Der Einsatz des Malariamittels Hydroxychloroquine, unter den Handelsnamen Plaquenil, Quensyl, gegen Covid-19 bleibt weiterhin Gegenstand denkbar heftiger Auseinandersetzungen.
Ich versuche weiterhin mir möglichst emotionslos sein sachliches Bild von seiner Wirkung zu machen und halte es für das Einfachste, Sie an meinen Bemühungen teilhaben zu lassen. Zu diesem Zweck rekapituliere ich kurz die Vorgeschichte:
Erstmals aufmerksam wurde ich auf Hydrooxychoroquine, als Donald Trump – wie üblich im Zuge restlos inkompetenter Äußerungen zum Corona- Problem – auf ein angeblich „amerikanisches“ Malaria- Wundermittel zu sprechen kam, das es den USA gestatten würde, locker mit dem „chinesischen Virus“ fertig zu werden.
Als nächstes hörte ich auf NDR die Kritik des Topvirologen Christian Drosten an einer Studie seines Kollegen Didier Raoult: Er habe den Einsatz dieses Medikaments mit unzureichender methodischer Sorgfalt an nur wenigen Patienten überprüft.
„Game Over“ für das Coronavirus?
Unmittelbar darauf stieß ich im des französischen Medizin- Anthropologen Jean Dominique Michel auf die Geschichte der Raoult- Studie. Der außerhalb Österreichs und Deutschlands wie Drosten als Top-Virologe gehandelte Leiter des „Institut Hospital Universitaire Méditerranée Infection, (IHU) in Marseille hat sich auf die Erforschung von Corona- Viren (SARS, MERS) und derzeit auch die Behandlung von Covid- 19 Erkrankten spezialisiert, sieht aus wie Obelix und ist für sein ebenso unkonventionelles wie selbstherrliches Auftreten verschrien. Ganz seinem Ruf entsprechend erklärte er am 26. Februar in einer Videobotschaft auch über Youtube: „Game over“ für das Coronavirus- man kann es bekämpfen.
Zugrunde lag dieser Frohbotschaft eine Studie, die chinesische Ärzte in Wuhan anhand der dort explodierten Covid- 19 Erkrankungen angestellt hatten und die zu dem Schluss kam, dass Plaquenil den Verlauf der Erkrankung erheblich lindert und die Zeit, in der die Infizierten Viren ausscheiden erheblich verkürzt.
Raoult, der an Hand seiner MERS-Erfahrung mit den molekularen Mechanismen möglicher Medikamente gegen Corona Viren denkbar vertraut war, hatte die chinesische Studie für valid empfunden und sein „Game over“ darauf gegründet.
Die Kritik des Meinungsführers Christian Drosten
Statt Begeisterung war ihm jedoch auch in seiner Heimat vehemente kollegiale Kritik entgegen geschlagen. Unter anderem wurde behauptet, Plaquenil könne sogar den Tod herbeiführen.
Bei den französischen Behörden hatte Raoult daraufhin die Bewilligung erkämpft, 24 schwer an Covid-19 Erkrankte mit Plaquenil zu behandeln. Er tat es mit einer etwas geringeren als der chinesischen Dosierung und verabreichte es, wie sein Institut aus den Erfahrungen mit SARS gelernt hatte, zusammen mit dem Antibiotikum Azithromycin. Als Ergebnis dieser Studie teilte in der Medizinzeitschrift „Lancet“ am 3.März mit, dass 90% derer, die Plaquenil erhalten hatten, nach kurzer Zeit kein Coronavirus mehr ausschieden und dass ihr Zustand sich wesentlich gebessert hätte.
Das war die Studie, die Drosten im NDR methodisch kritisiert hatte.
Ich verfasste in Kenntnis dieser Kritik und Michels Blog meinen Artikel „Gibt es bereits ein wirksames Corona Medikament?“ und erntete damit neben Zustimmung auch harsche Kritik: Drosten hätte Raoults Studie „in der Luft zerrissen“.
So hatte ich seine Worte freilich nicht empfunden – wohl aber als zutreffende methodische Kritik: Auch für jeden Laien ist klar, dass 24 Erkrankte ein viel zu kleines Sample sind.
