Die Entwicklung in den USA wird über ihre Schwere entscheiden. Das Sparpakt-Fiasko ist nicht gutzumachen, Lohnzurückhaltung rächt sich. Österreich wird mit “Exportkaiser” Deutschland leiden.
So wie die EU im Moment mit COVID-19 umgeht – und das Gros ihrer Experten hält diesen Umgang für unvermeidlich- steuern wir einer weltweiten Rezession entgegen: Nachfrage und Produktion in China werden sich denkbar langsam erholen – in der EU und den USA werden sie einbrechen.
Nur Boris Johnson und Hollands Mark Rutte propagierten einen anderen Umgang mit dem Virus: Sie wollten bloß die Über-Sechzigjährigen kasernieren – der Rest der Bevölkerung sollte wie bisher leben. Ihre Theorie: Die Risikogruppe sei wie überall geschützt, doch die schnellere Durchseuchung der Bevölkerung schaffe schneller Herdenimmunität. Die Virologen, auf die sie sich dabei beriefen, sehen das SARS-CoV-2 Virus wie der Bonner Virologe Hendrik Streeck: Es sei zwar extrem infektiös, aber relativ harmlos. Tatsächlich liegt die Sterblichkeitsrate in Deutschland (Österreich) vorerst im Promillebereich – für Wuhan, wo der extreme Smog allerdings Vorerkrankungen fördert, beziffert sie eine erste Studie freilich mit 1,4 Prozent. Gewiss ist-siehe Italien- dass sie massiv vom Zustand des Gesundheitssystems abhängt.
Johnsons Risiko war daher durch seine eigen Partei maximiert: Extrem neoliberal hat sie das britische Gesundheitssystem derart kaputtgespart, dass schwer vorstellbar war, dass es der auch in seinem Modell unvermeidlich größeren Belastung standhält. So gibt es etwa für 66,4 Millionen Briten nur 5000 Intensivbetten. Eine Studie des Imperial College of London prophezeite daher, dass Johnsons Strategie zu 250.000 Toten führen würde. Tags darauf ruderte er zurück: Auch er ließ Stadien Museen und Schulen schließen und kann sich “jede nötige Maßnahme vorstellen.” Rutte vorerst nicht, doch auch er schloss die Schulen. Stufenweise nähern sich beide der Strategie der EU an – mit Problemen durch die Verspätung: Es wurde kaum Hilfe für Unternehmen vorbereitet und “Neue Selbstständige” erwartet ungebremstes Elend.
Die EU wird eine beispiellose Rezession freilich auch nur vermeiden können, wenn sie ihre Strategie stufenweise der Johnsons annähert: Es muss dringend bald wieder ausreichend produziert und konsumiert werden. Auch wirtschaftliche Not verkürzt Leben erheblich
Ökonomische Unkenntnis rächt sich
Massiv gerächt hat sich angesichts “Corona” der “Sparpakt”: Fast überall hat Sparen des Staates das Gesundheitssystem geschwächt- Italien ist nur das dramatischste Beispiel. Jetzt schwächen die geschwächten Gesundheitssysteme auf maximale Weise die Wirtschaft. Zumindest einen Staatschef hat das wachgerüttelt: “Kostenlose Medizin und Sozialstaat”, erklärte Emmanuel Macron, “sind keine Kosten und Lasten, sondern unverzichtbare Güter. Diese Pandemie hat deutlich gemacht, dass es Leistungen gibt, die außerhalb der Marktgesetze gestellt werden müssen. Wir müssen das Modell hinterfragen, in das sich unsere Welt seit Jahrzehnten verstrickt hat.”
Vielleicht erklärt jemand den Deutschen, dass “Lohnzurückhaltung” die Wirtschaft nicht minder schwächt: Das BIP der EU wäre jetzt viel weniger gefährdet, wenn es weniger von Exporten nach China und in die USA abhinge. Es hat nämlich- ich wiederhole mich leider auch diesbezüglich- einen volkswirtschaftlichen Sinn, wenn das was man produziert von der eigenen Bevölkerung gekauft werden könnte. So hingegen hat “Lohnzurückhaltung” die Kaufkraft voran Deutschlands aber auch Österreichs und unter deutschen Druck fast aller EU-Mitglieder, massiv geschwächt. Mit der Konsequenz, dass voran “Exportweltmeister” Deutschland, aber auch Österreich, überproportional vom Corona-bedingten Rückgang der Exporte nach China und in die USA betroffen sein werden.
