Hannes Androsch stellt auf 143 Seiten Forderungen zu Bildung, Migration oder Klimawandel auf. Ohne Rücksicht auf Tabus und meines Erachtens rundum richtig.
„Was jetzt zu tun ist“ nennt Hannes Androsch sein jüngstes Buch[1], und der selbstbewusste Titel ist gerechtfertigt: Er gibt konkrete Anweisungen zur Bewältigung der Zukunft und wo er Kritik an der Gegenwart übt, hat sie Hand und Fuß.
Ich beginne mit der Kritik am aktuellen Corona-Paket, auch wenn sie am wenigsten Neues enthält. Natürlich ist das versprochene Geld viel zu langsam geflossen und das neue Epidemie-Gesetz weit schlechter als das alte. Denn es verpflichtet den Staat nicht mehr, erlittenen Schaden zu ersetzen, obwohl nur das den Einbruch der Wirtschaft erheblich verminderte. Anders als in Deutschland gehen auch die Investitionen nicht übers bisher Geplante hinaus, um Jobs zu schaffen und Zukunft zu erobern, obwohl Geld billigst zur Verfügung stünde.
Programmieren als Schulfach
Auch das Kapitel Bildung ist insofern nicht neu, als es voran Forderungen des von Androsch 2011 initiierten Bildungsvolksbegehrens wiederholt und ihre Dringlichkeit auch mit „Corona“ begründet: Natürlich sei es jetzt doppelt ärgerlich, dass Schulen und Schüler nicht längst mit adäquater EDV ausgestattet sind. Obwohl Österreich viel für Schulbildung ausgibt, erhalten die Kinder die EU-weit wenigsten Unterrichtsstunden, und die Lehrergewerkschaft hielt es für eine Zumutung, an Fenstertagen durch Corona verlorenen Unterricht nachzuholen. Solange viel mehr Schulautonomie Direktoren nicht erlaube, sich Lehrer auszusuchen, würde man diesen Mangel an Einsatz nicht los. Nach wie vor mangle es an qualifizierter Vorschulbildung und würden HTL s, Fachschulen und Ganztagsschulen mit verschränktem Unterricht viel zu langsam ausgebaut, obwohl letztere entscheidend dazu beitrügen, die Sprachdefizite von Migranten abzubauen. Natürlich sei der Lehrstoff endlich auszumisten, um Platz für ökonomische und vor allem digitale Kompetenz zu schaffen und müssten Lehrer gezwungen sein, sich diesbezüglich fortzubilden.
Eine Hochschule für Digitalisierung
Das leitet zu Androschs Kritik am geringen Fortschritt bei Digitalisierung und künstlicher Intelligenz über, die über die künftige Leistungsfähigkeit von Volkswirtschaften entschieden. Natürlich stelle ein schnelles digitales Netz nicht nur in Städten, sondern auch am Land die Mindestvoraussetzung dar- am wichtigsten sei aber bessere Ausbildung. Konkret schlägt Androsch eine digitale Fortbildungsstätte in Wien vor, die ein Hochschul- und post graduate-Studium anbietet und dazu beitragen könnte, dass in die USA abgewanderte Fachleute heimkehren. Ich füge an, dass auch die Initiativen der EU, ein Gegengewicht zu den US-Digital-Giganten Alphabet, Facebook oder Amazon zu schaffen, dringend mehr Punch brauchten.
