Ein Burgtheater-Besuch ist derzeit Geldverschwendung

Hiermit warne ich vor dem Besuch des Burgtheaters: Die Bühnenbilder sind trotz Explosionen und Feuerspielen ermüdend langweilig; man versteht die Texte schon ab der achten Reihe nicht mehr, weil die aus München importierten Schauspieler extrem schlecht sprechen; und der Regisseur Martin Kusej hat eine zutiefst provinzielle Angst davor, dass seine Inszenierungen “normales” Theater sein könnten, das auch “Bildungsbürgern” gefällt.

Ich fürchte, das Burgtheater hat sich mit seiner Bestellung etwas angetan.

Ein Burg -Intendant, der große Hoffnungen weckte

Dabei habe ich dieser Bestellung mit der größten Hoffnung entgegengesehen, nachdem ich ihn seinerzeit als Gastregisseur von Grillparzers “König Ottokar” erlebt hatte: Da vermochte er die Lesebuch-Langeweile üblicher Inszenierungen tatsächlich mit wuchtiger Pranke zu durchbrechen, machte bis dahin verborgene Erotik sichtbar, nahm der Lobrede auf Österreich ihr patriotisches Pathos und hatte im übrigen Schauspieler zur Verfügung, die man bis in die letzte Reihe verstand. (Elisabeth Orth sowieso; Tobias Moretti nutze angebliche ein Mikrofon wie es Kusejs Münchner Crew zwingend vorzuschreiben wäre.)

Aber in seinen drei aus München mitgebrachten Inszenierungen war von dieser Pranke nichts zu merken – da war davon nur provinzielles Bemühen um “anders sein” übrig.

Akrobatik ersetzt Intensität nicht

Vielleicht noch am wenigsten in “Wer hat Angst von Virginia Woolf”. Da störte nur die schlechte Sprechtechnik und wurde psychische Verkrümmungen all zu oft nur mittels körperlicher Verkrümmungen vermittelt. (Ein von Kusej leider besonders häufig genutztes Regie-Element.) Jedenfalls habe ich dieses Stück schon in ungleich intensiveren Inszenierungen -freilich auch auf ungleich kleineren Bühnen- gesehen.

Im Akademietheater wäre diese Inszenierung vielleicht auch etwas intensiver rübergekommen zumal Bibiana Beglau eine gute Schauspielerin ist.

Fausts fade Vernichtung

Zu einer reinen wirklichen Katastrophe wurde Kusejs Faust 1, beziehungsweise was davon noch übrig war, nachdem er ihn durch den Reißwolf seiner Regie gedreht hatte. Teile von Faust 2 wurden aus völlig unersichtlichen Gründen an völlig unerklärlicher Stelle eingefügt; Goethe wurde überall dort nicht zitiert, wo diese Zitate “Bildungsbürgern” geläufig sind, denn die vor den Kopf zu stoßen war offenbar Kusejs wesentlichstes Anliegen. Auf die Idee, dass Goethe Formulierungen deshalb so bekannt sein könnten, weil sie so vollendet sind, scheint er nicht gekommen.

Das Ganze spielt in einem dunklen Bühnenbild, in dem sich so etwas wie ein riesiger Käfig dreht, aus dem rätselhafte Raketen mit zuckenden Lichtblitzen und gelegentlich ohrenbetäubendem Krach hochsteigen, ohne dass dadurch die geringste Spannung aufkommt – eher schläft man ein. Das gilt auch für die “Orgie” zu der Auerbachs Keller (theoretisch sinnvoll, praktisch erfolglos) umfunktioniert wird: Selten wurde auf offener Bühne so langweilig scheinkopuliert.

Kusejs aus München importierter Faust Werner Wölbern wirkt nie wie ein über die Zusammenhänge der Welt grübelnder Intellektueller, sondern wie ein Wirt des Oktoberfestes, der zu wenig eingenommen hat und durch seinen Beruf zum Alkoholiker geworden ist. Zudem spricht er besonders schlecht.

Bibiane Beglau als Mephisto spricht auch nicht gut, ist aber zumindest präsent, obwohl auch bei ihr die Verrenkungen des Körpers einmal mehr intensiver ausfallen als das teuflisch Verführerische.

Ich halte der Ordnung halber fest, dass Ronald Pohls sich im Standard für diesen Faust begeistert hat- für mich war er die Vernichtung eines Stückes Weltliteratur ohne dass dabei wenigstens die Spannung einer “Vernichtung” – eines Mordes -aufgekommen wäre.