Stutzig machte mich etwas anderes: Im Internet schwirren unter den Namen verschiedenster Autoren auf Punkt und Beistrich wortgleiche Texte herum, die Raoul und Parquenil tatsächlich in der Luft zerreißen. Das riecht nach Steuerung.
Eine vernichtende zweite Kritik
Wenig später übersandte mir die Neurologin Andrea Bronner einen Text, in dem der Derek Lowe, ein anerkannter Medizin-Chemiker der sich auf die Beurteilung neuer Medikamente spezialisiert hat, eine neue Studie Raoults, die diesmal 80 Patienten umfasste, höchst seriös in der Luft zerreißt: Raoult hätte auf eine Kontrollgruppe, die kein Plaquenil erhielt, verzichtet und damit gegen das wichtigste Gebot seriöser Medikamenten -Studien verstoßen. Darüberhinaus sei das Patientenmaterial nicht homogen gewesen und es seien Personen aus dem Sample ausgeschieden und durch andere ersetzt worden. Am Ende meldet Lowe nicht nur größte Bedenken an der Studie sondern auch an Raoult als Person an. Tatsächlich hatte der Franzose sich beim Auftauchen der ersten Covid-19 Fälle in China und dann in Italien ähnlich inkompetent wie Donald Trump geäußert und die Erkrankungen als „lächerlich“ abgetan.
Ich teile Lowes methodischen Zweifel, gebe allerdings zu Bedenken, dass es in Marseille nicht so leicht wie in China ist, ausreichend homogenes Patientengut aufzutreiben, dass unter 80 schwerkranken Patienten zwingend dieser oder jener durch Tod ausscheiden kann und ersetzt wird, und dass es für jemanden, der von seiner Behandlung überzeugt ist und in seinem Krankenhaus Patienten betreut ein ethisches Problem ist, sich auf eine unbehandelte Kontrollgruppe einzulassen.
Die offenkundigen wirtschaftlichen Interessen
Am nächsten Tag nahm sich der „Standard“ erstmals des Themas an. Sowohl Chloroquine als auch Azithromycin seien Wirkstoffe, die seit Jahrzehnten am Markt sind und Malaria- und Rheuma-Patienten in Milliarden Dosen verschrieben wurden. Die möglichen Nebenwirkungen beider Medikamente seien daher sehr gut bekannt. „Insofern sind viele Kritiken an dieser möglichen Behandlungsoption nicht im Geringsten nachvollziehbar. Gestützt würden die guten Ergebnisse der ersten chinesischen und der beiden französischen Studien durch Ergebnisse „von inzwischen mehr als 13 laufenden klinischen Studien zu Chloroquin und COVID-19 in China. Obwohl die Ergebnisse zu den meisten dieser Studien noch ausstehen, haben sie dazu geführt, dass das chinesische nationale Gesundheitskomitee eine Therapieempfehlung (unter Auflagen) für SARS-CoV-2 Infektionen mit Chloroquin abgegeben hat. In der Wissenschaft folgte ein regelrechter Aufschrei auf diese Ergebnisse. Anstatt alle Ressourcen in die weitere Erforschung dieser beiden Wirkstoffe zu setzen, wurden die Resultate aus Marseille von vielen heruntergespielt, manche warnen heute gar vor einer Behandlung mit Chloroquin. Man ist geneigt, der Kritik des medizinischen Anthropologen Dominique Michel zu glauben, dass es in Wahrheit nicht um Wirksamkeit oder Nichtwirksamkeit des Medikaments geht, sondern um den größten Profitkrieg des Jahrhunderts in der Pharmaindustrie.“
Wie ich verweist der Standard darauf, dass Plaquenil spottbillig ist, während etwa die Behandlung mit einem neue entwickelten Ebola Medikament, die dann abgeblasen wurde 1.000 Euro gekostet hätte.
Widersprüchliche Reaktionen in den USA
Regelrecht enthusiastischer äußerte sich das konservative Wallstreet Journal, WSJ zu Chloroquine: Es verwies auf die chinesische Studie, aber auch auf die vielen konkreten positiven Erfahrungen, über die chinesische Ärzte berichtet hätten. Auch in den USA hätte Raoults Kombination sich bei der Behandlung von Covid-19 Erkrankten bewährt, und die Universität von Washington habe es zur Behandlung empfohlen.
