Kurz` Vorsprung durch die „Schließung der Balkanroute“ war durch kein Parteiprogramm und keinen Parteichef aufzuholen. Pamela Rendi Wagner konnte ihn nur nicht verringern.
Kommentare nennen drei Gründe für das „historisch schlechteste Wahlergebnis der SPÖ“: Pamela Rendi-Wagner habe „Opposition“ nicht gekonnt; die SPÖ habe nicht vermittelt, wofür sie steht; und es sei das Grundproblem der Sozialdemokratie, dass sie „fast alles erreicht hat, wofür sie kämpfte.“(Hans Rauscher) All das hat sicher zur Höhe der Niederlage beigetragen – dennoch behaupte ich: Selbst Franz Vranitzky als SP-Chef hätte keine Chance gegen die „Schließung der Balkanroute“ gehabt. Und zwar, obwohl das SP-Programm sehr wohl für fortschrittliche Politik steht, und obwohl die Sozialdemokratie sehr wohl wieder Grund zum Kampf hat: „Geringverdiener“ haben seit Mitte 1990 in Österreich (Deutschland) Reallohnverluste bis zu zwanzig Prozent erlitten; immer mehr Arbeitsverhältnisse sind prekär; und soziale Leistungen des Staates gehen zurück.
Aber diese Fehlentwicklungen verblassen neben den Emotionen, die der „Flüchtlingsstrom“ ausgelöst hat. Um sie zu begreifen zitiere ich einmal mehr ein Interview des deutschen Neurologen Hoimar von Ditfurth von vor dreißig Jahren:„Es gibt drei angeborene Handlungsanweisungen im Menschen. Sie stammen aus dem vor- und frühsteinzeitlichen Dschungel: Hab Angst vor jedem Menschen, den Du nicht persönlich kennst! Die Rechte deiner Horde sind den Rechten aller anderen Kollektive übergeordnet! Du musst, wenn Du glaubst, das Überleben deiner Horde nicht anders sichern zu können, den Konkurrenten totschlagen! Wenn wir von Horden von Fremden lesen, die hier einwandern, dann revoltiert dieses Gesetz der Steinzeit in uns. Deswegen sind wir keinen Faschisten. Es ist menschlich, davor Angst zu haben. Nur muss dann die Hirnrinde tätig werden …“
Überall in Europa und natürlich auch in Österreich sind Parteien, die diese frühsteinzeitlichen Emotionen unterschätzt haben, dafür abgestraft worden- die CDU kaum minder als die SPD. Auch ich habe diese Emotionen unterschätzt und Angela Merkel für ihr „Wir schaffen das“ gefeiert. Dass Sebastian Kurz Merkel von Beginn an widersprochen hat, während Werner Faymann und Christian Kern sie unterstützten, hat der ÖVP ihren uneinholbaren Vorsprung vor der SPÖ beschert. Auch ich, der zeitlebens Flüchtlinge in seine Wohnung aufgenommen hat, muss akzeptieren: Wenn wir nicht in halb Europa faschistische Regime heraufbeschwören wollen, können wir nur die Flüchtlinge aufnehmen, die der Genfer Konvention genügen.
Dass Kurz durch seinen Beitrag zur Schließung der Balkanroute aktiv dazu beigetragen hat „Wirtschaftsflüchtlinge“ fern zu halten, hat die ÖVP ja keineswegs nur die SPÖ, sondern in gleichem Ausmaß die FPÖ überflügeln lassen. Pamela Rendi-Wagner hat Kurz` Haltung zur „Flüchtlingsfrage“ nicht anders als ich übernehmen müssen: Auch sie will dichte „Außengrenzen“, ehe sie Grenzen zu Österreich öffnet. Aber diese späte Kurskorrektur konnte den gewaltigen Vorsprung Kurz´ nicht mehr verringern.
Die unverändert überragende emotionale Bedeutung der Zuwanderung „Fremder“ aus islamischen Ländern ist auch die Erklärung dafür, dass die SPÖ mit „Ibiza“ kaum punkten konnte: Die Wähler haben „Ibiza“ nicht einmal H.C. Strache rasend übelgenommen – wie sollte der bloße Umstand, dass Kurz Strache zum Vizekanzler gemacht hat, sein Verdienst um die „Balkanroute“ aufwiegen?