Eine finstere Bühne macht keine finsteren Zeiten

Obwohl dieser Faust Grund genug gewesen wäre, Kusejs Burgtheater für Monate zu meiden, wollte ich mir sicherheitshalber noch seinen “Don Carlos” ansehen, ehe ich vorerst ein letztes Mal über seine Intendanz schreibe.

Der blieb, anders als Goethes Faust, als Schillers Drama erkennbar. Nur die “schönen Tage von Aranjuez ” wurden vermieden um einmal mehr klarzustellen, dass man keinen Wert auf Bildungsbürger legt und um die Bühne auch sogleich in Dunkelheit zu hüllen. Nur zwei Drohnen überfliegen sie mit stechenden Scheinwerfern und sollen offenbar den “Überwachungsstaat” suggerieren, den es schauspielerisch zu vermitteln nicht gelingt, obwohl Nackte in eine Grube mit Wasser gestoßen werden und König Philip gelegentlich jemanden würgt.

Die, durch die viereinhalbstündige Inszenierung – man empfindet sie als zehnstündig- fast lückenlos durchgehaltene Dunkelheit ist deshalb ein zusätzliches Problem, weil man den Schauspielern dadurch nicht auf den Mund sehen kann, um vielleicht von ihren Lippen abzulesen was sie sagen. Denn einmal mehr sind sie schon ab der achten Reihe in ihrer überwältigenden deutschen Mehrheit nicht zu verstehen. (Bei Claus Peymann, der auch deutsche Schauspieler mitbrachte, war das anders – es lag also nicht an meinen österreichischen Ohren.)

Unter diesen Schauspielern war Thomas Loibl als Philip gut gecastet, wenn auch besonders schlecht zu verstehen- manchmal wirkte seine Einsamkeit glaubhaft. Am insgesamt glaubwürdigsten war Nils Strunk als jugendlich verträumter, Don Carlos, auch wenn man ihn nicht an Oscar Werner in dieser Rolle messen durfte. (Das tat ich nicht, ich maß ihn “nur” an August Diehl und da war er trotz passabler Leistung ganz ungleich schwächer)

Ein neuer Burg-Star der nicht sprechen kann

Die eigentliche Katastrophe dieser Inszenierung war Franz Pätzold als Marquis Posa. Margarete Affenzeller normalerweise eine kompetente Kritikerin widmet ihm im Standard eine Hymne als “dem neuen Star des Burgtheaters”. Vielleicht ist er, wie sie schreibt, tatsächlich ein fulminanter Darsteller im Film – am Burgtheater müsste er sprechen können und das konnte er von allen eingesetzten deutschen Schauspielern am wenigsten. Man konnte sich aber auch in keiner Sekunde vorstellen, das er die Fahne der Freiheit durch ganz Europa trug, die Rebellion der Flamen unterstützte oder in der Lage gewesen wäre, Philip mit “Gedankenfreiheit” zu konfrontieren – “Sir” durfte er ihn an dieser Stelle nicht nennen um “Bildungsbürgern” nicht Zucker zu geben.

Ein Besucher neben mir, der die ganze Aufführung hindurch geschlafen hatte, klatschte beim Erwachen dennoch aufs heftigste: Er hat vermutlich Kusej-Kritiken im Standard gelesen.

Mehr Theater für weniger Geld

PS: “Sie sollten wirklich nicht übers Theater schreiben. Bleiben Sie dabei, was sie können.”, ließ mich ein Leser wissen, als ich an dieser Stelle schrieb, Martin Kusej hätte Goethes Faust durch den Regie-Reißwolf gedreht.

Ich füge diese Kritik hier an, weil es sicher am besten ist, wenn Sie sich ihr eigenes Bild von Kusjejs Inszenierungen machen.

Ich für meinen Teil spare vorerst viel Geld – in Sachen Wirtschaft spricht mir der selbe Leser die Kompetenz nicht ab- indem ich ins “Scala Theater” gehe, wo ich in mehreren Jahren noch nie eine schlechte Inszenierung gesehen habe oder suche sonst eines der zahllosen hervorragenden kleinen Theater Wiens auf, die vermutlich das Ganze Jahr weniger Subvention bekommen, wie sie die Burg nur für “Fausts” Bühnenbild ausgegeben hat. Manche, wie Bronski und Grünberg schaffen sogar ohne jede Subvention bessere Klassik-Inszenierungen als die Burg. An der “Freie Bühne Wieden”  war der grandiose Schauspieler Johannes Terne als Richard Nixon in Peter Morgans Frost/Nixon perfekt zu verstehen obwohl er ein Deutscher ist. Manche, wie Bronski und Grünberg schaffen bessere Klassik-Inszenierungen als die Burg sogar ohne jede Subvention. Wenn derzeit “Burgtheater”; dann besser dort oder an der Josefstadt.

