Noch so große inhaltliche Differenzen – von der „Integration“ übers „Nulldefizit“ bis zur „CO2-Steuer“ werden erfolgreiche Koalitionsverhandlungen nicht verhindern.
ÖVP und Grüne haben erwartungsgemäß beschlossen, in Koalitionsverhandlungen einzutreten – und wenn nicht völlig Unvorhersehbares geschieht, werden die früher als erwartet- vor Weihnachten- erfolgreich abgeschlossen sein.
Denn eine klare Mehrheit der Österreicher wünscht sich eine türkis-grüne Regierung und zieht sie einer türkis-blauen entschieden vor. Das Gleiche gilt für die ÖVP. Ihre Granden, Tirols Günther Platter, Vorarlbergs Markus Wallner und Salzburgs Wilfried Haslauer sehen darin ein erfolgreich erprobtes Modell; Steiermarks Hermann Schützenhöfer bevorzugte zwar die SPÖ als Partner, zieht Grüne aber der FPÖ entschieden vor; Oberösterreichs Thomas Stelzer braucht die FPÖ zwar zur Mehrheit, hat aber nichts gegen Grüne; und Niederösterreichs Johanna Mikl-Leitner meidet die FPÖ, wo sie kann.
Sebastian Kurz verlöre bei Funktionären wie Wählern seinen Ruf als „Macher“ wenn ihm nicht gelänge, was seine erfolgreichsten Landeshauptleute ihm vorexerzieren. Und nicht zuletzt beschädigte er seinen internationalen Ruf aufs Schwerste, wenn er ohne Not die zweite Koalition mit einer rechtsextremen Partei einginge. Türkis-Grün wird dagegen, voran in Deutschland, als zukunftsträchtiger Probegalopp erachtet.
Die Grünen haben ähnlich starke Motive, diese Koalition einzugehen. Natürlich wollen sie mitregieren, auch wenn Werner Kogler es taktisch zu Recht nicht laut sagt. Sie hätten nämlich ein Problem, den Wählern zu erklären, dass sie diese Chance ein zweites Mal- nach den gescheiterten Verhandlungen mit Wolfgang Schüssel im Jahr 2003- nicht wahrnehmen. Zumal sie die Österreicher damit genau dem Risiko aussetzen, das sie ihnen unbedingt ersparen wollen: der Neuauflage von Türkis-blau.
Wie groß ist das türkis-blaue Risiko?
Sonst ist dieses Risiko mittlerweile nämlich gering. Kurz selbst hat die FPÖ „nicht regierungsfähig“ genannt. FP-Funktionäre, von denen er sicher sein kann, dass sie kein „Liederbuch“ im Keller haben, kann er an den Fingern abzählen. Herbert Kickl, den er als Minister ausschloss, ist vor Norbert Hofer zur blauen Nr.1 aufgerückt. Und „Ibiza“ illustriert die blaue „Sauberkeit“.
Die FPÖ wäre zwar einfach zu regieren, wenn man sie wieder an die Futtertröge lässt, aber das Risiko, dass eine Koalition mit ihr von Neuem vorzeitig scheitert, wäre gewaltig und machte Kurz von einem denkbar erfolgreichen zu einem gescheiterten Politiker. Dieses Risiko geht er- auch wenn er es aus taktischen Gründen zu Recht nicht laut sagt- nicht freiwillig ein.
Sebastian Kurz und Werner Kogler sind gleichermaßen zum Erfolg ihrer Verhandlungen verdammt -ihre inhaltlichen Differenzen werden das nicht verhindern.
Auch die Grünen wissen, dass Österreich nur die Migranten aufnehmen kann, die der Genfer Konvention genügen. Was Kogler von Kurz unterscheidet, ist „nur“ sein glaubwürdiges Bemühen um ihre Integration, und anders als Kurz meidet er Äußerungen, die Migranten diskriminieren. Doch Kurz kann diesbezüglich beruhigt zurückstecken- sein Mythos, die Balkan -Route geschlossen zu haben, wird darunter nicht leiden. Schwerer dürfte ihm fallen tatsächlich humaner zu agieren, weil das angeblich einen „Sog“ auf Flüchtlinge ausübt. Hier könnte der Verfassungsgerichthof hilfreich sein: Ich glaube, dass er die gedeckelte Mindestsicherung schon demnächst kippt – so wie der EuGH die türkis-blaue Indexierung der Kinderbeihilfe kippen wird.