Diese durch Lohnzurückhaltung bedingte Schwäche wird sich der massiven durch Covid-19 bedingten addieren. Vielleicht wird das mehr EU-Granden als nur Emmanuel Macron veranlassen, das “Modell” der EU zu hinterfragen – dann hätte das Corona Virus zumindest einen Vorteil.
Christine Lagarde hat zwar sofort beschlossen, dass die EZB diesmal gleich 750 Milliarden Anleihen kauft, um Europas Staaten Geld zuzuführen – aber unverändert auf eine Weise, die schwachen Staaten wie Italien höhere Zinsen belässt. Aber Ursula von der Leyen denkt erstmals über EU- Bonds nach.
Wenn die so geschaffenen Milliarden die Wirtschaft der EU auch nur einigermaßen funktionsfähig erhalten, ist völlig egal, dass dieses Geld “gedruckt” worden ist.
Wie krank werden die USA?
Auch die türkis-grüne Regierung handelt richtig indem sie 38 Milliarden zur Verfügung stellt um Unternehmen ausreichende Liquidität zu sichern. Um Kündigungen zu vermeiden entstand ein durchdachtes Kurzarbeitsmodell. Die fixierte steuerliche Entlastung der Bürger kommt wie gerufen, weil das Virus die Sparneigung beflügeln wird, während die Unternehmen nach Schließungen und Ausgangsperren dringend Einkäufe brauchen werden. (Im Idealfall geben die Österreicher nicht weniger als vor “Corona” aus.)
Wie dramatisch die weltweite Rezession ausfällt, entscheidet sich in den USA: Wie weit ist die enorme Leistungskraft ihrer Industrie, gepaart mit der Machtfülle der Gouverneure und den Möglichkeiten des Kriegsrechts in der Lage Donald Trumps Indolenz aufzuwiegen? Wie weit vermögen punktuelle Beschlüsse das löchrige Gesundheitssystem zu stärken? Zumindest gibt es erstmals gesetzlichen Krankenurlaub und KFZ-Firmen erzeugen Beatmungsgeräte.
Eine kurzfristige Erholung der US-Aktienkurse wird nichts über die wirtschaftliche Lage sagen. Es kann ihr ein noch tieferer Absturz folgen wenn mehr Tests viel mehr Infizierte zeigen.
7 Kommentare
Was mir in der Corona-Krise seit einigen Wochen aufgefallen ist:
– Mir ist kein Statement in irgend einem Medium aufgefallen, wo “gemeint wird”, dass uns eigentlich KÜNSTLICHE INTELLIGENZ bei dem Problem schnell helfen könnte. Da sind die diversen Klugscheißer auf einmal ganz ruhig.
– Auch sind die Proponenten, die meinen, dass wir bald FREMDE GALAXIEN bevölkern könnten, weil es auf der Erde untragbar wird, nur weil es ein paar Grad wärmer wird, in diesen Tagen ganz ruhig. Ein Mini-Ozonloch auf der Erde wird zum Mega-Problem, wie wenn es im All keine Strahlungen gäbe. Gesundheitliche Gefahren, Viren u. ä. verbunden mit ärztliche Versorgung sind auch nie Thema. Aber sie verkaufen uns die E-Mobilität bereits das kurzfristige Heil auf Erden.
Leider springen auch viele Journalisten auf diversen Schwachsinn auf. Aber die Situation wird sich aufgrund der aufkommenden Weltwirtschaftskrise, die sicher nicht friedlich abgehen wird, ändern. Da werden etliche Schreiberlinge und TV-Kommentatoren auf Kriegsberichterstattung umschulen müssen.
Ich zähle altersmäßig auch bald zu den Corona-Gefährdeten. Aber ich habe nur eine eingeschränkte Angst vorm Sterben, da wir das alle einmal müssen. Leid tun mir nur die Kinder und Kindeskinder …
Vielleicht kann mir irgendwer meine Frage beantworten, die sehr trivial ist, aber ich noch nie von jemandem gehört habe, auch keine Antwort in diese Richtung:
– Bei einer Schwangerschaft ist EIN Samenkörnchen für die Befruchtung verantwortlich, je mehr es sind, desto wahrscheinlicher wird sie natürlich.
– Beim Heuschnupfen kommt es auf die Anzahl der Pollen an, wie stark dieser wird (bei ein und der selben Person, die allergisch ist).
– Wie ist das mit Corona? Genügt EIN Partikel eines Virus oder ist der Krankheitsverlauf abhängig, wieviel Viren die Lunge erreichen.
