Gernot Blümel im heroischen Kampf mit der EU

Gernot Blümel profiliert sich: “Ich habe kein Verständnis dafür, wenn wir mit österreichischem Steuergeld andere Länder unterstützen und dafür im Gegenzug ein Verbot bekommen, unsere eigenen Unternehmen mit unserem eigenen Steuergeld zu unterstützen. Solidarität ist keine Einbahnstraße.” begründete er seine Forderung, die EU möge derzeit darauf verzichten, staatliche Beihilfen einer Prüfung zu unterziehen.

Es ginge dabei “weniger um die großen Konzerne”, assistierte ihm Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck, als darum “den Mittelstand zu unterstützen und das Leid der kleinen Unternehmen zu beschränken”.

Applaus blieb nicht aus – es trifft nur keine dieser Behauptungen zu:

  • Die EU hat allen Hilfszahlungen an Klein- und Mittelbetriebe rechtzeitig zugestimmt. Dass sie zu langsam fließen, liegt an zu komplizierten Anträgen und der Abwicklung durch die ÖWK statt durchs Finanzministerium.
  • Staatliche Beihilfen für Großunternehmen stellen natürlich ein Problem dar, weil sie den Wettbewerb massiv verzerren können. EU-Vizepräsidentin Margrethe Vestager lehnte Blümels Vorschlag daher wohlbegründet ab.
  • Und kein Land hat sich im Zuge der Verhandlungen um Unterstützung “hoch verschuldeter” Euroländer weniger solidarisch als Österreich gezeigt.

Stur, sturer, Österreich

Eurobonds, für die EU-Mitglieder gemeinsam haften, schlossen Österreich, Deutschland und Holland bekanntlich stets kategorisch aus.[1] Sie verwiesen auf günstige Kredite aus dem Rettungsschirm ESM. Die in Anspruch zu nehmen hätte für Italien allerdings bedeutet, sich den Bedingungen der “Rettung” Griechenlands zu unterwerfen, was es aus gutem Grund ablehnte.[2]

Weil selbst Deutschland das begriff, wurde ein Kompromiss gefunden, wonach Rom Kredite nicht wie Athen rechtfertigen müsste, und als selbst Holland dem zustimmte, bestand Österreich darauf, dass es das Geld nur zu Bewältigung von Corona-Problemen verwenden dürfe.

Hintergrund der österreichischen (deutschen, holländischen) Haltung ist immer der gleiche: Es müsse verhindert werden, dass Italien (Spanien usw.) weiterhin “Schuldenpolitik” betriebe, statt dank “Strukturreformen”, endlich so gut zu wirtschaften wie wir tüchtigen, sparsamen fleißigen Österreicher (Holländer, Deutschen).

Sind die Südländer fauler?

In Wirklichkeit haben die Länder des “Nordens” ihre soviel besseren Wirtschaftsdaten nicht dem Fleiß ihrer Bürger zu verdanken (die Griechen arbeiten doppelt so viele Stunden wie die Holländer) sondern sie verdanken sie ihren viel moderneren Produktionsanlagen, die Spanien oder Portugal auch deshalb nicht haben, weil sie bis 1975 abgeschottete Diktaturen waren.

Vor allem aber haben die Holländer als erste, danach die Österreicher und ab 2000 die Deutschen, ihre Löhne nicht mehr im Ausmaß ihrer gesteigerten Produktivität erhöht, um auf diese Weise mit ihrer gestiegenen Arbeitslosigkeit fertig zu werden. Mit folgenden zwingenden Folgen:

  • Ihre Lohnstückkosten sanken im Verhältnis zu denen der genannten Länder um 20 bis 30 Prozent, so dass sie deren Produkten gewaltige Marktanteile abnahmen und ihnen entsprechend steigende Arbeitslosigkeit bescherten.
  • Da ihre zurückgehaltenen Löhne die Kaufkraft kaum steigen ließen – bei Arbeitern sanken sogar die Reallöhne- konnten sie immer weniger ihrer Mehrproduktion im eigenem Land absetzen = mussten sie immer mehr davon nach Italien, Spanien oder Frankreich exportieren. Was ihnen gelang, weil die laut 1. verringerten Lohnstückkosten ihren Produkten einen klaren Preisvorsprung verliehen.