Anders als Peter Filzmaier behauptet war die Ausgangslage vor diesen Wahlen damit für Die SPÖ eine miserable: Sie hatte einen Kanzler gestürzt, der sich „sowieso von Strache getrennt hat“, „ohne Streit regierte“, „den ersten Überschuss seit 47 Jahren erzielte“ und Österreich durch die „Schließung der Balkanroute“ vor „Horden von Fremden“ geschützt hat. Erst wenn man diese Ausgangslage berücksichtigt, kann man die Eigenfehler Rendi Wagners korrekt bewerten:
- Es war absurd, das Kanzleramt entgegen allen Umfragen zu ihrem Wahlziel zu erklären. Eine gekonnte Antwort auf entsprechende ZIB-Fragen hätte in etwa gelautet: „Nein, ich sehe derzeit keine Chance Kanzlerin zu werden, denn anders als Sebastian Kurz bin ich nicht so von Ehrgeiz zerfressen, dass ich Österreich, nur um an die Macht zu gelangen, einer Koalition mit der Strache-FPÖ aussetzte. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich die Unbrauchbarkeit seiner polarisierenden Politik schon in den nächsten Jahren herausstellt.“
- Wenig geschickt hat Rendi-Wagner auch bezüglich „vermögensbezogener Steuern“ agiert, die sich eigentlich geeignet hätten, Wähler zu gewinnen. Ursprünglich hat sie nämlich erklärt, in ihrer Einführung „nichts Vordringliches“ zu sehen. Als sie dann endlich mit der Forderung nach einer Erbschaftssteuer mit einem Freibetrag von einer Million Euro herauskam, war nicht mehr die Zeit, den Wählern klar zu machen, dass das sehr wohl sehr viel einbrächte, weil in den nächsten Jahrzehnten die großen Vermögen der Nachkriegszeit vererbt werden. Die Steuern auf Arbeit ließen sich durch Erbschaftssteuern daher um viele Milliarden senken und kein Milliardär verließe deshalb das Land, weil er Vermögen fast durchwegs auch in Grundbesitz gebunkert hat. Ökonomische Vorschläge bedürfen bei einer besonders wirtschaftsfernen Bevölkerung einer ausgiebigen, eindringlichen Vorbereitung – die versäumte sie gründlich.
- Auf den dritten gravierenden Fehler hat Florian Klenk schon hingewiesen: Es ist unverständlich, dass Rendi-Wagner ohne jeden Zeitdruck Christian Deutsch zum neuen Geschäftsführer der Partei bestellt hat. Er mag ein anständiger, verdienter Genosse sein – aber er hat das Charisma eines Magistratsbeamten mit Ärmelschonern.
8 Kommentare
Ich lese die überregionalen Zeitungen in Ö, Magazine in D und auch die NYT – und bewege mich beruflich oft außerhalb meiner „Blase“. In Österreich habe ich immer das Gefühl meinungsmässig ein Außenseiter zu sein. Jetzt habe ich ein bisschen Falter gelesen und ihren Blog gelesen – ja, es tut schon auch seelisch gut die eigene Meinung bestätigt zu finden. Noch dazu breit recherchiert und stringent aufbereitet – und nicht nur einfach passend zur eigenen Weltanschauung vereinfacht und reduziert wie bei vielen ihrer Kollegen : ))
Die derzeitige Situation der SPÖ hat viele Gründe. Einige hat Lingens genannt, aber bei weitem nicht alle!
Die Erkenntnisse von Hoimar von Ditfurth sind wohl in den Menschen mit Hausverstand fix verankert. Von Idealisten, Träumern und Gutmenschen werden sie wohl verdrängt.
Wer sich „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari (als Buch oder Hörbuch) zu Gemüte gefügt hat oder die aktuelle 3-teilige TV Serie über Europa (bisher) gesehen hat, muss doch verstehen, wie „die Menschen“ ticken, immer getickt haben und auch zukünftig immer ticken werden. Nur die technischen Möglichkeiten sind halt andere geworden …
Messerstechereien werden bei „Heißblütlern“ immer wieder vorkommen, und „das „Volk“ wird dadurch immer wieder an die „Flüchtlingsströme“ – besser Migrantenströme / auch südliche Gastarbeiter – erinnert. Manche Medien (z. B. DerStandard) versuchen sich bei solchen Themen oft als Lückenpresse, der den Zorn „aufgeklärter Mitbürger“ – Leser – noch steigern. Ich zähle mich dazu …
Und jetzt ein ganz böser Nachsatz: Noch heute macht man den (lebenden) kleinen Wurschteln Vorwürfe, warum sie die Hitlerei (anfangs) begrüßt und (dann) nichts dagegen unternommen haben. Bisher habe ich kaum jemanden gehört, der „christlich Gläubige“ für die 100en Millionen (wenn nicht Milliarden) Ermordeten seit bestehen dieser Religion für die verbrecherischen Vergehen verurteilt hätte.
