Die Macht (nicht) anzuklagen

Wir verdanken einem falschen Anlass, dass unsere Anklagebehörde nach fast einem halben Jahrhundert hoffentlich einem unabhängigen „Bundesstaatsanwalt“ unterstellt wird.

Mit 82 Jahren könnte ich erleben, was ich mit 44 für dringlich hielt: Dass an der Spitze der Staatsanwaltschaft ein neutraler „Bundesanwalt“ statt eines von der Regierung bestellten Justizministers darüber entscheidet, ob ein Strafverfahren mit „Einstellung“ oder „Anklage“ endet. profil hatte 1973 den „Bauring“-Skandal aufgedeckt: Die gemeindeeigene Baufirma hatte in Saudi Arabien 1,4 Mrd. Schilling (100 Millionen Euro) in den Sand gesetzt und dennoch 60 Millionen Schilling an eine Wiener Bank überwiesen. Wir konnten Bank und Konto nennen und zitierten die einander diametral widersprechenden Aussagen der Beteiligten über den Zweck der Überweisung, denn wir kannten den Fall von innen: Autor Alfred Worm, war Bauring-Angestellter gewesen. Doch die Staatsanwaltschaft unter SP-Justizminister Christian Broda dachte nicht daran, das Konto zu öffnen.

Es gab in 13 Jahren Bruno Kreisky keinen die SPÖ irritierenden Sachverhalt, den die Staatsanwaltschaft von sich aus aufgeklärt hätte. Offenbar hatte man aus den Erfahrungen der VP-Alleinregierung Josef Klaus gelernt: Deren Justizminister, der parteilose Rechtsgelehrte Hans Klecatsky, hatte nämlich Anklage wegen Korruption gegen Niederösterreichs VP- Landeshauptmann zugelassen und damit erheblich zur schwarzen Niederlage des Jahres 1970 beigetragen. Dergleichen sollte keinem Justizminister Kreiskys passieren.

profil lebte durch Jahre davon, von der Staatsanwaltschaft negierte suspekte Geschäfte der Gemeinde Wien zu beschreiben. Weil die Texte die Wiener nicht so kalt wie die Staatsanwaltschaft ließen, ließ sich Bürgermeister Felix Slavik von zwei Ganoven für 15.000 Schilling ein „Dokument“ andrehen, wonach profil-Eigentümer Oscar Bronner von der ÖVP Millionen erhalten hätte, um ihn fertig zu machen. Nach zwei Tagen besaßen wir ein schriftliches Geständnis eines der beiden Ganoven, dass das Papier gefälscht und Bronners Unterschrift aus dem Handelsregister kopiert war. Doch die Staatsanwaltschaft klagte die Fälscher nicht an- die Gemeinde hätte „keinen Schaden geltend gemacht“. Nur weil ein Richtergremium unserem Anwalt eine Subsidiaranklage zubilligte, wurden die Täter verurteilt.

Krönung dieser Art Strafrechtspflege war der AKH-Skandal: profil beschrieb detailliert, dass man Aufträge für den Bau dieses größten Wiener Spitals nur gegen Geld auf ein Konto in Liechtenstein erhielt- die Staatsanwaltschaft plädierte engagiert auf Einstellung des Verfahrens. Nur weil die Untersuchungsrichterin sich energisch wehrte, kam es, einmal mehr durch ein Richtergremium, doch zum Prozess.

In keinem dieser Fälle gab es übrigens „Weisungen“ Brodas- Wiens leitender Staatsanwalt Otto F. Müller war sozusagen sein Sektionschef Christian Pilnacek. So wie sich jetzt die Ex-Staatsanwältin Christine Jilek über die Behinderung bei der Verfolgung von Wirtschaftskriminalität beklagte, beklagte sich damals Staatsanwältin Klothilde Eckbrecht-Dürckheim: Nach diversen Auseinandersetzungen mit Müller, der ein Disziplinarverfahren gegen sie anstrengte und mein Telefon abhören wollte, um zu erfahren, ob wir kommunizierten, warf auch sie das Handtuch und wechselte ins Richteramt.

Als die SPÖ nicht mehr allein regierte und ihr Koalitionspartner FPÖ mit Harald Ofner den Justizminister stellte, wurde es übrigens nicht besser: Wochenpresse und profil beschrieben durch Monate, wie der Gründer des roten „Club 45“ Udo Proksch einen sechsfachen Mord beging, um eine Versicherung zu betrügen, doch Ofner fand „die Suppe zu dünn“ für eine Anklage. Zu der kam es erst, als der parteilose Rechtsgelehrte Egmont Foregger das Justizministerium übernahm- das er wieder abgab, weil die SPÖ ihn nicht mehr bestellte, nachdem er auch ein Verfahren wegen falscher Zeugenaussage gegen Kanzler Fred Sinowatz zugelassen hatte.