 

17 Kommentare

  1. Mir scheint seit Jahren das Prinzip von Regiearbeiten zu sein, dass Regisseure ihre eigenen Sexualprobleme / Phobien / sonstige Schwierigkeiten mit ihrer Umwelt in Inszenierungen abarbeiten. Den Autor achten, das Wort ehren, die Sprache schätzen, das Publikum unterhalten – geschenkt. Deshalb ist es auch nicht wichtig, ob die (meist ohnehin klatschenden) Zuschauer auch zuzuhören vermögen. Hauptsache, Blut spritzt, nackte Leiber winden sich und der Besucher wird mit einem “Was will man mir damit sagen?” in die Nacht entlassen.
    Und ganz abgesehen davon: Warum scheint es total verpönt zu sein, das Publikum auch einmal positiv zu unterhalten? Ihm den Abend heiter zu gestalten? Grausliches gibt es doch ohnehin außerhalb des Theaters genug.

  2. Meinungen sind natürlich subjektiv, ich gebe – ganz subjektiv, Herrn Lingens vollkommen Recht!!! Auch fand ich Herrn Johannes Terne als President Richard M. Nixon grossartig – schauspielerische Glanzleistung seinerseits!!!!
    Leider ist auch das Burgtheater für mich nicht mehr das “erste Haus” in Wien! Nennen sie mich altmodisch, (bin stolz darüber), aber die grosse Zeit des Burgtheaters ist lange vorbei!

  3. Wow, hier gibt man sich profund der Kultur, der Theaterwelt und was weiß ich noch hin. Ich bin über so viel kulturelles Wissen und Erfahrung tief beeindruckt, ehrlich. Was Drozda angeht, würde ich ihm jeden kulturellen Fauxpas, jede Besetzung unserer Sprachtheater und Oper verzeihen, jedes tolle Auto und teure Uhr würde ich ihm vergönnen, wenn er nicht Bundesgeschäftsführer der SPÖ gewesen wäre. Aber ehrlich, zum Volkstheater hätte er nicht gepasst und die Bildungsbürger haben sich doch auch mit linke Bohemiens arrangiert. Umso lustiger war es, wenn sie sich im edlen, kleinen Kreis über solch einen „Parvenü“ unterhalten konnten.
    Ich bin neugierig, wann die hochkultur liebenden Bürger und die Kronen Zeitung den neuen „Burgherren“ zur Sau machen, dann lieber Lingens hoffe ich auf Sie, dass dagegen gehalten wird, auch wenn die derzeitigen Piefkes an der Burg (am Burgtheater) keine Stimme wie Aslan haben.

  4. Ich finde die Kartenbestellungen im Burgtheater eine Zumutung! Man kann erst im Monat davor Karten online bestellen und weiss nichtmal genau ob man welche bekommen wird und wenn, wo man sitzt. Die Begründung der Telefonhotline: “Die Schauspieler sind so berühmt und engagiert auch in anderen Bereichen, dass die nicht voraussagen können, wann sie wo ein Engagement haben.”
    Und deshalb kann man nicht vorausplanen?
    Das ist ein Armutszeugnis für “DIE BURG” !!!
    Ich schaffe es überall anders Karten lange im Voraus zu bekommen, zu bezahlen und die zu erhalten, die ich möchte.
    Ein weiteres trauriges Kapitel der Burg….
    Ich sehe demnächst die Hermannsschlacht von Kleist…. ich kann dann berichten 😉 beste Grüsse! H.B.

  5. Dass es Linken im Kulturbereich nicht immer um den maximalen Qualitäts-Anspruch geht sondern vielfach darum konservative Besucher (also eigentlich fast alle!) vor den Kopf zu stoßen, diese moralisch zu belehren und/oder ein stückfremdes Anliegen “hineinzudrücken” lässt sich auch im Bereich Film feststellen. Bei so gut wie allen Festivals gewinnt selten der herausragendste Film sondern, in den letzten Jahren fast immer, ein Film der sich mit einem der Themen Nationalsozialismus, Asyl und Migration oder sonstiger Sozial-Problematik beschäftigt.

    In dem Jahr in dem Jan Ziegler in Salzburg die Eröffnungs-Rede halten sollte und dies von Sponsoren verhindert wurde musste ich mir als Zuseher eines Theater-Stückes einen Vortrag über die Anliegen Zieglers anhören für den das Theaterstück ganz einfach unterbrochen wurde!!!

