Österreich first – auch beim Abschwung

Österreichs explodierende Exporte bedingen seit “Corona” zwingend BIP-Einbrüche. Wenn Italien oder Frankreich in Rezession versinken, sinken wir als erste mit.

Auch unsere Wirtschaftsforscher gehen nun also davon aus, dass Österreichs Wirtschaft bis Ende 2020 um 7,5 Prozent einbricht. Falter-Leser waren immer mit dieser Vermutung konfrontiert, denn sie war zwingend: Überall auf der Welt hat “Corona” die Bewegungsfreiheit maximal eingeschränkt, wurden Grenzen gesperrt und blieben Flugzeuge am Boden. Kein Wirtschaftszweig musste darunter mehr als der Tourismus leiden – Österreichs BIP hängt zu 15,3 Prozent von Tourismus und Freizeitwirtschaft ab und “Normalität” kehrt frühestens mit Impfungen zurück.

Gleichzeitig hat “Corona” überall in der Welt zur schwersten Kontraktion der Wirtschaft seit Menschengedenken geführt, überall ist Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit explodiert und können Staaten, Unternehmen und Bürger wesentlich weniger einkaufen, voran wesentlich weniger importieren – Österreichs BIP hängt zu 55,6 Prozent vom Export ab, wir sind vor Deutschland (50,9 Prozent)”Exportweltmeister”.

Österreichs wie Deutschlands größtes Interesse sollte also spätestens jetzt darin liegen, die Kaufkraft der eigenen Bevölkerung möglichst kompakt zu erhalten und alles zu tun, damit die Länder, in die sie exportieren, wirtschaftlich überleben.

Aber Sebastian Kurz und Gernot Blümel können sich so wenig wie Angela Merkel und Olav Scholz vorstellen, die Zahlungen an Arbeitslose- und Kurzarbeiter auf 100% ihres Gehalts zu erhöhen. Und alle Vier tun bisher alles, um die Erholung des für Deutschland größten Exportabnehmers in der EU, Frankreich, und des für Österreich zweitgrößten Abnehmers, Italien, zu erschweren.

Wie ist es soweit gekommen?

Schon bisher haben sie diese beiden Volkswirtschaften ständig geschwächt. Denn Österreichs und Deutschlands Exporterfolg beruht zwar auf der hohen Qualität ihrer Produkte, aber seit zwanzig Jahren auch darauf, dass ihre Unternehmen einen enormen Wettbewerbsvorteil genießen, indem sie ihre Arbeitnehmer nicht mehr im Ausmaß der gesteigerten Produktivität entlohnen.

Das bedingt zum einen schmerzhaft, dass die eigene Bevölkerung jetzt nicht entfernt soviel kaufen kann, wie sie produziert. Und es ist zum anderen der Hauptgrund für die wirtschaftliche Schwäche Italiens oder Frankreichs.

Historisch hat Holland mit dieser Lohnpolitik begonnen, Österreich und die Schweiz sind gefolgt. Als Gerhard Schröder sie 2000 übernahm, war sie für Österreich irreversibel – Deutschland ist sein größter Handelspartner.

Für andere Länder war und ist diese Lohnpolitik desaströs: Deutschlands, Österreichs oder Hollands traditionell gute Waren nahmen ihnen angesichts bis zu 30 Prozent verringerter Lohnstückkosten immer größere Marktanteile weg. Am meisten litt Italien, das seine Löhne sogar über den Produktivitätsfortschritt hinaus erhöhte.[1] Ähnlich erging es Spanien. Doch kaum minder litt Frankreich, das seine Löhne exakt gemäß der gestiegenen Produktivität erhöhte und damit der Forderung der EU nach 2 Prozent Inflation nachkam, während Deutschland, Österreich und Holland sie eisern negierten.