Die Defizite der einen sind die Vorteile der anderen

  • Nicht zuletzt weil deutsche Banken die Bevölkerung des “Südens” mit billigem Geld überschwemmten, vermochten sie die deutsche (österreichische, holländische) Mehrproduktion zu kaufen, indem sie sich immer höher verschuldete. Als in Spanien das Platzen einer Immobilienblase hinzutrat, gerieten seine Banken in Schwierigkeiten und um sie zu retten verschuldete sich auch der Staat. (dessen Schuldenquote noch 1970 die niedrigste der EU gewesen war)
  • Umgekehrt konnten Italien oder Spanien in Österreich, Deutschland oder Holland, wegen der hier kaum gestiegenen Kaufkraft immer weniger ihrer preislich sowieso unterlegenen Waren absetzten. Sie erlitten immer größere Leistungsbilanz-Defizite, denen zwingend immer bessere Wirtschaftsdaten Deutschlands, Österreich oder Hollands gegenüberstehen.

Was geht Italien Österreich an?

Auch wenn das alles real viel komplexer ablief (weil die Exporte des “Nordens” zum Beispiel nicht nur gegenüber dem “Süden” sondern auch gegenüber den USA oder China stiegen oder weil Italien und Spanien auch gewaltige hausgemachte Probleme mitbrachten) kann man die Grundstruktur der Nord-Süd -Entwicklung so zusammenfassen: Die Lohnzurückhaltung des “Nordens” bescherte dem Süden die Probleme und ein Gutteil der Schulden, die Blümel ihm jetzt zum Vorwurf macht und weswegen er Kredite an Italien oder Spanien nur unter strengsten Auflagen vergeben will.

Auch wenn er alle diese Zusammenhänge nicht verstehen will, gereicht seine Haltung Österreich zum Schaden: Italien nimmt mit 6,3 Prozent unmittelbar nach den USA mit 6,7 Prozent (und natürlich nach Deutschland) die meisten österreichischen Exporte auf – wenn es “Corona” nicht übersteht, wird unser Wirtschaftswachstum um 6,3 Prozent mehr einbrechen.

[1] Es gibt das Problem, dass bei einer Haftung der EU als “Gesamtschuldner” Schulden Italiens bei Österreich eingetrieben werden könnten. Aber die Bonds ließen sich so konstruieren, dass das ausgeschlossen ist, nur nähme das etwas Zeit in Anspruch.

[2] Griechenlands “Rettung” kostete 300 Milliarden Euro, senkte sein BIP pro Kopf um 3.000 Euro und seine Schulden sind bis heute offen.

7 Kommentare

  1. Zwei Fragen an den Herrn Lingens:
    Wann gehen die Deutschen in Pension und wann die Franzosen?
    Wie es unlogisch den Corona Hilfsfond nur für die Folgen der Corona Krise zu verwenden und die Finanzierung der alten Schulden davon auszuschließen?

  2. Es ist erstaunlich, dass überall (auch in diesem Blog) sehr viel über Eurobonds geschrieben wird, aber meines Wissen kein einziges konkretes Modell vorliegt, wie dieser Eurobond aussehen soll. Im allgemeinen wird immer von einen Schuldtitel mit der gesamtschuldnerischen Haftung der EU Mitgliedsländer gesprochen. Ja eh. Aber wer emittiert? Wer verfügt über die Emissionserlöse? Mit welchen Zahlungsflüssen soll der Bond bedient werden?

    Mangels Alternative könnte man sich am amerikanischen Äquivalent eines Eurobonds orientieren, das sind die sogenannten Treasury Bills. Sie werden vom Bund im Wege des Finanzministeriums emittiert und repräsentieren “the full faith and credit of the United States of America”. Mit den Emissionserlösen werden die Ausgaben des Bundes gemäß Ermächtigung des Kongresses finanziert (Staaten dürfen übrigens nicht finanziert werden). Und für die Rückzahlung haften die gesamte Steuerautorität und -kapazität der USA. Nota bene: es haften NICHT die einzelnen Bundesstaaten!

    Übersetzt auf die EU würde dies bedeuten, dass die EU Kommission die Eurobonds emittiert. Sie repräsentieren “the full faith and credit of…?” Was repräsentierten sie eigentlich? Mehr oder weniger gar nichts, weil die EU Kommission keine Steuerautorität oder -kapazität hat. Ihre Einnahmen sind sehr beschränkt (Zölle, Strafen, etc.), finanziert wird sie hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge der EU Staaten. Und jetzt der Knackpunkt: wer verfügt über die Emissionserlöse gemäß wessen Ermächtigungen? Falls die Emissionserlöse Transfers dienen sollen, in welcher Form werden diese Transfers gemacht? Als Kredite? Als Förderungen? Als sonstwas?