Unverzichtbare Atomenergie
Größter Aufreger des Buches ist zweifellos das Klima- Kapitel. Wie die Grünen und ich sieht Androsch im Klimawandel keine weit entfernte, sondern eine nahe Mega-Gefahr, die abzuwenden unser größtes Anliegen sein muss. Wie die Grünen und ich hält er eine CO2-Steuer, wie Sebastian Kurz sie ablehnt, für so richtig wie dringlich. Aber in diametralem Gegensatz zu den Grünen ist er mit mir der Meinung, dass man beim Übergang zu alternativen Energien nicht auf Atomkraft verzichten kann. Nicht weil er ihre Gefahren übersieht, sondern weil man sie in Relation zur Gefahr des Klimawandels sehen muss. Den Volksentscheid gegen Zwentendorf und das Atomsperrgesetz, das wie die Neutralität zu einem Bestandteil der österreichischen Identität geworden ist, hält er wie ich für verfehlt. Beides kam zustande, weil Bruno Kreisky behauptet hatte, dass er zurücktreten würde, wenn die Abstimmung gegen Zwentendorf ausginge. Darauf- ich kann Androsch Wahrnehmung nur bestätigen- haben auch die engagiertesten Zwentendorf-Befürworter in ÖVP und Industriellenvereinigung gegen Zwentendorf gestimmt. Ausschließlich Kreiskys verfehlte Taktik hat dazu geführt, dass ein Atomkraftwerk, das so sicher wie die tschechischen, Schweizer oder französischen Atomkraftwerke gewesen wäre, eingemottet wurde. Weil Kreisky aber selbst Niederlagen optimal zu nutzen wusste, beschloss er gleich darauf das Atomsperrgesetz, das dazu führt, dass wir Atomstrom zwar natürlich verwenden und wie Schweizer oder Tschechen von einem GAU bedroht sind, es aber für unsere Bestimmung halten, chancenlos gegen benachbarte Atomkraftwerke zu protestieren und der EU vorzuwerfen, dass sie, wie selbst Greta Thunberg, im Kampf gegen den Klimawandel nicht auf Atomkraft verzichten will. Androsch geht beim Brechen österreichischer Tabus aber noch weiter: Er hält mit mir auch für falsch, dass das Kraftwerk Freudenau und diverse Tiroler Wasserkraftwerke nicht gebaut wurden, um „einzigartige Ökosysteme“ zu schützen, denn nur die Abwehr des Klimawandels schützt das einzigartige Ökosystem des Erdballs, und Windparks im Meer oder Sonnenkollektoren in der Wüste kommen für Österreichs bei E-Mobilität unverzichtbare Stromerzeugung nicht in Frage.
Klar auch Androschs Haltung zur Migration: Ohne die Aufnahme von Migranten schrumpfte und alterte Europas Bevölkerung zu Lasten der Wirtschaft- und nicht zuletzt der Pensionen. Das Abschieben integrierter, in Mangelberufen tätiger Flüchtlinge sei nicht nur inhuman, sondern dumm.
Wenn ich mit Androsch irgendwo differiere, dann allenfalls bezüglich des Sinns von Vermögenssteuern. Nicht dass ich darin eine Lösung für das von ihm nicht angesprochene Problem wachsender Ungleichheit sehe- wohl aber einen kleinen Beitrag dazu. Aber man kann nicht überall übereinstimmen.
[1] Brandstätter-Verlag 22 EUR
8 Kommentare
Die quasi friedliche Nutzung der Atomenergie hat der Waffenlobby genutzt und wird auch den nächsten Generationen noch viel Kopfzerbrechen machen. Jede Atombombe und jeder Reaktor ist einer Zuviel. Für eine Technologie, die in der Sackgasse ist, wird irgendwann die Ausbildung unattraktiv und der Personalmangel groß. Ich bin auch sehr froh, dass so manches Schwellkraftwerk, wie z.B. Hainburg nicht gebaut wurde. Jedes moderne Auto könnte ein Kleinkraftwerk sein, wenn es am Netz hängt. So könnten auch Stehzeugen von allgemeinem Nutzen sein. Der serielle Hybrid hätte viel Potential, wird aber derzeit noch erfolgreich unterdrückt. Ich fahre seit drei Jahren einen Opel Ampera BJ. 2013 und habe eine Durchschnittsverbrauch von 1,1 Liter Benzin. Geniale Technik ohne energievernichtendes Getriebe und Kupplung. Das verbrauchsoptimierte Notstromaggregat des Autos könnte zur Blackout Prävention dienen und bei Bedarf das Stromnetz stützen. Die Akkukapazität ist überschaubar und lizitiert sich nicht noch oben. Millionen intelligente Stehzeuge könnten viele Kraftwerke ersetzen. Die derzeit angebotenen plug in Hybride dienen nur zum Verschleiern der Flottenverbräuche und zur Vermeidung von Strafzahlungen. Solange wir noch Unmengen Beton für unnötige Gartenmauern verprassen und überdimensionale Akkus für Elektroautos wollen, haben wir noch kein ausgereiftes, aber zwingend notwendiges Energiebewusstsein. Not macht erfinderisch. Der Überfluss führt immer in eine Sackgasse. Die tonnenschweren Karossen benötigen immer größere Parkplätze und breitere Straßen. Flächendeckende, kommunale Biogasproduktion für biogene Abfälle (nicht als Konkurrenz zum Ackerbau) hat viel Potential. Die Arbeit wird uns nicht ausgehen, wenn wir die Klimaerhitzung als Technologietreiber verstehen. Die derzeitigen Technologietreiber (Großkonzerne) sitzen irgendwo in Normengremien und verhindern und verzögern eine gedeihliche Weiterentwicklung. Tolle, patentrechtlich geschützte Erfindungen versauern in der Versenkung. Das Patentrecht gehört entstaubt und gemeinwohlorientiert angelegt.