Ein ganz – primitiver – Schluss daraus: Die Zeit heilt Wunden. Wahrscheinlich hätte Hoimar von Ditfurth ähnliche Überlegungen angestellt.
Zum Abschluss: Dass die AfD die SPD lt. Umfragen bereits überholt hat, kann ich mir gut vorstellen. Wenn die „Strache-Affären“ nicht vor der NR-Wahl hochgekommen wären, wäre die FPÖ wahrscheinlich vor der SPÖ gelandet. Ja, und Merkel hat die EU zerstört, behaupte ich seit Herbst 2015. Da ist der Niedergang der meisten sozialistischen Parteien geradezu ein Kollateralschaden …
Meiner Meinung nach passierte Joy Rendi-Wagner der schwerste Fehler am 27. Mai, als sie mit ihrem Misstrauensantrag mit der Unterstützung der FPÖ die Regierung Kurz davonjagte. Ein solches, in der 2. Republik einmaliges Vorgehen, ist unverzeihlich und das hat auch zu Recht die Schauspielerin Christiane Hörbiger heftig und mit Erfolg kritisiert.
Offenbar war Joy Rendi-Wagner nicht ganz wohl in ihrer Haut bei der Vorbereitung dieses denkwürdigen Misstrauensantrages. Ich erinnere mich noch genau an ihr nächtliches Interview 14 Stunden vor dieser Parlamentsabstimmung, wo sich sich mit beiden zitternden Händen an das ORF Mikrophon festklammerte und nach Worten buchstäblich rang.
DerBeamte mit Ärmelschoner hat für Häupl Wahlen gewonnen und auch Häupl zum Abdanken gezwungen. Stimmt, ein Roter mit Zukunft sieht anders aus. Trotzdem hat er durch seine Angriffe auf Häupl den Weg für jüngere Genossinnen und Genossen freigemacht. Vielleicht ist Ludwig ein guter Übergangsbürgermeister, der nächstes Jahr nochmals eine – wenn auch hauchdünne – Mehrheit sichert, so, dass ohne SPÖ keine andere Mehrheit den Bürgermeister stellen kann. Wir werden es sehen.
Den Weg für eine erfolgreichere Partei, skizieren Sie m. M. richtig. Wohnraum den man sich leisten kann. Höhere Löhne und Gehälter, auch mit Arbeitskampf wenn nötig. Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer ab 1 Million Vermögen. Bessere Bildungschancen, mehr Lehrpersonal. Mehr Polizisten und ein einsatzfähiges Bundesheer. Co2 Steuer mit Entlastung der betroffenen Bürger, Ausbau des öffentlichen Verkehr und eine menschliche aber restriktive Zuwanderungspolitik.
Das alles wird einige Zeit dauern, bis die Bevölkerung wieder den Sozis ihr Vertrauen schenkt. Vielleicht fünf, vielleicht mehr Jahre, Die Sozialdemokratie wird noch gebraucht, in Zukunft (leider) mehr als je zuvor, da der Neoliberalismus und der Nationalismus wieder Aufwind bekommen haben.
Jetzt sollte sich die SPÖ in der Opposition regenerieren und von vielen ihrer Funtionärinnen und Funktionäre, deren alte Zöpfe abschneiden und vernünftige junge und egagierte Menschen an die Spitze der Partei begleiten.
„menschliche aber restriktive Zuwanderungspolitik“ – dieser Wunsch wird unerfüllbar bleiben. Solange man aufgrund internationaler Gesetze nicht abschieben kann, wie man eigentlich müsste – und solange es Messer gibt -, wird der Widerstand / die Ablehnung gegen(über) Asylanten und Wirtschaftsflüchtlingen in der Bevölkerung immer größer. Das wird sich natürlich auch immer wieder bei demokratischen Wahlen zeigen.
Die einzige Chance für die SPÖ wäre ein radikales Umdenken – Asylstopp – wie bei den Sozialdemokraten in Dänemark. Aber danach schaut es nicht aus, eher geht es Richtung 15% (bei stärker werdenden Grünen). Ihre angeführten Punkte Wohnraum, Einkommen, Vermögens- u. Erbschaftssteuern, Bildung, Polizei, … wären sicher mehrheitsfähig. Aber …
Fast mit jedem Wort von Ihnen einverstanden,mit türkis-schwarz-grün wird es aber auch nicht besser werden,schon gar nicht in der „Migrationsfrage“,die „Grünen“ weiter auf Einschleusung bedacht!
Brillianter, geniale Analyse – nur obwohl ich als Steuerberater und Ökonom auch für Vermögenssteuer bin – mit Steuererhöhungen kann man niemals eine Wahl gewinnen – egal wie gut Sie erklären und wie gerechtfertigt solche Steuern auch sind!