Versicherungsbetrug mit Mord ist freilich ein eher rarer Fall unter den vielen die Politik berührenden Wirtschaftsdelikten- in der Praxis ungleich bedeutsamer ist die Korruption, weil der Staat (die Regierung) die größten Aufträge vergibt, so dass die Versuchung verbotener Geldflüsse dort die größte ist. Dass ein von der Regierung bestellter Justizminister Korruption aufklären soll, die seine Regierung verantworten könnte, muss daher zwingend höchst problematisch sein. „Anzuklagen oder nicht anzuklagen“ schrieb ich 1976 in einem Kommentar der den gleichen Titel wie der heutige trug, „ist eine der wesentlichsten Möglichkeiten staatlicher Machtausübung. Es ist- mit Ausnahme eines Kriminellen- kein Mensch denkbar, der als letzte weisungsgebende Instanz der Anklagebehörde befangener wäre als der Spitzenfunktionär einer politischen Partei.“ Deshalb darf an der Spitze der Anklagebehörde niemand stehen, der von einer Regierungspartei bestellt wurde.

Man muss Gott danken, dass die ÖVP das plötzlich auch so sieht- auch wenn der Anlass noch so falsch ist: Weil die Staatsanwaltschaft Verfahren gegen einige der ihren- zuletzt Gernot Blümel- eröffnet hat, zweifelt sie auf einmal an der Justizministerin. Trotzdem kommt es hoffentlich zu einer sachgerechten Lösung, die ich wie die ehemalige Höchstrichterin Irmgard Griss sehe: Richter und Staatsanwälte machen gemeinsam einen Dreiervorschlag, aus dem das Parlament mit Zweidrittelmehrheit auf zehn Jahre einen „Bundesanwalt“ bestellt, der den Abgeordneten seine Entscheidungen bei Bedarf nachträglich erläutert und nur mit Dreiviertelmehrheit absetzbar ist.

6 Kommentare

  1. VOEST-Debakle 1986
    Der ehemalige Pressesprecher der VOEST schreibt:

    Zum Artikel „Apfalters Herz versagte rechtzeitig“ (H.W. Scheidl in der „Zeitgeschichte vom 3.August2007):

    Hartnäckig wird überall verschwiegen, dass der einst sich selbst für „unangreifbar“ wähnende Voest-Generaldirektor Heribert Apfalter im August 1987 unmittelbar vor seiner Verhaftung stand! Er hatte sich stets als unangreifbar gewähnt – wie auch ein enger Mitarbeiter des damaligen Kanzlers Fred Sinowatz mir gegenüber bestätigte. Sein wiederholter Ausspruch gegenüber seinen Ex-Vorstandskollegen in der Sache der Pensionskürzungen nach deren von ihm abgenötigten „Rücktritten“: „Mir hat nichts passieren können. Wenn ich auspacke, stürzt die Regierung.“

    Auslöser für die bevorstehende Verhaftung war vor allem ein Notariatsakt vom Februar 1986, den der später flüchtige „Intertrading“-Manager Gernot Preschern hinterlegt hatte. Der war im Frühjahr 1986 plötzlich ins Ausland abgetaucht. Wie er mir in einem Telefongespräch sagte, „auf dringendes Anraten von Apfalter, bis Gras über die Sache gewachsen ist“.

    Ein Vertrauter des Ministers

    Von seiner bevorstehenden Verhaftung erfuhr Apfalter mit höchster Wahrscheinlichkeit durch einen engen Vertrauten eines damaligen SPÖ-Parteigranden und Ministers.

    Zur Zeitabfolge: Die Einvernahme Apfalters bei der Kriminalpolizei in Linz fand am Freitag, dem 21.August1987, statt. Am darauffolgenden Montag wurde vom Staatsanwalt beim U-Richter die Inhaftierung Apfalters beantragt. Das sprach sich bis nach Wien durch.

    Der Anrufer aus Wien

    Es erfolgte dann an jenem Dienstag ein Anruf „aus Wien“ in der Linzer Wohnung von Apfalter, der von dessen Ehefrau entgegengenommen und mit dem Hinweis beantwortet wurde, dass ihr Mann in seinem Haus in Weistrach im niederösterreichischen Mostviertel sei. Da Apfalters Telefon – wie das einiger anderer Noricum-Beteiligter – auf richterlichen Beschluss bereits abgehört wurde, nun ein sonderbarer Zufall: Dieses Tonband wurde von der Kriminalpolizei nicht sofort dem U-Richter übergeben, sondern ins Innenministerium nach Wien geschickt. Zurück kam es schließlich mit „Störungen“, so dass die Stimme des geheimnisvollen Anrufers nicht mehr erkenntlich war.

    Nun der zweite „Zufall“: Das Telefon von Apfalters bekanntem Domizil in Weistrach in Niederösterreich war nicht abgehört worden. Warum? Das wurde nie geklärt. Somit konnte auch jener geheimnisvolle Anrufer „aus Wien“ nie ausgemacht werden, der mit Apfalter ein Treffen seiner Vertrauenspersonen an der Autobahnraststätte Haag vereinbart hatte. Dieser Treffpunkt war offensichtlich von Apfalter selbst vorgeschlagen worden.

