Globaler Freihandel nach “Corona”

Bald brauchen wir nirgends mehr Masken. Brüssel will dennoch, dass wir Masken, Schutzkleidung und Test-Kits produzieren. Wie geht das angesichts globalen Freihandels?

 Das Rote Kreuz sitzt auf einer Million Masken. Seit dieser Woche braucht man sie fast nur mehr in Öffis und bald dürfte man keine mehr brauchen. Dennoch will man in Brüssel, dass sie in der EU weiterhin produziert werden: Es soll nicht mehr passieren, dass Masken, Schutzkleidung oder Test-Kits nur mehr in China preiswert zu haben sind – denn die nächste Pandemie kommt bestimmt.

Aber wie lange hält sich eine Produktion von Masken oder Schutzkleidung in Vorarlberg, wenn sie in China zu den halben Löhnen genäht werden? Wird die EU sie subventionieren?

Globaler Freihandel schafft offenbar nicht automatisch rundum und jederzeit optimale Wirtschaftsstrukturen. Nicht mehr existente Produktionen oder unterbrochene Lieferketten, so ahnt man plötzlich nicht nur bei “ATTAC”, können Probleme bescheren.

Sind Zölle immer übel?

Jemand, der sich schon länger mit dem gravierendsten davon herumschlägt, ist Donald Trump. Im März 2018 verhängte er bekanntlich Zölle auf billigen Stahl aus China und wurde dafür wütend gescholten- Zölle seien nichts als übelster Protektionismus. Obwohl schon Barack Obama sie plante und auch “Brüssel” sie andachte- denn natürlich ist es ein Problem, wenn Billigstahl aus China heimische Stahlkocher umbringt.

Der Däne Bertil Ohlin hat schon 1933 auf den zu Grunde liegenden Mechanismus hingewiesen und dafür den Wirtschafts-Nobelpreis erhalten: Wenn sich der Staat A auf Grund seines großen Knowhows auf die Produktion komplexer Technik spezialisiert, dann führt das dazu, dass sich der Staat B mit seinem viel geringeren Knowhow auf die Produktion simpler Güter konzentriert. Das aber hat zur Folge, dass die simplen Güter des Staates B jene Betriebe des Staates A gefährden, die weiter einfache Güter erzeugen.

Arbeiter, die in US-Betrieben einfachen Stahl erzeugen, fürchten Chinas Billigstahl zu recht als Jobkiller. Trump war diese beträchtliche Wähler-Gruppe nicht ganz zu unrecht wichtiger als das “Prinzip Freihandel”.

Der Nachteil der Landwirte

Im Übrigen sollte man aus Prinzip auch jedes “Prinzip” in Frage stellen. “Freihandel” beruht bis heute auf der Überlegung von David Ricardo (1772- 1823), dass es sinnvoll ist, den Handel zwischen England und Portugal ohne Barrieren abzuwickeln, weil die Portugiesen den besten Wein, die Briten das beste Tuch erzeugten. Als Brite wählte er sein Beispiel perfekt: Die Produktion hochwertigen Tuches ist viel einträglicher als die guten Weins, weil die komplexe Produktion von Tuch weit größere Produktivitätssteigerungen und damit weit höhere Gewinne zulässt.

Technik-Exporteure sind Agrar-Exporteuren im Freihandel immer überlegen.

Im Freihandelsabkommen Mercosur hätten die Länder Südamerikas unsere Maschinenexporte weit mehr zu fürchten als wir ihre Fleischexporte- obwohl diese Fleischexporte unseren Bauern gemäß Ohlin Schwierigkeiten bereiteten. Gleichzeitig wäre das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA rundum schwierig, weil sie sowohl Technik wie Nahrung extrem preiswert herstellen.

Es ist nicht so klar, dass die EU damit keine Probleme hätte.

Die vergessene Umwelt

Es sei denn, man hält globalen Freihandel in jedem Fall für vorteilhaft. Die wichtigste diesbezügliche Arbeit stammt von Nobelpreisträger Paul Krugman, der argumentiert: Globaler Freihandel lässt ungleich größere Serien zu, was die Produktionskosten für alle Beteiligten entscheidend senkt.

Was Krugman vernachlässigt, sind die Umweltkosten. Voran schwere Güter wie Stahl müssten ja theoretisch teurer werden, wenn sie über tausende Kilometer transportiert werden. Praktisch werden sie kaum teurer, weil Luft- und Wasser- Verschmutzung durch Diesel zum Antrieb riesiger Schiffe nicht in seinen Preis eingeht. Vor allem aber, weil Diesel billig sein kann, obwohl Erdöl ein knappes Gut ist. Sein Preis wird nicht auf einem rationalen Markt gebildet, sondern hängt davon ab, wie groß der Druck der USA auf die Golfstaaten ist, ob sie gerade Geld für Kriege brauchen oder ob Russland sich weiter nur aus Öl-Verkäufen finanziert.

