Was konnte Kurz als Kanzler?

Eine nüchterne Bilanz der türkis-blauen Regierung ist tief rot. Wirtschaftliche Erfolg wurde nicht erzielt sondern geerbt. Personal-und Sicherheitspolitik waren desolat.

In der Steiermark triumphierte seine ÖVP über eine SPÖ und eine FPÖ in voller Selbstauflösung; die Einigung mit den Grünen steht vor der Tür: Sebastian Kurz wird uns demnächst (für sehr lange) wieder regieren. Grund genug zu bilanzieren, was er bisher geleistet hat.

Auf der Haben-Seite steht für mich:

  • Er hat uns als Außenminister der Regierung Faymann durch seinen Beitrag zur Schließung der Balkanroute einen kritischen Zustrom von Migranten erspart und ist dieser Politik als Kanzler treu geblieben.
  • Seiner Regierung ist eine notwendige Steuerreform (Entlastung der Löhne) gelungen, wie sie von der SPÖ durch Jahre gefordert, von ÖVP-Finanzministern aber blockiert wurde.

Damit zu genuin Türkisen Anliegen:

  • Die Zusammenlegung der Krankenkassen verursachte vorerst vor allem Unruhe – ob sie auch Einsparungen bringt, muss sich zeigen.
  • Gesetzesänderungen, die die Mindestsicherung betreffen, wurden oder werden vom Verfassungsgerichtshof oder vom EUGH durchwegs aufgehoben. Dass “42 Euro ab dem dritten Kind” und “Deutsch auf B1-Niveau” Migranten abwehrt ist denkbar – sicher bringt es längst eingebürgerte Familien, voran ihre Kinder, in finanzielle Bedrängnis.
  • Unter Kurz´ Finanzminister Hartwig Löger wurden selbst die kompetentesten roten Aufsichtsräte staatsnaher Unternehmen gegen türkisblaue ausgetauscht; mit Peter Sidlo wurde ein ungeeigneter FP-Bezirksrat rechtswidrig zum Finanzvorstand der Casino AG; der Finanzbeamtw Thomas Schmid stieg zum Allein-Verwalter der Staatsbeteiligungen an Unternehmen wie OMV, Verbund oder CASAG auf und übersandte der privaten Novomatic-AG geheime Informationen, wie sie zu Lizenzen fürs Online -Glückspiel käme; das Ministerium plante entsprechende Gesetzesänderungen – was natürlich “absolut nichts” mit einem “Hintergrunddeal” zu tun hat.
  • Österreichs Nachrichtendienst ist zum Gespött der internationalen Branche geworden.

Notstand bei Justiz und Bundesheer

Erste Konsequenz des “Nulldefizits”, das Kurz als türkise Jahrhundertleistung feiert, ist ein akuter Investitionsrückstand beim Bundesheer, das “am Rande des Grabes steht” (Thomas Starlinger) und der “stille Tod der Justiz” (Clemens Jabloner), die unter akuter Personalknappheit leidet. Natürlich ist das nicht nur Schuld der letzten Regierung, sondern jahrelanger Vernachlässigung durch diverse Regierungen. Aber stets waren es VP-Finanzminister die eine ausreichende Finanzierung ablehnten und jetzt ist der Notstand dramatisch.

Ich will hier nicht noch einmal erläutern, warum ich das Nulldefizit grundsätzlich für verfehlt halte und dass es mittlerweile selbst in Deutschland massiv in Frage gestellt wird, sondern nur klarstellen, dass es auch keineswegs einer außergewöhnlichen wirtschaftlichen Leistung der türkisblauen Regierung zu Danken ist. Vielmehr ist Österreichs Wirtschaft seit Jahrzehnten hervorragend strukturiert und war als Wirtschaftsstandort nie, wie von der Bundeswirtschaftskammer behauptet, “abgesandelt”, sondern hat sich vor allem in der Finanzkrise als besonders widerstandfähig erwiesen. Eine außergewöhnliche wirtschaftliche Leistung hat allenfalls die abgewählte rot-schwarze Regierung erbracht, indem sie die schlimmste Wirtschaftskrise seit den Dreißigerjahren mittels eines von den Sozialpartnern geschnürten Maßnahmenpakets besser als die meisten anderen Volkswirtschaften überwand.

Die erfolgreiche Wirtschaft war ausschließlich geerbt

Dass die Wirtschaft in der Ära Kurz gut lief, ist ausschließlich dieser rotschwarzen Vorleistung und der verbesserten europäischen Konjunktur zu danken. Zumindest Kollegen, die etwas von Wirtschaft verstehen, wie Georg Wailand von der Kronenzeitung oder Josef Uschitz von der Presse wissen genau, dass wesentlichere Entwicklungen innerhalb einer Volkswirtschaft sich zwangsläufig nur in Zeiträumen von mindestens zwei, drei Jahren vollziehen, (sofern nicht ein äußeres Ereignis, wie ein Öl-Schock oder die Subprime-Krise sie bedingen). Die relativ gute österreichische Entwicklung 2018/19 kann daher unmöglich auf der Wirtschaftspolitik einer Regierung beruhen, die erst seit Oktober 2017 im Amt ist. Allenfalls kann man ihr attestieren, dass sie diese relativ gute Entwicklung durch eine Steuerreform, wie die SPÖ sie ständig gefordert hat, nicht konterkarierte.

