Das ewige Alibi-Heer

Das Bundesheer war noch nie einsatzfähig. Sein niedriges Budget ist kein wirtschaftlicher Vorteil. Unbewaffnete Neutralität wäre ehrlicher und böte eine Chance.

Mit achtzehn wollte ich Berufsoffizier werden: dazu beitragen, dass Österreich sich nie mehr kampflos einem Diktator ergibt. Deshalb meldete ich mich 1957 zu einer angeblichen Eliteeinheit des Bundesheers. In meiner Dienstzeit gab ich fünf scharfe Schüsse ab- denn Munition war teuer- und warf eine Handgranate, die nicht scharf war – denn das wäre gefährlich gewesen. Zu Manövern fuhren wir in LKWs, von denen mindestens einer liegen blieb, und auf das Kommando “Flieger von rechts” warfen sich alle Angehörigen meiner Elite-Einheit auf eine Hügelkuppe, obwohl ein naher Wald Deckung geboten hätte. Denn ihre Vorgesetzten hatten bei Gefechtsübungen “Ausgangssperre” über sie verhängt, wenn sie nicht sofort am Boden lagen.

Diese Erfahrungen ließen mich meine Militärkarriere an den Nagel hängen.

Das heutige Bundesheer ist kaum anders beschaffen. Es ist eher noch schlechter als damals ausgebildet und im internationalen Vergleich noch schlechter ausgerüstet. Es ernsthaft einem Kampf auszusetzen wäre fahrlässig.

Daran wurde freilich auch nie gedacht. Ernsthaft gekämpft haben Österreicher zuletzt in Hitlers Wehrmacht, und das ist bekanntlich schiefgegangen. Daraus schlossen sie nicht, dass es falsch war, für Hitler zu kämpfen, sondern dass Kampf falsch ist. Die Österreicher wollen nicht kämpfen- das ist der eigentliche Hintergrund der Bundesheermisere.

 Die bequeme Neutralität

Möglichen Bedrohungen trotzen wir als Trittbrettfahrer: Zu Zeiten der Sowjetunion waren wir überzeugt, dass die NATO uns schützen würde. Dass in nur tausend Kilometern Entfernung Soldaten Putins in die Ukraine eingedrungen sind, halten wir nicht für kritisch und meinen, dass es uns nichts angeht.

Wir geben 2,28 Milliarden im Jahr dafür aus, dass das Heer Muren wegräumt und Schipisten festtritt. So gesehen ist es nicht wirklich kostengünstig, genügt aber unserer Verpflichtung aus dem Staatsvertrag, sofern man sie nicht ernst nimmt: Österreich war nie “neutral nach dem Muster der Schweiz”, sonst hätte sein Militärbudget ein Vielfaches betragen und, wie in der Schweiz, mit dem Willen zur Selbstverteidigung gepaart sein müssen.

Das war sie allenfalls in einer kurzen Phase, die auf charakteristische Weise zustande kam: Viele junge Österreicher wollten das Heer 1970 ganz abschaffen; Bruno Kreisky kam ihnen entgegen, indem er den Wehrdienst auf sechs Monate verkürzte; weil das in der ursprünglichen Organisationsform ein restlos untaugliches Heer geschaffen hätte, erhielt der Berufsoffizier Emil Spannocchi die Chance, es in Richtung eines territorialen Milizsystems zu reformieren, und einen Moment lang flackerte ernsthafter Glaube an Selbstverteidigung auf. Um freilich gleich wieder zu versiegen: Ausreichende Milizübungen erwiesen sich als zu teuer.

Auch die große Chance, ein kampftaugliches Berufsheer zu schaffen, wurde in einer Volksabstimmung nicht zuletzt vertan, weil es teurer als der Wehrdienst gekommen wäre.

Gleichzeitig entpuppte sich die Neutralität als ideale Ergänzung fehlender Kampfbereitschaft. Sie hat zwar noch kein Land vor Krieg bewahrt- Hitler überrannte das neutrale Belgien so selbstverständlich wie das neutrale Holland und hätte auch die neutrale Schweiz überrannt, wenn sie auf seiner Aufmarschlinie gelegen wäre- aber sie ist für Trittbrettfahrer nützlich: Neutralität erspart Österreich die Teilnahme an Kampfeinsätzen der EU oder gar der Nato und verleiht mangelnder Kampfbereitschaft den Anschein der Moralität.

Obwohl es in keiner Weise moralisch ist, Angegriffenen nicht beizustehen.

Claudia Tanners Heeresreform folgt also jahrzehntelanger Tradition. Die 16,2 Milliarden, die laut Thomas Starlinger erforderlich wären, um das Heer einsatzfähig zu erhalten, will weder eine Partei noch die Bevölkerung ausgeben. Wir verzichten daher auch auf ernsthafte Infanterie, schützen den Luftraum durch Nachtflug-untaugliche Eurofighter und werden in Zukunft hoffentlich billigere Flieger leasen. Die Cyber-Abwehr auszubauen nutzt jedenfalls der Wirtschaft.

Geringe Heeresbudgets schaden ihr Hingegen. Sie kosten unsere Rüstungsindustrie Einnahmen und 16.000 Berufssoldaten und 9000 Zivilbedienstete Einkommen. Allenfalls könnten sie und rund 20.000 Wehrpflichtige der Wirtschaft in anderen Arbeitsverhältnissen nützlicher sein- aber eher erhöhten sie gerade jetzt die Zahl der Arbeitslosen.