  6. ICH MUSS DAS SO SCHREIBEN UM ZU ZU ZEIGEN WIE SEHR ICH IHRE KRITIK UNTERSCHREIBE UND TEILE

    Es ist unfassbar wie sehr österreichische Theaterkritiker in Österreichs Zeitungen zeigen, dass Sie unfähig sind auf Grund erstaunlicher aber nicht verwunderlicher Lücken Ihrer Bildung beziehungsweise Ihrer widerwärtigen Bereitschaft sich bei Theaterdirektoren anzubiedern und unter Jubelrufen, Ihnen in den Arsch zu kriechen Jubelkritiken über die Vernichtung eines der wichtigsten und großartigsten Dramen der deutschen Kulturgeschichte zu schreiben und damit zur Zerstörung unserer Kultur beizutragen.
    Wer an dieser Verwandlung des Faust in hirnlose Scheisse auch nur das geringste an Positivem finden konnte zeigt eindeutig, dass er zwar ein progressiver brillianter Linker verglichen mit ranzig gewordenen Bildungsbürgern ist, die möglichst umgehend eliminiert werden müssen, damit die leuchtende beglückende Welt des befreiten Proletariats, wie sie an grossartigen Personen wie Thomas Drozda erkennbar ist, endlich Österreich wieder in ein Land überwältigender Kultur verwandeln kann.

    Dr. Gerald Müller

    1. 👏👏👏👏👏👍👍👍👍👍
      Meine 150%ige Zustimmung zu Ihrem Kommentar!

      Was der SPÖ Porschefahrer & Luxusuhrenträger Thomas Drozda uns da angetan hat, das kann man noch gar nicht erahnen.

      Ich befürchte so gehts dann mit der Staatsoper weiter, hier hat auch Drozda seine Linken Visionen verwirklicht.

  7. Ich geh schon lang nicht mehr ins Burgtheater – ich wünsch mir vom Theater einen verständlich gesprochenen Text – mich interessiert die literarische Aussage eines Theaterstücks – kreischende, vögelnde, möglichst schockierende Typen brauch ich nicht – bitte, vielleicht macht das Kusej ja nicht mehr aber ich riskier halt einfach nicht mehr, vor lauter Action nicht mehr mitzukriegen, worum’s eigentlich geht.

  8. Naja, ……”PS: “Sie sollten wirklich nicht übers Theater schreiben. Bleiben Sie dabei, was sie können.”, ließ mich ein Leser wissen, als ich an dieser Stelle schrieb, Martin Kusej hätte Goethes Faust durch den Regie-Reißwolf gedreht.”

    Ehrlich gesagt, nachdem ich unlängs Ihrer Empfehlung gefolgt bin und mir das von Ihnen hoch gepriesene Nixon-Watergatestück in der freien Bühne Wieden gegeben habe, bin ich geneigt Ihrem Kritiker zuzustimmen.
    Ich bin ja durchaus für eine konservative Inszeniierung zu haben, Aber was in Wieden geboten wurde, war tatsächlich grottenschlecht – das Stück selbst, obwohl thematisch interessant, langatmig, die Schauspieler zwar laut und deutlich (was wohl auch dem Publikum – überwiegend jenseits der 70) entgegen kommt – dafür sprachen sie aber größtenteils nur ihren Text herunter, von einem Rollenspiel weitgehend keine Spur – wohltuende Ausnahme: der Präsident und sein Presseattaché.

    Der Schlusssatz zerstörte das Stück schlussendlich auch in seiner inhaltlichen Aussage.

    Ein denkwürdig enttäuschender Abend – jede Schulaufführung einer 12.Klasse an der Waldorf Schule ist tatsächlich um Klassen besser

    Liebe Grüße und vielen Dank für Ihre politischen Kommentare

    1. Interessant, denn die ziemlich vielen anderen Leute, die meiner Empfehlung gefolgt sind, waren von Frost/Nixon begeistert. Aber Theateraufführungen erlebt man eben offenbar sehr unterschiedlich. Sie wissen ab jetzt: Nach mir richten Sie sich bezüglich des Theaters nicht. Es ist ja sehr gut möglich, dass jemand sich zwar in Wirtschaftsfragen gut, in Fragen des Theaters aber gar nicht auskennt. Dass ich allerdings mit meiner Kritik etwa des Don Carlos nicht ganz so daneben liege, können Sie vielleicht sehen, wenn Sie den ”www.onlinemerker.com” anklicken: Dort hat mit Renate Wagner eine der professionellsten Theaterkritikerinnen des Landes zu dieser Inszenierung Stellung genommen – und kommt, wenn auch in einem viel umfangreicheren Text, zu einer ziemlich ähnlichen Einschätzung.

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