Zugleich mit der Verbesserung ihrer Konkurrenzsituation hielt die “Lohnzurückhaltung” die Kaufkraft dieser drei Länder zurück: Sie kauften zwangsläufig immer weniger eigene Waren, und noch viel weniger kauften sie die relativ verteuerten Waren Frankreichs oder Italiens. Die Länder des “Südens” verloren damit doppelt: Erstens, weil ihre Waren auf Grund der höheren Lohnstückkosten weniger konkurrenzfähig waren, zweitens, weil sie wegen der verringerten Kaufkraft des Nordens noch weniger davon absetzen konnten. Zusammen hat das ihren aktuellen wirtschaftlichen Zustand bedingt: Der Italiens ist katastrophal, der Frankreichs schlecht. (Ohne gemeinsamen Euro wäre das nicht passiert – die Währungen des “Nordens hätten sofort aufgewertet”

“Österreich First” hat zwei Seiten

 Genau diesen schlechten Zustand werfen ihnen die drei Verursacher jetzt vor: Weil Italien oder Frankreich so schlecht dastehen, lehnen Gernot Blümel, Olaf Scholz und Wopke Hoekstra Eurobonds kategorisch ab, obwohl die nur dazu dienten, dass die Kreditkosten italienischer, spanischer oder französischer Unternehmen nicht höher als die österreichischer, holländischer oder deutscher wären.

Soeben begründete Blümel seine Forderung nach befristeter Aussetzung der EU- Bewilligung von Staatsbeihilfen sogar damit, dass die EU es an Solidarität mit Österreich fehlen lasse. In der Sache liegt er “nur” falsch: Die EU hat die Beihilfen für Klein- und Mittelbetriebe rechtzeitig bewilligt – nur die heimische Bürokratie hält sie auf. Für große Unternehmen prüft sie staatliche Beihilfen zu Recht, weil sie den Wettbewerb verzerren können.

Unerträglich wird Blümels Aussage jedoch im Licht der oben beschriebenen Entwicklung: Österreich (Deutschland, Holland) hat durch zwanzig Jahre unsolidarische Lohnpolitik betrieben, und kein Land hat “gemeinsame Haftung” so kategorisch abgelehnt. Es gibt zwar das technische Problem, dass bei einer Haftung als Gemeinschuldner Schulden Italiens in Österreich oder Belgien eingetrieben werden könnten, aber das lässt sich durch eine andere Konstruktion der Bonds reparieren. (So wird es wohl auch geschehen: Wie bei den US-Treasury-Bonds wird es EU-Bonds mit der Haftung der EU in ihrer Gesamtheit geben.)

Man kann diese “Österreich First” Politik (Handelsblatt) goldrichtig finden. Nur muss einem klar sein, dass Österreich vorderster Leidtragender sein wird, wenn es weiter dazu beiträgt, dass Italien und Frankreich in Rezession versinken. Denn exportieren kann man nur solange, als es andere Volkswirtschaften gibt, die importieren können.

[1] noch 2004 wies Italien trotz zurückgebliebenen Südens, Mafia und Korruption das gleiche BIP pro Kopf wie Deutschland auf.

7 Kommentare

  1. an Gernot Schauer:
    Was Italien und Frankreich davon agehalten hat, den gleichen Weg in der Lohnpolitik zu gehen wie Deutschland? Ganz einfach: Ihre Wirtschaft hängt in viel größerem Ausmaß von der Binnennachfrage ab. Die hätte man mit einer “deutschen Lohnpolitik” ruiniert, was zu einer noch größerem wirtschaftlichen Malaise geführt hätte. Gleichzeitig hätten sie im Export kaum Marktanteile gewinnen können, weil der preisliche Abstand zu Deutschland einfach zu groß ist. Es können halt nur einige wenige so verfahren wie Deutschland und auch Österreich – für alle geht das eben nicht.

  2. Man kann diese “Österreich First” Politik (Handelsblatt) goldrichtig finden. Nur muss einem klar sein, dass Österreich vorderster Leidtragender sein wird, wenn es weiter dazu beiträgt, dass Italien und Frankreich in Rezession versinken.

