Meinem jüngsten Sohn Eric, der Schauspieler ist, musste ich versprechen, nicht über Theater zu schreiben, weil ihm das in der Branche zum Schaden gereichen könnte. Ich schreibe auch nicht über Theater, sondern über auf die Bühne des Burgtheater Erbrochenes, in dem unverdauter Brocken aus Goethes Faust 1 und Faust 2 eingeschlossen waren.
An sich hatte ich mich auf Martin Kušej Direktion gefreut. Seine Gast-Inszenierung von Grillparzers “König Ottokars Glück und Ende” war seinerzeit ein Erlebnis: Ein Stück, das nur in Österreich und voran aus patriotischen Motiven zu den bedeutenden Theaterstücken gezählt wird, gewann durch seine Regie gewaltig an Intensität und Gegenwartsnähe. In üblichen Inszenierungen kaum sichtbare erotische Beziehungen wurden sichtbar; das berühmte Loblied auf Österreich, üblicher Weise ein Höhepunkt öder Deklamation, wurde zur glaubwürdigen Rede eines Mannes, der dieses Land verteidigt; auf der Bühne herumliegende Autokadaver vermittelten die Vorstellung einer verlorenen Schlacht. Das Stück gewann in Kušejs Inszenierung ein Format, das es literarisch meines Erachtens nicht hat.
Aber Goethes Faust ist nicht meines Erachtens und nicht nur in den Augen von “Bildungsbürgern”, sondern in der Überzeugung aller jemals damit befassten einigermaßen zuständigen Zuschauer und Kritiker, ein Höhepunkt der Weltliteratur. Es hat nicht nötig, neu gedeutet, der Gegenwart angenähert, um erotische Facetten bereichert zu werden, weil es zeitlos und vollendet ist. Es durch den Reißwolf angeblich progressiver Regie zu ziehen, zeugt nicht von Kühnheit, sondern von Blindheit gegenüber seiner Größe. (Man sehe sich an, mit welcher Zurückhaltung und wie viel Respekt ein wahrhaft progressiver Regisseur wie Ingmar Bergman Stücke dieses Kalibers inszeniert hat.)
Nichts an Kusejs Inszenierung ist gelungen: Die Verschränkung von Faust 1 und Faust 2 wirkt nirgendwo logisch und führt nirgendwo zu neuen Erkenntnissen – nur zur Verwirrung. Faust erlebt keine persönliche Entwicklung – ist immer der gleiche aus unverständlichen Gründen unzufriedene unsympathische Mitfünfziger. Statt ein heutiger Mensch aus Fleisch und Blut zu sein, kann man sich in keinem Augenblick mit ihm identifizieren, mit ihm leiden oder mit ihm lieben – man weiß nicht, warum man sich drei Stunden lang mit ihm befassen soll. Obwohl auf der Bühne Sprengkörper detonieren, Feuerwerke den Schnürboden erhellen, Schüsse fallen und ein riesiges Stahlgebilde rotiert, herrscht gähnende Langeweile, die einen auf die Pause warten lässt. Dass in Auerbachs Keller imitierte Nackte auf der Bühne kopulieren, sichert vermutlich das Zuschauer-Interesse von Halbwüchsigen – man versteht, dass Faust daran das Interesse verliert, aber nicht, dass es ihn in seinen Bann gezogen hat. Orgien auf Youporn sind spannender.
Ein einziges Mal kommt vor der Pause so etwas wie Interesse auf, als Mephisto seinen Pakt mit Faust anbahnt und beide sich dabei vergleichsweise ungebrochen an Goethes Text halten. Aber selbst diese Szene muss um ihre Raffinesse gebracht werden, indem Mephisto – ausnahmsweise sinnvoll von einer Frau verkörpert – sich in Fausts Nacken verbeißt.
Die meiste Zeit ist Kusej freilich angestrengt bemüht, alle weltbekannten Zeilen aus dem Text zu eliminieren, um die sogenannten “Bildungsbürger” ja nicht zu bedienen. Aber diese Zeilen sind nicht weltbekannt, weil sie “Bildungsbürgern” als “Versgeklingel” (der Standard) gefallen, sondern weil sie bestimmte Tatbestände vollendet in Worte fassen – sie zu eliminieren bedeutet, Faust zu amputieren.
Das alles ist nicht “progressiv”, nicht kühn, sondern unendlich provinziell – so wie sich der kleine Max- oder leider auch der Theaterkritiker des Standard Ronald Pohl – progressives Theater vorstellt. (Pohl: ” Der neue Burgtheaterdirektor wirft die Seiten des Reklamtextes mit bösem Gelächter in die Luft. Wer nach humanistischen Frohbotschaften giert oder edles Versgeklingel hören möchte, ist hier definitiv fehl am Platz. Wer Augen hat zu sehen, erlebt einen pessimistischen Kommentar zur Zeit, ein famoses “Faust” – Mahlwerk.”)
5 Kommentare
Also mein Faust, Der Tragöde erster Teil, ist noch bei Philipp Reclam jun., Stuttgart 1986 erschienen.
Ihr Sohn hat recht. Sie sollten wirklich nicht übers Theater schreiben .
Bleiben sie dabei, was sie können.
bei der berufung von Kušej habe ich schon ähnliches befürchtet, in der staatsoper könnte es ähnlich wreden.
Endlich einmal ein Artikel, dem ich voll zustimmen kann. An Goethes Faust haben sich schon einige “progressive Regisseure” die Zähne ausgebissen…
Martin Kušej, das ist eine Altlast vom geschassten SPÖ Bundesgeschäftsführer Drozda.
So wie der künftige Staatsoperndirektor Roscic. Da werden sich die Opernfreunde noch wundern und bestürzt sein, was da alles hochkommen wird.
Ich habe mich jedenfalls schon auf das Intermezzo von Roscic schon vorbereitet und zahlreiche klassische Opern, insbesondere unter der Regie von Otto Schenk, auf DVD archiviert um mir diese zuhause anzusehen um mich nicht in der Staatsoper abquälen zu müssen.
So habe ich das auch mit alten Burgtheaterinszenierungen (mit Meinrad oder Hörbiger oder Brandauer, etc) gemacht, diese allesamt noch auf Video aufgezeichnet und später auf DVD digitalisiert.
Mit anderen Kulturliebhabern wurden diese Aufzeichnungen schon getauscht.
Drozda hat viel angerichtet (man denke nur an das Kunsthistorische Museum), es wird noch einige Zeit dauern bis seine Fehler wieder saniert sind.