Die (vergebenen) grünen Chancen

In Deutschland könnte ein Wahlsieg von SPD und Grünen das Land und vielleicht die EU verändern. In Österreich könnte es auch kantigen grünen Widerstand gegen Kurz geben. 

 Die kommenden deutschen Wahlen sind Schicksalswahlen. Derzeit liegt die SPD dank ihres Finanzministers Olav Scholz mit 24 Prozent Zustimmung erstmals knapp vor der CDU-CSU Armin Laschets. Lägen die Grünen wie noch im Juni dieses Jahres ähnlich hoch, so hätte eine grün-rote Regierung die größten Chancen. (Allenfalls, wenn es sich nicht ganz ausgeht, unter Duldung der „Linken“.) 

Diese Regierung hätte die einmalige Chance, von der wirtschaftlich so kontraproduktiven Politik des „staatlichen Sparens“ und der „Lohnzurückhaltung“ in Deutschland abzugehen und vielleicht sogar neue, vernünftige Maastricht -Kriterien der EU zu formulieren, statt dass sie nur, wie derzeit wegen Covid-19, ausgesetzt sind. Es ist zu allen Zeiten schwachsinnig, das Defizit eines Staates mit 60 Prozent seines BIP zu begrenzen- täte man das bei einer Privatperson, jemand der jedes Monat 5000 Euro verdiente, könnte sich nie eine Wohnung kaufen. Wie sehr die deutsche „Lohnzurückhaltung“ Deutschlands und halb Europas Kaufkraft zu Lasten seiner Wirtschaft schwächt, will ich nicht wiederholen.

Ich glaube zwar nicht, dass Olaf Scholz das ganz wie ich sieht, aber zumindest steht er diesen Überlegungen ungleich aufgeschlossener als Armin Laschet gegenüber. Und mit Abstand am ehesten versteht sie der grüne Parteiobmann Robert Habeck, der ursprünglich auch aussichtsreichster grüner Kanzler-Kandidat schien. Doch dann setzte sich in der parteiinternen Kür seine Co- Parteiobfrau Annalena Baerbock durch, weil eine Frau an der Spitze grünem Image und Zeitgeist besser entsprach. Seither hat Baerbook den grünen Vorsprung durch einen geschönten Lebenslauf, berechtigte Plagiatsvorwürfe gegen ein von ihr verfasstes Buch und schwache Antworten bei Interviews verspielt. Es ist eben nicht wie im täglichen Krimi, dass die „Kommissarin“ automatisch alle Fälle weit besser als der „Kommissar“ löst. Natürlich kann eine Frau besser als ein Mann sein- aber es ist nicht so zwingend, wie aktuelle Krimi-Autoren und deutsche Grüne meinen. 

Rot-Grün hat nur „trotzdem“ weiter eine Chance: Das Versagen von CDU-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in Afghanistan ist offenkundiger als das von SPD-Außenminister Heiko Maaß, und letztlich war es doch vor allem eine Regierung der „Union“, die nicht für die rechtzeitige Ausreise afghanischer Helfer der deutschen Truppen und afghanische Frauenrechts-Aktivistinnen sorgte.

Deutschlands Grüne könnten doch noch Geschichte schreiben. 

Österreich braucht die Grünen

Auch in Österreich haben die Grünen weiter Chancen. Auch wenn Oe24 vorige Woche bereits ein Drehbuch vom Ende der türkis-grünen Koalition verfasste: Werner Kogler könne die Empörung der grünen Basis über die Asyl-feindliche Haltung Sebastian Kurz` und Karl Nehammers angesichts der Lebensgefahr, in der sich Frauenrechts-Aktivistinnen in Afghanistan befänden, nicht mehr unter Kontrolle halten. Wenn nicht schon demnächst, dann würde die türkis-grüne Koalition spätestens bei der ökologischen Steuerreform zerbrechen, weil die ÖVP die grünen Forderungen unmöglich erfüllen und die Grünen unmöglich von ihnen abgehen könnten. 

Für möglich halte auch ich diese Entwicklung- nur für eher unwahrscheinlich: Ich glaube, dass die Grünen einsehen werden, dass es ein Fehler wäre, die Koalition zu sprengen. Denn die ÖVP ginge aus Neuwahlen unverändert als stärkste Partei hervor und könnte sich unter einem Vizekanzler Norbert Hofer doch wieder mit der FPÖ zusammentun- Herbert Kickl schluckte das, wenn er wieder Minister würde und Kurz schluckt alles, was ihm leichtes Regieren gestattet. Aber auch die zweite, ihm weniger liebe Option- eine türkis-rote Koalition- wäre zwar für Österreich, nicht aber für die Grünen besser. Sie sind dazu verdammt, weiter mit Kurz zu leben. 

Nur heißt das nicht, dass sie ihm in dem Maße nachgeben müssen, in dem sie das in der Vergangenheit getan haben. Denn der Vorsprung der türkis-blauen Option ist kein so klarer: Im Frühjahr war eine rot-grün-pinke Koalition bei der Bevölkerung beliebter als eine türkis-blaue, und wenn man die Schwankungsbreite der Umfragen in Betracht zieht, sogar ein mögliches Neuwahl-Ergebnis. 

Mehr grüne Kanten gegen Kurz

Neuwahlen haben für Kurz immer auch ein beträchtliches Risiko geborgen- er hätte sich sehr überlegen müssen, aus welchem Anlass sie stattfinden. Selbst jetzt, da Umfragen der ÖVP und vor allem der FPÖ wieder einen klareren Vorsprung für türkis-blau vor rot-grün-pink bescheinigen, ist „Asyl für bedrohte Frauenrechts-Aktivistinnen“ ein Anlass, bei dem Kurz die Österreicher nicht so eindeutig hinter sich hat. Ich meine, dass die Grünen ihre Opposition gegen die kompromisslose türkise Haltung also durchaus so klar formulieren können (sollen), wie sie das tun- „Nehammmer muss weg“ muss Kogler selbst ja nicht sagen. Er kann (soll) seine Äußerungen nur immer sehr klar damit beginnen, dass er die Koalition nicht sprengen will, weil die türkis-blaue Alternative unverändert eine so katastrophale wäre- das Publikum versteht das meines Erachtens. Nur kann (soll) er mit einer ebenso klaren Kritik der türkisen Haltung fortsetzen, statt auf die ihm eigene Weise herumzureden. Und manchmal- etwa bei der Frage der Fortsetzung des U -Ausschusses- hätte er dem Kanzler auch rechtzeitig sagen können: „Da werden wir nicht mit Euch stimmen“- und sich dann ansehen, ob Kurz deshalb wirklich Neuwahlen riskiert.

Ein Kommentar

  1. Lingensches Wunschdenken pur. Es gibt keine „Schicksalswahlen“, das sollte ein Jahrzehnte langer Politbeobachter wie Herr Lingens eigentlich wissen. Lingens grün-rote Wünsche werden sich nicht erfüllen. Und das ist (nicht) gut so …

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