Einen leichter überwindbaren Gegensatz zwischen Grün und Türkis gibt es bei den Vermögensbezogenen Steuern, die der gelernte Ökonom Kogler selbstverständlich bejaht. Aber auch Kurz wird den Österreichern zumindest dann eine „neue“ Vermögensbezogene Steuer zumuten, wenn ihr Ertrag exakt einer Senkung der Lohnsteuer entspricht.
Auch Kurz` „Nulldefizit“, das Kogler als Ökonom ablehnt, wird kein unüberwindbares Hindernis sein: Angesicht der in Deutschland bereits spürbaren und mit Sicherheit auf Österreich übergreifenden Rezession wird selbst Hartwig Löger begreifen, dass das Budget kein restriktives sein kann. Dass mittlerweile nicht nur Deutschlands Industrielle, sondern auch seine „Wirtschaftsweisen“ das Nulldefizit in Frage stellen, werden Österreichs Industrielle Kurz eingehend erläutern- und auf sie hört er bekanntlich.
Das zwingende gemeinsame Interesse
Bleibt die von den Grünen geforderte ökologische Steuerreform: Die, so glaube ich, wird Kurz auch von sich aus bejahen, denn er weiß, dass sie unvermeidlich ist, wenn Österreich nicht eine Milliardenstrafe an die EU bezahlen soll. „CO2-Steuer“ muss die diesbezügliche Maßnahme nicht heißen.
Vorarlbergs führender Grüner Johannes Rauch hat recht, wenn er den türkis-grünen Plan seines Bundeslandes als Vorlage preist: Natürlich soll (kann) ganz Österreich erfolgreich Energie-Autarkie erreichen. (amüsanter Weise wäre das Donaukraftwerk Freudenau, dessen Ablehnung den Grünen den Durchbruch bescherte, dazu ein effektiver Beitrag gewesen). Natürlich können Steuerprivilegien abgeschafft werden, die den CO2-Ausstoß begünstigen. Eine Abgabe, die Fliegen teurer macht, wird sich der Öffentlichkeit ebenfalls verkaufen lassen. Und einvernehmlich wird man die Photovoltaik, die Elektromobilität und den Ausbau des öffentlichen Verkehrs fördern.
Die halbwegs ernsthafte Abwehr des Klimawandels wird so teuer kommen, dass man das „Nulldefizit“ nie mehr diskutieren wird. Messungen des CO2-Ausstoßes werden dennoch ergeben, dass die ergriffenen Maßnahmen längst nicht aus reichen- aber da wird die türkis-grüne Koalition schon ein paar Jahre alt sein.
5 Kommentare
Naja, das Kraftwerk Freudenau wurde ja eh gebaut und leistet auch einen Beitrag. Vielleicht aber ist auch das Kraftwerk Hainburg gemeint, dessen Ablehnung den Grünen zum Durchbruch verholfen hat. Der Leser kann es sich aussuchen.
Gegensätze ziehen einander aus – hoffentlich – und auf Augenhöhe
Gegensätze ziehen einander aus – hoffentlich – und auf Augenhöhe, wenn geht
Nun, wenn ich nach einem Gläschen Wein in meine Kristallkugel blicke, sehe ich ganz ähnliche Bilder.
Nur nachdem sie erst nach dem Auftauchen des Ibiza-Videos den Sturz von Strache prophezeit hat, vertraue ich ihr nicht mehr so.
Türkis-Grün wird uns sehr lange erhalten bleiben – eventuell kommen gestärkte Neos nach den nächsten Wahlen, die früher kommen werden als von einigen befürchtet, zukünftig dazu.
Die Blauen bleiben mangels dünnster Personaldecke (z. B. Sidlo) unterirdisch. Und da können noch so viele illegale Migranten kommen, die wir auf ewig durchfüttern werden müssen, die mit ihren Messern herumspielen, die wir auch dann nie wieder loswerden.
Das wahre Drama sind ja unsere – und auch die deutschen – Sozialdemokraten. Wer heute im Standard das Interview mit Ex-Kanzler Vranitzky gelesen hat – das sind zum Glück nur wenige -, und seinen Vorschlag nach einem „Ausländerwahlrecht“ vernommen hat, muss erkennen, dass sich diese Partei bereits kurzfristig Richtung 15% bewegt. Der einzige Ausweg für die Roten wäre wohl, auf die „dänische sozialdemokratische Linie“ radikal umzuschwenken. Dabei würde man sicher einige „Gute“ an die Grünen verlieren, aber sehr viel mehr „Böse“ von der FPÖ und den Nichtwählern zurückholen und die Blauen marginalisieren. Aber das wird nicht passieren.
S. Kurz wird noch ganz lange Kanzler bleiben. Event. wird er sogar eines Tages Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsident ablösen.