 Entwicklungshilfe für Frieden              

Theoretisch gäbe es die Möglichkeit, Österreichs schlampigen Pazifismus in ernsthafte Politik zu verkehren: Indem es seine Neutralität im Einvernehmen mit der EU in Zukunft unbewaffnet wahrnähme, sich aber verpflichtete, 1,5 Prozent seines BIP in nicht bloß eigennützige Entwicklungshilfe zu investieren.

Gleichzeitig müsste die EU ernsthafte Militärpolitik beschließen. An sich stehen in ihren Mitgliedsländern ja mehr Männer als in Russland unter Waffen; man müsste sich nur, ohne deshalb die Einbindung in die NATO aufzugeben, auf eine gemeinsame Befehlsstruktur und gemeinsame Waffenkäufe einigen, um adäquates militärisches und mit ihm politisches Gewicht zu erlangen.

Ansätze dazu gibt es. Wenn Donald Trump US-Präsident bleibt, erfordern sie dringend Verwirklichung- sinnvoll sind sie immer.

In jedem Fall könnte ein unbewaffnet neutrales Österreich, das massive Entwicklungshilfe leistet, Akteur eines wichtigen Experiments sein: Klären, ob es erfolgreich ist, militärisches Gewicht durch neutrale Entwicklungshilfe zu ergänzen.

 

6 Kommentare

  1. Die Landesverteidigung soll den Frieden sichern! Zur Friedensicherung braucht es aber ein Friedensministerium und kein umfunktioniertes Kriegsministerium. Aus einem solchen Blickwinkel könnten sinnvolle Investitionen und Aufgaben getätigt werden. Dass wir in der Stadt Schleining eine dümpelnde Friedensuniversität haben, hätte Potential nach oben. Wir sollten uns von der Waffen- und Mineralölindustrie nicht weiter vor ihren Karren spannen lassen. Diese Sackgasse sind wir ohne Nachdenken viel zu lange gegangen. Die geizigen Vier könnten mit gutem Beispiel vorausgehen und zeigen, dass da auch der soziale Frieden inbegriffen ist. Aktive Friedensicherung und Rechtstaatlichkeit wären für den Zusammenhalt in der Union wichtig. Die Egomanie ist nicht förderlich. Die fähigen Techniker# sollen nicht in Waffenschmieden forschen und arbeiten sondern ihre Energie in friedenstiftende Betätigungsfender einbringen.

  2. Lichtvolle Worte. Danke für die Fakten (Neutrale werden überrannt, …) und eher selten erwähnten Hintergründe: fehlende Kampfbereitschaft, fehlende Selbstverteidigung, die Neutralität “verleiht mangelnder Kampfbereitschaft den Anschein der Moralität”, usw.
    Ich hätte allerdings nicht den Mut, das Heer ganz aufzulassen, und vermute, dass ein Standby-Heer, das man bei Bedarf “hochfahren” könnte, letztlich doch noch besser ist als gar keines. (Könnte es auch ein Konzept geben mit mehr Ideen, noch mehr Sport und Schwerpunkten, dort wo wir Stärken haben?)
    Ein besonders herzliches Danke aber dafür, dass Sie “eine nicht bloß eigennützige Entwicklungshilfe” zum Thema machen: Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe fördert Vertrauen, vermehrt Möglichkeiten wirtschaftlicher Kooperation, verbessert die Weltwirtschaftslage (jeder Beitrag zählt), generiert Hoffnung. Viele Projekte sind seit Langem auf diesem Weg, warum reden wir nicht mehr darüber? Ein spannendes Thema, das weltweite Profilierungs-Chancen für das neutrale Österreich wie für die EU böte.

  3. Als ehemaliger Reserveoffizier kann ich Ihre Beschreibung der fehlenden Leistungsfähigkeit bestätigen. Ihr Vorschlag des Verzichts auf eine militärische Verteidigung und die Behauptung, dass die Österreicher generell nicht bereit sind ihr Hab und Gut zu verteidigen, weckt in mir Unbehagen. Ich trete auch für gemeinsame Kommando und Beschaffungsstrukturen in Europa ein. Bis es aber soweit ist, sollten wir uns nicht völlig abhängig machen, sondern gezielt Reformen verwirklichen. Auch das vorhandene Geld kann sinnvoller eingesetzt werden. Niemand will kämpfen, aber es gibt Situationen wo man muss.

  4. Diese Beschreibung des österreichischen Bundesheeres und der Einstellung der Österreicher zu ihm sollte als Klassiker in die Journalistengeschichte eingehen!

  5. Das mit der Sinnhaftigkeit der Landesverteidigung könnte man ausweiten. Warum nicht alle Unterstützungen und Sonderstellungen für Religionen, Kirchen, Glaubensgemeinschaften einstellen, da das alles ohnehin ein “großer Schmäh” ist?
    Nur (viele) Menschen fühlen sich halt wohl, wenn sie an was “glauben” können. Und so ähnlich ist es auch mit der Landesverteidigung.
    Nur soviel: Richtig – politisch – neutral waren wir ohnehin nie …

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