Abgesehen von der Befürwortung der Atomenergie stimme ich den Ausführungen zu. Es wird Ihnen doch nicht entgangen sein, dass eine Stilllegung eines Atomkraftwerkes uns vor etliche Probleme stellt, abgesehen davon, dass die Kosten der Stilllegung und Lagerung des strahlenden Materials nie in Berechnungen einfliessen. Jedes nicht entstandene Atomkraftwerk ist gut für unsere Umwelt, man kann doch nicht eine Umweltsünde mit einer anderen gut machen.
Eine Zuwanderung qualifizierter junger Leute, wie das auch in Australien oder Kanada gewünscht ist, wäre sehr hilfreich. Man könnte z.B. mehr Inder, Südamerikaner oder Chinesen einwandern lassen. Wenn allerdings durch einen starken Zuzug aus islamischen Ländern Parallelgesellschaften wie in Frankreich oder England entstehen, dann schadet das eher. Aber zu solchen Differenzierungen ist die europäische Politik nicht in der Lage, Wenn man Zustände wie im Libanon hat, ist der Klimawandel keine Priorität mehr. Ich möchte wissen, ob Herr Dr. Androsch seinen Sohn in eine Gesamtschule mit über 60% Ausländeranteil schicken würde oder doch für ein klassisches Gymnasium votierte.
„Er hält mit mir auch für falsch, dass das Kraftwerk Freudenau […] nicht gebaut wurden“
Ich weiß nicht, was Hannes Androsch in seinem Buch schreibt. Aber ich denke, dieses Kraftwerk habe ich schon gesehen. Meinten Sie vielleicht Hainburg?
Wie viele „Flüchtlinge“ können in Mangelberufen eingesetzt werden – und wie viele nicht!? – oder haben gar „andere Interessen“. Solange die Roten diese Frage nicht ehrlich-realistisch für sich beantworten, werden sie weiterhin bei 20% herumkrebsen und in Zukunft bestenfalls Juniorpartner in einer Regierung sein. Die Naivität der Grünen in der „Flüchtlingsfrage“ ist mehr als peinlich und befördert infolge Sebastian Kurz auf den Thron, den bisher nur Bruno Kreisky – aber verdient – besetzen konnte.
Ja, ich bekenne: Ich war engagierter Befürworter von Zwentendorf. Als aber Kreisky das Versprechen ablegte, er wird bei einem negativen Ergebnis zurücktreten, bin ich umgeschwenkt und habe nicht nur dagegen gestimmt sondern viele Bekannte dazu animiert, gleichfalls gegen Zwentendorf zu stimmen.
Kreisky hat dann sein Versprechen nicht gehalten, seitdem hatte ich nur mehr Verachtung für ihn.
Das Interview mit dem Soziologen Andreas Reckwitz (https://www.welt.de/wirtschaft/plus218492016/Andreas-Reckwitz-Die-moderne-Gesellschaft-ist-keine-Gemeinschaft-mehr.htm) sagt etwas anderes.Hier ein Auszug;
Reckwitz: Ich habe nicht den Eindruck, dass die liberale Gesellschaftsordnung ernsthaft zur Debatte steht – auch wenn man sich Sorgen machen muss, wenn man liest, was Donald Trump zur Legitimität der Wahlen äußert.
Die Frage ist aber, um welchen Liberalismus es künftig gehen wird. Vieles deutet auf einen politischen Paradigmenwechsel hin: Der Neoliberalismus, die Anheizung des Wettbewerbs durch den Staat, hat zu unerwünschten Folgen geführt, etwa die verstärkte soziale Ungleichheit, den neuen Niedriglohnsektor, die Vernachlässigung öffentlicher Güter. Da wäre ein neues Paradigma gefragt.
Das ist alles sehr richtig und unverzichtbar, wenn Österreich im Wettrennen der Nationen, das Konrad Lorenz einmal als einen tödlichen Kampf der Menschheit gegen sich selbst beschrieb, nicht zurückfallen will sondern seinen Platz als wohlhabende Nation behaupten. Mit 95% Wahrscheinlichkeit werden die von Hannes Annes Androsch und Peter-Michael Lingens vorgeschlagenen Maßnahmen am Ende auch durchgesetzt werden. Fragt sich nur, wohin dieses Wettrennen führt? Wohin laufen wir da alle mehr oder weniger blindlings und wie besinnungslos? Ich erlaube mir den Hinweis, dass darüber einige vielleicht nicht ganz abwegige Gedanken in meinem letzten Aufsatz zu finden sind (https://www.gerojenner.com/wp/ob-wir-das-schaffen-eine-andere-bessere-welt/)