    Ja, aber das macht nichts, solang man trotzdem in dieser Situation mit Ressentiment gegen den “faulen Süden” die Wahlen gewinnen kann.

  3. Hmmm…
    Gibt es eine valide Studie, aus der hervorgeht, dass Minderverdiener*Innen/Arbeitslose in schlechten Zeiten mehr Geld für den Konsum ausgeben? Oder auch nur gleich viel? Ich halte das für ein Gerücht, weil es einer fundamentalen anthropologischen Konstante widerspricht. Und wenn es diese affirmativen Studie(n) gibt, warum dann nicht gleich 200 % Lohnersatz? Ich möchte aber darauf hinweisen, dass die französische Akademie der Wissenschaften seit 1780 keine Arbeiten über irgendein Perpetuum mobile mehr annimmt. Seit dem späten 18. Jahrhundert halten es auch die globalen Patentämter so. A ja, “Lohnstückkosten” ist ein Schwurbelbegriff, der in seinem realen Gehalt dem “Karma” entspricht.

  4. Gibt es wirklich noch Leute, die diesen Zusammenhang, den Sie hier immer wieder beschreiben, noch nicht begriffen haben?
    Im Übrigen: wollen wir Europa oder wollen wir es nicht? Wenn wir es wollen, müssen wir etwas dafür tun – so dass es Leute in anderen Ländern Europas auch spüren. (Besonders auch in Regionen Europas, wo der Reichtum noch gar nicht angekommen ist.)

    1. Der Hinweis auf das Perpetuum mobile ist wirklich brillant und hat mich sehr amüsiert.
      Ich verstehe wenig von Wirtschaft, habe aber immer schon das vage Gefühl, dass manche Wirtschaftstheorien im Gegensatz zu Naturgesetzen (wie beim permanenten Wachstum bei begrenzten Ressourcen) stehen.
      Manchmal widersprechen sie scheinbar sogar einfachster Grundschulmathematik!
      Jedenfalls wundert es mich wenig, dass gerade die Wirtschaft zu den labilsten Schöpfungen des menschlichen Geistes gehört.
      Jeden Techniker, der die Stabilität seiner Konstruktionen auf ähnlich vage Theorien stützen wollte, würde man mit einem nassen Fetzen verjagen.

  5. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich (in der “Arbeitslosen Gesellschaft” oder war es “Reichtum und Armut”?) die Forderung aufstellte, Deutschland dürfe das Preisniveau seiner Industrieproduktion nicht am Weltmarkt ausrichten. Dann allerdings hätte es (damals) auf etwa ein Viertel seines Exports verzichten müssen, andererseits wäre ihm stattdessen ein stabiler Markt innerhalb Europas erhalten geblieben. Meinhard Miegel schrieb mir damals: “Das versuchen Sie einmal der deutschen Industrie zu erklären, dass sie auf ein Viertel ihres möglichen Exports verzichten solle.”
    Deutschlands Politik unter Schröder (2010) war richtig, um auf dem Weltmarkt zu bestehen, sie war falsch im Hinblick auf Europa. Dasselbe gilt für Österreich. Der eigentlich falsche Schritt aber wurde von der Union (und auf Betreiben Frankreichs) vollzogen: die Einführung des Euro vor der politischen Einheit. Nur ist es jetzt zu spät darüber zu jammern. Seine Abschaffung würde noch größeres Unheil bewirken.

  6. Ich kann Ihre Argumentation nachvollziehen. Aber diese “unsolidarische Lohnpolitik” war eigentlich gegen den viel billiger produzierenden Osten (in Europa & Asien) gerichtet und nicht dazu gedacht, Italien oder Frankreich zu vernichten. Wäre sie nicht eingeschlagen worden, würden wir heute genauso dahin dümpeln wie die Italiener oder Franzosen. Im übrigen: was hat Frankreich oder Italien davon abgehalten, auch diesen Weg einzuschlagen?

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