erleben, dass das Österreich ökonomisch zum Vorteil gereicht.

Ähnlich stark differieren die türkis-grünen Positionen bezüglich vermögensbezogener Steuern: Kogler ist wie IWF oder WIFO dafür, sie einzuführen. Die ÖVP hat sich auf ein schwachsinniges “Mit uns keine neuen Steuern” festlegt. Aber vielleicht ist ihre Führung intellektuell doch in der Lage, die Einführung etwa der Erbschaftsteuer (mit einer Freigrenze von 1,3 Millionen- damit sie über der Rendi Wagners liegt) zu vertreten, indem sie ihren Wählern erklärt, dass sie ihren Ertrag voll zur Senkung der Lohnsteuer nutzte. Die Mehrheit dieser Wähler begriffe vermutlich, dass ihnen das nicht weniger, sondern mehr Geld in der Brieftasche ließe.

Auch die CO2-Steuer entzweit Kurz und Kogler, und der Obmann der Grünen kann einer Koalition sicher nicht den “Kampf gegen den Klimawandel” opfern. Aber wieder könnte das deutsche Beispiel Kurz zum Einlenken bewegen: Dort wurde die CO2-Steuer, wenn auch viel zu niedrig, beschlossen. Und in einem Punkt hatte Kurz immer recht: Sie ist nicht das Wundermittel, das alle Probleme löst – sie ist nur ein (wie die meisten Experten meinen, unverzichtbares) Element. Türkis -Grün könnte sie also so niedrig wie in Deutschland ansetzen und dafür besonders intensiv (mit besonders starker Außenwirkung) an anderen Schrauben drehen: “Öffis”, von der Eisenbahn bis zur U-Bahn spektakulär ausbauen; Elektromobilität, den Austausch von Öl- gegen Gasheizungen oder Wärmedämmung massiv fördern; eine spezielle Flug-Abgabe einführen; Unternehmen für die massive Verminderung ihres CO2 -Ausstoßes Prämien in Aussicht stellen. (Die VOEST profitierte dann unmittelbar von der Entwicklung einer neuen Wasserstofftechnologie).

Leider ließe das Nulldefizit genau diese Maßnahmen nicht zu – was ja einer der Gründe dafür ist, dass intelligente Ökonomen es in Zeiten, in denen weltweit zu viel gespart wird, so vehement ablehnen.

Das viele überschüssige Geld- nicht die EZB- bedingt auch die derzeit so niedrigen Zinsen. Natürlich nähme ein intelligenter Finanzminister in einer Zeit, in der Österreich für 100 aufgenommene Euro nur 95 zurückzahlen muss, daher die größtmöglichen Kredite auf, um in den Klimaschutz zu investieren und durch diese Investitionen gleichzeitig die eigene Wirtschaft anzukurbeln- aber ich weiß nicht, ob Kogler das der ÖVP zu vermitteln vermag.

5 Kommentare

  1. Prognose: Die FPÖ stützt eine Quasi-ÖVP-Alleinregierung. Die einzige Bedingung ist, dass die FPÖ den Innenminister bestimmen kann. Der Innenminister wird dann ein FPÖ-Mann oder ein FPÖ-naher “Unabhängiger”. Als weitere Belohnung für die FPÖ erhalten FPÖ-Mitglieder diverse Positionen in Ministerien, Agenturen, staatsnahen Betrieben (ÖBB) etc.

  2. Sosehr ich, sehr geschätzter Herr Lingens, ihre ökonomischen Expertisen schätze und teile, sosehr ist mir bewusst, dass die für über 90% der Österreicher (ich spare mir das Gendern – auch zukünftig) absolut nicht wahlentscheidend sind. Die Auswirkungen einer unsinnige Sparpolitik sind es natürlich sehr wohl.

    Zum Klimawandel: Viele Menschen – besonders Junge – sind für Umweltschutz und CO2-Steuern, auf Konsum und Wohlstand verzichten wollen nur die aller wenigsten, wenn es hart auf hart geht. Und diese Form des “zukünftigen Sparens” hätte ja auch gewaltige Auswirkungen in einer “globalisierten Wirtschaft” und auf den Arbeitsmarkt. Nur das verstehen Junge noch nicht. Ich hab es übrigens vor Jahrzehnten auch nicht verstanden / nicht verstehen wollen, wie “unser System” funktioniert.

    Migration: Wenn alleine in Wien bereits über 50% der Kindergartenkinder Migrationshintergrund haben, kann man sich vorstellen, welche Gefühle bei der autochthonen Bevölkerung aufkommen. Ich wette, dass sogar über 50% der SPÖ Wähler keine weitere “Zuwanderung” wollen, egal ob ein Asylgrund vorliegt oder nicht. Diese Partei wird mit ihrer naiven gutmenschlichen “Ausländer-Einstellung” niemals mehr Wahlen gewinnen, schon gar nicht, wenn “unsere Gäste” einmal eine eigene Partei gründen werden.

