Wie die EU dem deutschen Tod entrinnt

Höchstrichter in Karlsruhe bezweifeln den Weg, auf dem die Europäische Zentralbank die EU geldpolitisch abstützt. Ihr Urteil bleibt -hoffentlich-folgenlos.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat ein Urteil gefällt, das nicht nur deutsche Medien einen “Knall” nannten: Es wirft dem EuGH vor, EU-Recht zu brechen, indem er die aktuelle Geldpolitik der EZB zulässt und fordert ihre Kontrolle durch die deutsche Regierung.

Konkret richtete sich die Klage zweier AfD- Exponenten gegen das Programm PSPP der EZB, auf dessen Basis sie seit 2015 bestimmte Mengen Staats-Anleihen ankauft. Karlsruhe gab der Klage “teilweise” recht: Die EZB dürfe zwar Anleihen kaufen, müsse aber binnen drei Monaten die “Verhältnismäßigkeit” dieser Käufe nachvollziehbar begründen: Erklären, warum das billige Geld der Wirtschaft mehr nutzt, als es etwa Sparern schadet. Gelänge ihr das nicht, so dürfe die Deutsche Bundesbank nicht mehr an den Anleihekäufen der EZB teilnehmen.

Für einen Moment begannen die Kurse an Europas Börsen zu rutschen, denn selbst gegen das Corona-Hilfsprogramm der EZB könnte die gleiche Klage erhoben werden. Ein möglicher Ausstieg der Bundesbank aus den EZB -Programmen wäre das Ende der EU.

Die EU kommt noch einmal davon

Einen Tag später schätzte man die Dinge realistischer ein: Die EZB würde wie bisher agieren. Die von der EZB geforderte Begründung der “Verhältnismäßigkeit” würde schon irgendwie zustande kommen, denn selbstverständlich würden bei den Verhandlungen im EZB-Rat alle Auswirkungen aller Programme ausgiebig diskutiert

Mittlerweile prüft die EU-Kommission ein (schwer denkbares) Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland, weil es EUGH-Rechtsprechung negiere – umkehrt ist kaum denkbar, dass die deutsche Regierung ein Urteil ihres Verfassungsgerichts negiert. Ich tippe auf “irgendwie”. Die EU wird einmal mehr davonkommen.

Das aufgebrochene Problem bleibt freilich bestehen: Weil Deutschland die eigene Bundesbank stets als Vorbild ansah, setzte es durch, dass auch die EZB sich voran dem “Kampf gegen Inflation” zu widmen hat. Gleichzeitig wurde ihr – weil reichere Staaten darin ein Kernproblem sahen – “Staatsfinanzierung” verboten: Sie darf schwächelnden EU-Staaten- etwa Italien- wirtschaftlich nicht unter die Arme greifen.

Beides ist völlig realitätsfern: “Inflation” ist das mit Abstand geringste Problem der EU- die Pleite Italiens wäre ihr mit Abstand größtes. Und Geldpolitik ist immer zugleich Wirtschaftspolitik.

Die EZB sitzt zwischen den Stühlen

Erstmals kann Großbritannien sich zum EU-Austritt gratulieren: Die “Bank of England” konnte dem Staat unter die Arme greifen, indem sie ihm soeben 20 Milliarden Pfund überwies. Die US-Notenbank FED hat zumindest den Vorteil, dass sie neben der “Inflation” auch das Wohl der US-Wirtschaft zu beachten hat. Zwar ist auch ihr verboten, schwächelnde Bundesstaaten zu finanzieren, aber das Problem stellt sich ihr nicht. Denn im Gegensatz zur EU sind die USA eine Transferunion: Die Ausgaben für Arbeitslosigkeit, medizinische Versorgung und Verteidigung, die bei schwachen Bundesstaaten über die Hälfte ihres Budgets ausmachen, bestreitet die Bundesregierung. Sie zahlen daher kaum höhere Zinsen als starke Bundesstaaten.

Die EZB ist leider weder in der Lage der FED noch der “Bank of England” – sie kann ihre Aufgabe nur in der Form halbwegs erfüllen, in der sie das tut. Genau das hat ihr der EuGH in seinen bisherigen Urteilen bestätigt.

Ohne EZB gäbe es die nächste Euro-Krise

Exakt wie Mario Draghi hat Christine Lagarde sofort klargestellt, dass die EZB Währungsspekulationen gegen ein EU-Mitglied mit allen Mitteln abwehren würde: Als “Corona” die Zinsen für italienische, spanische, portugiesische Anleihen Anfang März hochzucken ließ, kaufte sie verstärkt Anleihen dieser Staaten, und der Anstieg ging sofort zurück.

Karlsruhe hat diese ständige (angesichts “Corona” lebensrettende) Leistung der EZB in seinem Urteil sogar zutreffend gewürdigt: “PSPP verbessert die Refinanzierungsbedingungen der Mitgliedstaaten, weil sich diese zu deutlich günstigeren Konditionen Kredite am Kapitalmarkt verschaffen können.“

Was Karlsruhe nicht begreifen will, ist, dass eben dies die entscheidende Leistung der EZB darstellt, weil sie natürlich das Gesamtwohl der EU im Auge haben muss. Alles andere wäre für eine “Union” absurd.

Wer unterlässt Strukturreformen?