Message control funktionierte

Ich mache Österreichs Medien den Vorwurf:

  • dass sie nie aufgezeigt haben, dass die Behauptung des WKO- Präsidenten Wolfgang Leitl vom “abgesandelten” Wirtschaftsstandort in krassem Widerspruch zu den Wirtschaftsdaten der zugehörigen Jahre stand.
  • und dass sie nie aufgezeigt haben, dass die rot-schwarze Regierung die schwerste Krise der Weltwirtschaft seit den Dreißigerjahren bravourös gemeistert hat.

Wirtschaftliche Gründe, die rot-schwarze Regierung zu sprengen, hat es weit und breit nicht gegeben. Aber in keinem der genannten Medien habe ich das gelesen oder gehört. Nur Tag für Tag in der ZIB die Frage, wann die rotschwarze Regierung aufgeben würde.

Gute Journalisten haben sich zu Instrumenten der von Sebastian Kurz brillant geplanten Sprengung einer durchaus erfolgreichen rotschwarzen Regierung gemacht. Und machen sich weiterhin zu seinen Helfern, indem sie nie darauf hinweisen, wie wenig die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung mit seiner Regierung zu tun hat.

Wenn nicht zufällig ein schillernder Rechtsanwalt und ein schillernder Privatdetektiv auf Ibiza ein Video gedreht hätten, wäre die türkisblaue Regierung bis heute “die beste seit 47 Jahren” (Sebastian Kurz), während mir bei nüchterner Betrachtung keine einfällt, die schlechter gewesen wäre.

 

 

 

 

 

 

5 Kommentare

  1. „Er hat uns als Außenminister der Regierung Faymann durch seinen Beitrag zur Schließung der Balkanroute einen kritischen Zustrom von Migranten erspart und ist dieser Politik als Kanzler treu geblieben.“

    Offenbar ist das genau der Grund warum Kurz einen deutlichen Vorsprung an Wählerstimmen hat. Ich will das gar nicht werten, es ist einfach die ungeschminkte Wahrheit und man sollte das auch offen aussprechen und die teils berechtigten Ängste dahinter nicht ignorieren. Es ist auch der Grund für die tiefe Spaltung innerhalb der SPÖ.

    Wenn die Grünen nicht ein ähnliches Schicksal wie die SPÖ erfahren wollen, werden sie sich in dieser Frage ziemlich verbiegen müssen. Im allerschlimmsten Fall könnte sich eine Mehrheit Kickl und seine Kameraden wieder zurückwünschen. Um das zu verhindern, ist es so wichtig, dass Türkis/Grün ein Erfolg für unser Land wird.

  2. Auch wenn bei der ÖVP (viel) mehr Schein als Sein ist, und die FPÖ von Tag zu Tag unterirdischer wird, kommt die SPÖ nicht vom Fleck – im Gegenteil.

    Selbst wenn es noch so “nazihaft” klingt: Das hat hauptsächlich mit der “open border Haltung” der Linken zu tun. (Zumindest hat man sich noch nicht ganz klar und unmissverständlich davon distanziert.) Dass die Grünen seit einiger Zeit einen derartigen Höhenflug erleben, haben sie hauptsächlich der “Klimawandel-Hysterie” zu verdanken, wo das “Prinzip Hoffnung herrscht” und eine realistische Sicht auf die Welt und deren Größenordnungen nicht erfasst wird. (China, Indien, …, werden “uns” auf Jahrzehnte noch was sxheißen.) Dass unsere hoch geschätzte Demokratie gerade in Bezug auf die Wirtschaft (als Konsument und Beschäftigte) klare “Leistungsgrenzen” hat, wollen die Naiven unter uns – und das sind sehr viele – nicht wahrhaben. “Da muss halt die Politik eingreifen”, hört man immer wieder. Doch wer (zu stark) – wirklich wirksam – eingreift wird abgewählt bzw. nicht gewählt …

    Klar, man kann immer “alles anders sehen”. Nur die Roten werden sich nie wieder erfangen, solange “unsere” Kinder in Schulen abstinken, wenn sich Eltern keine Privatschule leisten können, und “unsere Gäste” – nicht nur in Wien – immer mehr werden …

  3. Geschätzter Herr Lingens, warum gab es in der Vergangenheit von Ihnen nie einen Kommentar mit der Überschrift “Was konnte Faymann als Kanzler?” oder “Was konnte Kern als Kanzler?”

    Faymann haben wir die Öffnung der Grenze, dem “Tür’l mit Seitenteilen”, zu verdanken und Kern hat dies noch bei einer vielumjubelten Abschiedsrede am SPÖ Parteitag am 24.11.18 in Wels mit den Worten bestätigt: „Ich bin mit vielen von euch im Herbst 2015 auf den Bahnhöfen gestanden und habe mitgeholfen. Ich bin stolz darauf, dass wir das damals so gemacht haben. Das war einer der besten Momente unseres Landes.“

    Diese beiden SPÖ Kanzler haben den Absturz der SPÖ herbeigeführt, und die Joy Rendi-Wagner verzwergt mit ihrem unverständlichem Verhalten, Stichwort: Mißtrauensantrag, noch weiter die SPÖ bis zu deren absoluter Bruchlandung.

    Ich bleibe dabei:Österreich hat Sebastian Kurz viel zu verdanken und glücklicherweise befindet sich die SPÖ jetzt außerhalb des Spielfeldes, ja hockt in der Spielerkabine ratlos herum.

  4. Ganz so schlimm ist es nicht – Regierung Kurz war erst 2017 im Amt, nicht seit 1917. Denn da wäre ihr Argument tatsächlich ins Leere gegangen.

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