    Wer war der unbekannte Abgesandte aus Wien? Er trug nach Aussage einer Kellnerin einen Spitzbart und eine „dunkle Brille“ (es konnte auch eine nachdunkelnde Brille gewesen sein). Was der – anscheinend auf der Anreise zu den Alpbacher Sommergesprächen befindliche – Mann Apfalter sagte, dürfte wohl die Botschaft gewesen sein, dass er vor der Verhaftung stünde und ihn der damals noch Mächtige in der SPÖ und Regierung nicht mehr schützen könne!

    Diese Mitteilung dürfte Apfalter nach seiner Rückkehr ins Haus in Weistrach ziemlich in Aufregung versetzt haben. Dass er seit seinem Herzinfarkt im Jahre 1979 über das Mittel Digitalis verfügte, war und ist kein Geheimnis. Wohl aber wird bei den ganzen „Agenteng’schichterln“ um den Tod Apfalters eines nie dazugesagt: Es ist ein probates Mittel, um – im Gegensatz etwa zu dem qualvollen Tod nach Einnahme von Schlafpulvern –, in größerer Dosis eingenommen, schmerzlos aus der Welt zu scheiden.

    Was waren nun die immer wieder zitierten „Druckmittel“, die er gegenüber der SPÖ-Regierung, speziell Innenminister Karl Blecha, in der Hand hatte?

    Parteifinanzierung

    Es war ein Schreiben der beiden SPÖ-Zentralsekretäre Fritz Marsch und Karl Blecha an ihn aus dem Jahre 1981 oder 1982, als im Zusammenhang mit einer Kapitalzuführung von zwei Milliarden Schilling an die Voest-Alpine bzw. deren Tochter VEW ganz unverblümt eine finanzielle Würdigung dieser Bemühungen der SPÖ in Form von noch zu besprechenden Möglichkeiten eingemahnt wurde! Kurzum: Parteienfinanzierung aus Mitteln des verstaatlichten Unternehmens. Diesen Brief hatte Apfalter unmittelbar nach dem Erhalt einigen Mitarbeitern seiner nächsten Umgebung, unter anderem auch dem Generalsekretär Richard Kirchweger, mit empörten Kommentaren über die „Dummheit, einen solchen Brief zu schreiben“, gezeigt. Ob es im Zusammenhang mit der Genehmigung des angeblichen Libyen-Kanonendeals – in Wahrheit mit dem Iran – zu Geldflüssen gekommen ist, wurde ebenfalls nie geklärt.

    Prof. Franz P. Summer war 13 Jahre lang Pressesprecher der Voest-Alpine und schrieb das Buch „Das VOEST-Debakel“ (Orac 1987).

    („Die Presse“, Print-Ausgabe, 25.08.2007)

    1. Danke für diese zeithistorischen Hinweise, war mir bis dato nicht bekannt.

      Es zeigt sich dass die SPÖ bei solchen Aktionen viel brutaler und geschickter agiert.

      Man kann nur froh sein, dass diese Partei jetzt nichts mehr zu reden hat.

  2. Allerbesten Dank, Herr Lingens, dass Sie diese skandalösen Vorfälle unter Christian Broda hier aufwärmen! Ich kann mich noch gut erinnern, wie Broda damals mauerte um nur ja keinen SPÖ Funktionär anzuklagen.

    Und ich kann mich auch noch erinnern, dass der seinerzeitige SPÖ Finanzminister Androsch wegen Steuerhinterziehung rechtskräftig verurteilt wurde und das alles als „politische Justiz“ bezeichnete.

    Und in diesem Zusammenhang soll auch auf das skandalöse Verhalten des Herrn Altbundespräsidenten Fischer hingewiesen werden. Er hat sich nämlich nach der Verurteilung seines Genossen, des rechtskräftig verurteilten Salzburger Ex-SPÖ Bürgermeisters Schaden, doch glatt für diesen stark gemacht und seinen Amtsnachfolger Van der Bellen unverblümt aufgefordert, eine Amnestie auszusprechen. Wenn schon nicht die SPÖ einen Justizminister stellt, dann hat also gefälligst der Bundespräsident einen Gnadenakt auszusprechen.

    So sieht das Justizverständnis der SPÖ aus.

  3. Lieber Herr Lingens,
    seit Sie den Fall des „falschen Baron Thyssen“ beschrieben hatten, später auf der „Suche nach den verlorenen Werten“ waren, und nun immer wieder mit Sachkenntnis und ethisch skaliertem Maßstab Missstände in nationalen, wie internationalen Belangen ansprechen, verfolge ich Ihre Gedankengänge mit großer Zufriedenheit und Dankbarkeit.

    Bleiben Sie gesund und trotz Allem humorvoll.

    Mit besten Grüßen
    Alexander Konitz

  4. Ich kann nicht wirklich glauben, „dass die ÖVP das plötzlich auch so sieht“. Ich traue dieser Partei keinen Millimeter über den Weg. Vermutlich sucht sie bereits Wege, wohlgesinnte Juristen vom Schlage eines Pilnacek in dieser Funktion zu installieren und sich das, fortan in Sicherheit vor Strafverfolgung, auch noch als grandiose Justizreform ans Revers zu heften.

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