Die “Nebenwirkungen” ihrer lockeren Geldpolitik, auf die Karlsruhe hinweist, sind Lagarde so klar wie Draghi: Sparen bringt keine Zinsen, aber Kredite kosten fast keine – beides ist gut, weil Geld ausgegeben werden soll. City-Baugrund wird teurer- doch Bauen billiger. ÖNB-Chef Robert Holzmann bemängelt, dass billiges Geld schwache Firmen überleben lässt- derzeit ist das ein Segen. Es drohen Blasen bei Aktien- doch sie waren schon stärker überteuert. Vorerst macht billiges Geld Reiche freilich reicher.

Draghi forderte daher ständig, dass die Staaten der EU, voran Deutschland, endlich mehr investieren und ultra-lockere Geldpolitik überflüssig machen sollten- doch sie beharren auf dem Sparpakt.

Die größte Sorge auch deutscher Höchstrichter ist noch unumstößlicher: Dass die Länder des “Südens” sich angesichts des billigen Geldes faul zurücklehnen und “Strukturreformen unterlassen”.

In hundert Jahren werden Wirtschaftshistoriker bei Untersuchungen zum Niedergang der EU feststellen, dass es Deutschland war, das “Strukturreformen”- höhere Investitionen in seine Schulen, sein Glasfaser- Strom-  Schienen- oder Verkehrsnetze – ab dem Jahr 2000 wie kein anderes Land unterlassen hat. Weil es viel einfacher war, deutsche Arbeitskräfte schlecht zu entlohnen und anderen Volkswirtschaften auf der Basis dieses Lohnstückkosten-Vorteils Marktanteile wegzunehmen.

 

 

2 Kommentare

  1. “Wer einen starken Staat will, muss eine starke Volkswirtschaft wollen” So schreibt die Frontfrau der NEOS in ihrem Beitrag in “Die Presse” . Und betont dabei die Notwendigkeit deren Resilienz
    Ich habe dazu meinerseits ein Kommeatar verfasst.
    Ja, es braucht Resilienz! Aber nicht nur der Wirtschaft, sondern auch des Staates. Dieser aber ist heute nicht resilient! Das Rettungsboot geht mit dem Schiff unter! Der Staat, und insbeondere der Sozialstaat, ist vom Gedeihen der Wirtschaft abhängig: Er finanziert sich nicht selbst, sondern wird von der Wirtschaft über Steuern und Abgaben finanziert. Und die entfallen derzeit krisenbedingt im großen Ausmaß. So muss sich der Staat in Milliardenhöhe verschulden.
    Ein resilienter Staat mit einer Eigenfinanzierung könnte dagegen mit dieser jetzt das machen, was Meinl-R. verlangt: Die Nachfrage zu stimulieren (und nicht das Angebot über Investitionern), damit die Wirtschaft wieder in Gang kommt. Das ist der Ansatz, den die Theorie der monetären Staatsfinanzierung , die im Merkel-Macron-Lagarde-Plan verdeckt (zur Umgeheung des Art. 123 Lissabon-V.) angesprochen wird, dies ermöglichen würde. Die EZB schöpft das Geld, mit dem sie Staatsanleihen nur auf den Finanzmärkten kaufen darf, aus dem Nichts. Da sie niemanden etwas schuldig ist, müssen diese Schein-Schulden auch nicht zurückgezahlt werden. Um eine Geldschwemme zu verhindern, muss die Maßnahme streng von einer unbhängigen Kontrollinstanz ähnlich dem EuGH – einer Monetaive -überwacht werden.

  2. Ich finde das köstlich! Da steht im Lissabonner Vertrag Art. 125 eine Nichtbeistandsklausel in absolut unmißverständlicher Form (“Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein”). Die EU hat im letzten Jahrzehnt diese Klausel mehrfach ignoriert bzw. durch juristische Finten umgangen und der EUGH hat dieses Umgehen und Ignorieren unterstützt. Und jetzt ist der deutsche Verfassungsgerichtshof – die einzige Institution, die sich in dieser Sache an EU Verträge hält – der Böse. Na dann!

    Wenn man die Geschichte der USA verfolgt, dann weiß man, dass Konflikte zwischen der staatlichen und bundesstaatlichen Autorität fast zum Alltag auf dem Weg zu einer Ever Closer Union gehörten. Im 19. Jhdt. traten einige Staaten sogar aus der Union aus und es benötigte einen Bürgerkrieg, um sie wieder zurückzuholen. Heute streitet der Bund mit den Staaten um Migrationsfragen und dergleichen mehr. Und in der EU soll es solche Konflikte nicht geben?

    Egal, wieviel Kritik an der deutschen Wirtschaftspolitik seit dem Euro berechtigt ist (und Vieles davon ist in der Tat berechtigt), es ist einfach nicht redlich, permanent und immer wieder den Schwarzen Peter alleine den Deutschen in die Schuhe zu schieben. Das erinnert mich sehr an Yanis Varoufakis, der auch nicht redlich war. Die EU ist einfach kein Bundesstaat mit einer zentralen Bundesregierung und man sollte nicht immer fordern, dass sie sich so verhält wie etwas, was sie nicht ist. Wenn sie etwas Anderes sein/werden soll, dann sollte man seriöserweise Vertragsänderungen in die Wege leiten, statt andauernd schlechte Verträge zu umgehen.

    Kein EU Mitgliedsstaat wird wegen der Corona-Krise mehr Geld ausgeben (und Schulden machen) als Deutschland. Jetzt wird man bald sehen, wie sehr es beispielsweise Frankreich nützt, wenn Deutschland mehr Geld ausgibt.

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