Soeben meldete freilich der Nachrichtendienst Bloomberg (im Eigentum des gescheiterten Trump- Gegenkandidaten Michael Bloomberg) dass in Frankreich nach Angaben des Nachrichtenmagazins „Le Point“ zwei Personen an der Behandlung mit Plaquenil verstorben wären. Bloomberg-Nachsatz: „Das von Trump empfohlene Medikament ist zuvor von US-Behörden zum dringenden Einsatz zugelassen worden.“
Ich konnte es nicht recherchieren, bin aber ziemlich sicher, dass es sich bei den von Le Pont gemeldeten Toten um zwei der Patienten aus der Raoult- Studie handelt und füge daher an: Es wäre extrem unwahrscheinlich, wenn unter 80 besonders schwer an Covid-19 Erkrankten nicht auch einige mit Plaquenil Behandelte den Tod fänden.
Wie handelte ich als Betroffener?
In Deutschland finden derzeit -hoffentlich unter Drostens Aufsicht- gleich mehrere Studien zur Überprüfung des Chloroquine- Einsatzes statt und sind dann in ihrer Aussage hoffentlich unbestritten. Die Bundesregierung hat jedenfalls bei Bayer große Mengen von dessen Chloroquine- Präparat reserviert.
Meine gegenwärtige Einschätzung als Achtzigjähriger mit drei Herzinfarkten: ich ließe mir im Falle einer Corona-Infektion zweifellos Plaquenil in Kombination mit Azithromycin verabreichen. Denn schädlich ist es sicher nicht, und eher scheint es mir trotz der begründeten Kritik an Raoults Studien von einer gewissen Wirksamkeit. Sonst würde es meines Erachtens weder in China noch in Südkorea zur Standard -Behandlung Infizierter empfohlen. Ich halt die dortigen Virologen (ohne darüber Näheres zu wissen) den „unsrigen“ primär für ebenbürtig.
3 Kommentare
Sehr geehrter Herr Lingens – viele Dank für diesen Artikel – ich schätze Ihre Arbeit sehr! Ich hoffe, gesundheitlich geht es Ihnen wirder beser?
Alles Gute und liebe Grüße
Johanna Adam
Ich weiß von einem griechischen Schiffsoligarchen, Mitte 80er, dem man auf der Intensivstation Plaquenil 200 mg verabreicht hat. Dies war schon vor mehren Wochen, als es noch keine große Debatte um dieses Medikament gab. Ich fragte, wie die Griechen auf dieses Medikament gekommen waren. Antwort: der Oligarch hat beste Kontakte zum amerikanischen Gesundheitssystem (seine Firma ist am NYSE gelistet) und dort wurde ihm Plaquenil 200 mg als Geheimtipp empfohlen. Der Mann ist noch im Krankenhaus, aber seine Situation hat sich nicht verschlechtert. Angeblich sogar leicht verbessert, aber Details habe ich noch nicht.
Ich konsultierte dann meinen hiesigen Internisten, der mir folgende Auskunft erteilte:
„Bzgl. diese Medikamentes (der Wirkstoff ist Chloroquin – das ist an sich ein Malariamedikament) laufen derzeit Studien – eine randomisierte läuft in Oxford. Ergebnisse werden im Mai erwartet (die Engländer werden bei ihrer Herangehensweise an die Sache sicher mehr als genug Studienpatienten und Tote haben). In Österreich wird das Medikament off label bei Covid-Patienten mit Symptomen und stationärer Aufnahme verwendet, zusätzlich ev. Azithromycin (das ist ein Antibiotikum, das aber die Virusvermehrung beeinflussen soll).“
sehr geehrter herr lingens!
ich danke Ihnen für Ihre tollen artikel in denen ich viele meiner gedanken bestätigt finde! nur hier, in diesem artikel, teile ich nicht das vertrauen das Sie herrn drosten entgegen bringen! verweise auf den film ‚ die profiteure der angst‘!
mit herzlichen gruß,
heidrun zemsauer