    Nachdem es für die Rückzahlung der Bonds keine nennenswerte Substanz seitens der Emittentin (EU Kommission) gibt, müßte man grundsätzlich darüber reden, der EU Kommission die Steuerautorität und -kapazität analog zu den USA einzuräumen. Das ist illusorisch. Deswegen müßten die Mitgliedsstaaten gesamtschuldnerisch haften. Gesamtschuldnerisch bedeutet, dass jeder einzelne Staat zur Gänze haftet. Nicht einmal bei der EZB oder der EIB haftet jeder einzelne Staat zur Gänze. Es ist eine Illusion zu glauben, dass jemand zur Gänze für etwas haftet, das er nicht kontrollieren kann. Deutschland haftet beispielsweise nicht für alle Target-2 Salden der Bundesbank, sondern nur anteilsmäßig für ALLE Target-2 Salden des Eurosystems in Höhe seines EZB Anteils. Selbst wenn beim Eurobond nach außen jeder Mitgliedsstaat zur ungeteilten Hand haftet, im Innenverhältnis wird es hier Vereinbarungen geben müssen.

    Der Marshall Plan wird immer zitiert. Bevor man sich für einen neuen Marshall Plan zu stark begeistert, empfehle ich, sich zu informieren, wie der alte funktioniert hat. Da gab es strenge Kontrollen über Mittelverwendung (pro Land ein High Commissioner). Ohne Auflagen? Von wegen? Ich erinnere mich, dass bereits in den 1950er Jahren eine der wichtigsten ERP-Auflagen für Österreich war, die Bürokratie und öffentliche Verwaltung abzubauen (wurde allerdings nie erfüllt).

    Apropos Marshall Plan. Die Gelder des ursprünglichen Marshall Plans sind ja (zumindest teilweise) noch vorhanden. In Österreich ist es der ERP Fonds (dessen Haupttätigkeit es ist, die bonitätsmäßig einwandfreie Großindustrie zu finanzieren), in Deutschland das ERP Sondervermögen unter Verwaltung der KfW. Ich glaube, das österreichische Volumen bewegt sich um die 3-4 MrdEUR, das deutsche um die 15 MrdEUR. Wie es in anderen Ländern aussieht, entzieht sich meiner Kenntnis.

    Der ursprüngliche Marshall Plan sollte dem Wiederaufbau von Ländern wie Deutschland und Österreich dienen. Das hat er ohne Zweifel geschafft. Mission accomplished! Wäre es nicht jetzt an der Zeit, dass Länder wie Deutschland und Österreich sagen: “Uns haben diese Mittel sehr geholfen. Jetzt brauchen wir sie nicht mehr. Deswegen geben wir sie zurück, damit sie anderswo, wo jetzt Bedarf besteht, eingesetzt werden können.” Ich ersuche um ein Gegenargument!

  3. Solange sich die europäischen Staaten und ihre Einwohner nicht im klaren darüber sind, dass die EU als Einheit mehr ist, als ihre Einzelteile (einzelnen Staaten), wird sich an den nationalistischen Haltungen der Nettozahler-Regierungen nichts ändern.
    Fairerweise muss ich aber schon festhalten, dass die “gewaltigen hausgemachten Probleme”, die der Süden mitbringt und die Sie in einem Nebensatz verstecken, tatsächlich seit Jahrzehnten evident sind und die Anstrengungen zur Lösung überschaubar sind. Über den Fremdenverkehr hätten sich Italien, Spanien, Griechenland allemal sanieren können. Die Rückstände aus den Zeiten der Diktaturen, die Sie anführen, wären in den letzten 55 Jahren auch egalisierbar gewesen.
    Was sicher stimmt, ist, dass der Norden gut vom Süden gelebt hat. Diese Kaskade lässt sich dann auch Richtung Afrika und Asien fortsetzen und ist ein geopolitisches Problem.

  4. … viele Länder sind ungeprüft in die EU aufgenommen worden, manche sogar – wie Griechenland – durch gefälschte Bilanzen !
    Wir wurden jahrelang geprüft, bis wir dazu durften !
    Wären diese strengen Aufnahmekriterien beibehalten worden, wäre die EU zwar kleiner, dafür würden aber die diversen Währungs-Auf oder -Abwertungen für einen gerechten Handel sorgen – so wie es früher immer war.
    Und den Euro hätten nur die Länder, die ihm verdienen !

  5. Blümel macht eine finanzielle Mauer … typisch Mauerblümel. Er kann nichts dafür, aber man sieht es ihm an, er versteht eher wenig bis nichts von seiner Funktion.
    Die Junktimierung zweier Sichtweise zu einem falschen Argument zeigt sein popustisches Denken.
    Eines ist jedoch auch klar: es darf keinen bedingungslosen Geldfluss geben, das wäre wirkungslose Geldvernichtung. Österreich darf hier durchaus als “gutes” Beispiel dienen: hier wird sogar trotz Bedingungen Steuergeld sinnlos verpulvert.

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