Die gute finanzielle Bilanz von Freihandel über tausende Kilometer hinweg beruht auf unvernünftigen Ölpreisen und der gefährlichen Vernachlässigung des Klimaschutzes.

 Die Zukunft des Freihandels

Zugleich ist es ein Mythos, dass Freihandel immer von Vorteil ist: Alle starken Industrien sind hinter Zollmauern entstanden: Die USA bauten die ihre einst auf, indem sie sich durch Zölle vor britischen Importen schützten. Genauso entstand in jüngerer Zeit die Industrie Japans oder Chinas hinter hohen Handelsbarrieren. Südkorea entwickelte seine exzellente Autoindustrie, indem es ausländische Autos mit 400 Prozent Zoll belegte.

Das sagt im Umkehrschluss wie absurd es ist Entwicklungsländern als erste Maßnahme Freihandel zu verordnen: Ihre Industrie kann sich unmöglich gegen barrierefreie Konkurrenz von EU- oder US- Produkten entwickeln.

Derzeit ist eine industrielle Revolution im Gange, die dieses Problem noch verschärft, Trumps und unser Problem aber lösen dürfte: Intelligent digital gesteuerte Roboter erlauben es, Güter billiger als selbst durch billigste Arbeitskräfte herzustellen. Wenn Trump es nicht idiotisch behindert, sollten die USA darin führend sein und somit selbst einfachen Stahl billiger als China erzeugen. Und selbst in Vorarlberg sollten intelligente Roboter Masken eigentlich billiger als in China nähen können.

Dann werden wir Freihandel neu denken müssen: Nur massivste Zölle werden unterentwickelte vor entwickelten Nationen schützen.

 

Ein Kommentar

  1. Diesem Artikel ist vorbehaltslos zuzustimmen! (und ich sage das als überzeugter Wirtschaftsliberaler!). Meine nachstehenden Bemerkungen sind lediglich als Ergänzungen zu verstehen.

    Im US Präsidentschaftswahlkampf 1992, in einer TV Debatte mit George Bush Sr. und Bill Clinton, sagte der unabhängige Kandidat Ross Perot (self-made Milliardär) folgendes über den NAFTA Vertrag: “You can move your factory south of the border. Pay a dollar an hour for labor. Have no health care which is the most expensive element among personnel costs. Have no environmental controls, no pollution controls. And no retirement. And you don’t care about anything but making money. Then there will be a ‘giant sucking sound’ of jobs going South.” Später bewegte sich der ‘giant sucking sound’ in Richtung China.

    Ich habe immer behauptet, dass die wirtschaftliche Misère Griechenlands mit dem EU Betritt 1981 begonnen hat. Griechenland war einfach nicht vorbereitet auf 2 der 4 EU Freiheiten (Warenverkehr, Kapitalverkehr). Griechenland war zwar nie ein Industrieland, aber vor dem EU Beitritt gab es doch eine ganze Reihe von ‘infant industries’. So exportierte Griechenland beispielsweise Zucker nach Österreich oder high-tech Komponenten für die Luftfahrtindustrie. Binnen kürzester Zeit fielen diese ‘infant industries’ den Importen zum Opfer und der freie Kapitalverkehr ermöglichte die Finanzierung der Importe. Der Euro war später nur der Turbo, der diesen Prozess bis zur Zahlungsunfähigkeit beschleunigte.

    ‘Infant industry protection’ geht zurück auf den amerikanischen Gründungsvater Alexander Hamilton, der – erfolgreich – argumentierte, dass für den Aufbau einer amerikanischen Industriebasis Zölle erforderlich waren bis eigene Industrien Skaleneffekte erreichten. Der deutsche Ökonom Friedrich List entwickelte Mitte des 19. Jahrhundert die theoretische Basis dafür. Dass heute Entwicklungsländer eine wirtschaftliche Eigenständigkeit ohne irgendeine Form der ‘infant industry protection’ aufbauen werden, ist nicht sehr wahrscheinlich. Wahre Entwicklungshilfe wäre, beim Aufbau dieser wirtschaftlichen Eigenständigkeit mitzuwirken, statt nur Fördergeld für die Bezahlung von Importen zu schicken.

    Jede Form des Protektionismus birgt das Risiko staatlicher Willkür und unternehmerischen Missbrauchs. Die Antwort darauf sollte nicht sein, ‘infant industry protection’ von vorneherein auszuschließen, sondern sie sollte sein, diese beiden Risiken in den Griff zu bekommen.

    Für den Konsumenten wird jede Form der Einschränkung des globalisierten Freihandels höhere Preise bedeuten. Das sollte man laut und deutlich von vorneherein sagen. Das sind die kurzfristigen und direkten Kosten, die der Konsument sieht. Was der Konsument (noch) nicht sieht sind die Langzeitwirkungen: Einkommenseinbußen und auch Jobverluste wegen Billigimporten; niedrigerer Lebensstandard; reduziertes Steueraufkommen für den Staat; höhere Sozialkosten wegen Arbeitslosigkeit; etc.

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