    Zum ÖVP Wahlsieg: Der dümmliche Strache wollte die langjährige ohnehin FPÖ-freundliche Blattlinie der Kronenzeitung mit dubiosen Mitteln noch weiter nach rechts bewegen. Sebastian Kurz – mit best friend Rene Benko – war da viel cleverer. Die Krone ist jetzt höchst von der Kurz-ÖVP angetan (mit Ausnahme der Postings). Das ist mit ein Grund, warum die ÖVP hochkantig gewonnen und die FPÖ dramatisch verloren hat.

    Zu den Grünen: Werner Kogler ist sicher ein Top-Mann. Aber die Grüne Parlamentsfrauschaft (u. a. Sigi Mauer) wird er – parlamentarisch-demokratisch – nicht zügeln können. Wenn S. Kurz mit den Grünen koaliert, haben wir in spätestens zwei Jahren Neuwahlen mit wieder erstarkten Blauen …

  3. Schön, Lingens will offenbar, dass Kurz sämtliche grünen Positionen übernimmt. Möglich, dass das alles sehr vernünftig ist, aber wie soll das funktionieren, wenn man ausschließlich von den Túrkisen verlangt sich zu bewegen, wärend man selbst auf allen seinen Standpunkten beharrt. Kompromisse sind nur möglich, wenn sich beide Seiten auf einander zubewegen, oder es wird wieder die unsägliche Türkisblaue(braune) Variante.

  4. Sehr geehrter Herr Lingens, sie konzentrieren sich bei ihren Argumenten für oder gegen Türkis-Grün viel zu sehr auf ökonomische Themen (diese werden von der Bevölkerung weit weniger beachtet als sie wahrhaben wollen) und so gut wie überhaupt nicht auf die Bereiche für die einerseits Kurz bzw andererseits die Grünen gewählt wurden. In diesen Bereichen – Zuwanderung, Reform des Sozialstaates etc. – stehen sich die beiden Parteien diametral entgegen. Denken sie, dass z.B. eine Birgit Hebein Kürzungen bei der Mindestsicherung zustimmen würde? Diese Reformen sind für viele ÖVP Wähler sinnvoll und berechtigt während die Grünen diese als “Kürzungen bei den Ärmsten” diffamieren (also ob es in diesen Bereichen überhaupt keine Änderungen – nur Erhöhungen – geben dürfte) und darüber nicht einmal reden wollen. Meinen sie, dass die Grünen, von denen viele der Meinung sind auch schlechte wirtschaftliche Perspektiven im Heimatland der Flüchtenden stellen berechtige Gründe für Asyl und Aufenthaltsrecht dar, eine Verhinderung oder Begrenzung der Zuwanderung zustimmen würden? Meinen Sie, dass die Politiker der Grünen Partei einer Senkung der Einkommenssteuer auch für Besserverdiener, zustimmen würden – selbst dann wenn die ÖVP einer Vermögens- und Erbschaftssteuer zustimmen sollte? Gerade bei den Grünen sind viele neue Abgeordnete im Parlament die noch über keinerlei Erfahrung in der Praxis einer Regierungsverantwortung verfügen und auch nicht geübt sind im notwendigen Eingehen von Kompromissen. Bei den Grünen handelt es sich in der Mehrheit um links-ideologisch geprägte Fundamentalisten für die Grün nur die Tarnfarbe darstellt um von ihren wahren Zielen (Systemwechsel, Abschaffung von Kapitalismus) abzulenken. Eine Koalition Türkis-Grün kann nicht funktionieren und es wäre besser gar nicht erst Zeit mit Sondierungsgesprächen zu verschwenden.

  5. Ich glaube, die größte Hürde gegen Türkis-Grün wird sein, dass die Grünen nicht verinnerlichen können, dass Türkis fast 38% der Stimmen bekommen hat, während Grün ‘nur’ fast 14% bekommen hat. Mein Eindruck ist, dass die Grünen auf 50:50 Augenhöhe verhandeln wollen. Dies mit dem Argument, dass Türkis Grün mehr braucht als umgekehrt. Wahrscheinlich ist es auch so, dass Türkis Grün mehr braucht als umgekehrt, aber ob das die ÖVP-Granden davon überzeugt, sich eine Machtposition, die sie schon seit vielen Jahren nicht mehr hatte, schmälern zu lassen, das bleibt abzuwarten.

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