Wenn EIN einziger Partikel genügt, dann ist eine Massenausbreitung wahrscheinlich nicht aufzuhalten, außer es stellt sich Immunität ein oder man findet frühzeitig ein Medikament dagegen, Nicht-raus-gehen und Hände waschen wird dann wahrscheinlich zu wenig sein.
Wenn ein einmaliges Händeschütteln mit anschließendem Ins-Gesicht-Fahren nur ganz wenige Viren in die Lunge befördern, müsste der Krankheitsverlauf ja relativ harmlos sein.
Was wird aus den aktuell stillstehenden oder in Kurzarbeit darniederliegenden europäischen Industrien? Wer oder was schützt sie vor “feindlichen Übernahmen” durch jene Unternehmer, die potent genug sind, den einen oder anderen Konkurrenten durch Aufkauf und Schließung nach der Krise aus dem Weg schaffen zu können?
Nach meinen Einschätzungen wird es China relativ schnell schaffen, weil es eine effiziente Führungsstruktur hat. Die USA muss es schaffen, weil es “die Tools” – bis hin zum Kriegsrecht – hat und diese bei Bedarf auch einsetzen wird (mit und trotz Trump). Auch wenn wir über Russland lachen und es auch medial runtermachen, wird sich dieses Riesen-Land – auch wegen Putin – relativ zügig von niedrigem Niveau weg regenerieren.
Und Europa / die EU: Die wird es nicht schaffen. Das hat viele Gründe, die aus Platzgründen hier alle gar nicht aufzulisten sind. 2015 hat Merkel Europa gewaltig gespalten und die EU ist seit damals bereits “vorgeschädigt”, vergleichbar einem 96-Jährigen mit starken Vorerkrankungen, der dann an Corona stirbt … Klar spielt die Lohnzurückhaltung Deutschlands auch mit, nur kommt dieses Thema bei den meisten Menschen in Europa nicht an. Merkel wurde halt – von den Medien und infolge von den Menschen – hoffnungslos überschätzt. Sie konnte aber nur “glänzen”, weil die anderen Parteien mit Losern durchsetzt waren und es noch immer sind. Kurz zusammengefasst: mit der Parole “Wir schaffen das”, wird man die EU nicht retten können.
Wenn es am kommenden Sonntag in Österreich eine Abstimmung zu einem Betritt zur EU gäbe, würde die Mehrheit wohl dagegen stimmen. Eine EU-Austrittsforderung würde gerade Sebastian Kurz mit seinem Standing in der Bevölkerung verhindern können.
S.g. Herr Lingens, als in ökonomischen Dingen mässig gebildeter denk ich, dass vieles was Sie zum Thema ‘Lohnzurückhaltung und ‘deficit spending’ sagen Hand und Fuss hat. Darüberhinaus bin ich ultimativer Fan einer Global koordinierten Ökonomie (im Gegesatz zu Dr. Janner, wei mir scheint) mit einer starken regionalen Komponente. Als ein Beispiel von vielen: Wien und Alles im +/- 250km Umkreis – unabhängig von kleingeitsigen Nationalismen und Sprachen.
Ich würde vorschlagen, Sie fassen die 5 Hauptthesen des obigen Artikels in 5 einfache Sätze, und wir ‘treffen’ uns hier 1x im Monat und machen einen Faktencheck.
Ja und nein. Die Auslagerung war ein Irrtum, ich habe das in “Die arbeitslose Gesellschaft” schon 1999 gesagt, als noch niemand darauf hörte (vielleicht auch Herr Lingens noch nicht?). Aber man sollte die Besserwisserei nicht auf die Spitze treiben. Auch das beste Gesundheitssystem ohne alle neoliberale Kaputtsparerei kann sich auf eine Seuche nicht vorbereiten, weil es dann nämlich ein Zehnfaches oder mehr an Intensivbetten vorhalten müsste – das aber ist auch für den reichsten Staat unbezahlbar. Also bitte keine populistischen Tiraden!
Österreich wird mit seinen 5,5 Intensivbetten pro tausend Einwohner auskommen, obwohl es sie im Zuge von Maastricht und Sparpakt von 7,5 Betten auf diese Zahl verringert hat.
Italien hat sie von fünf auf weniger als ein Intensivbett pro Tausend verringert. Bei Spanien könnte es ähnlich sein. Ich sehe nicht, was an meiner Kritik an den offenkundigen negativen Folgen staatlichen Sparens an populistische Tiraden erinnert.