Olaf Scholz schafft Chancen für die EU

Die „Ampel“ investiert 60 Pandemie-Milliarden in den Klimaschutz. Das kann die „Schuldenbremse“ lockern und die „Lohnzurückhaltung“ bremsen – dem „Süden“ zu atmen helfen.

Die gute Nachricht zur Jahreswende: Deutschlands Ampel -Koalition verbessert Europas ökonomische Chancen gegenüber der Ära Angela Merkels. Denn so viele Kränze der Ex- Kanzlerin auch geflochten werden – in Wirklichkeit ist ihr Austerity- Pakt „der“ ökonomische Hemmschuh der EU. Nicht dass Olaf Scholz die Garantie böte, dass er verändert wird – aber es gibt dafür zumindest eine Chance.

Obwohl der FDP-Finanzminister der „Ampel“, Christian Lindner, seinen Wählern die Einhaltung der „Schuldenbremse“ versprochen hat, wird die Koalition heuer zusätzlich 60 Milliarden Euro in den Klimaschutz investieren und damit ein Wahlversprechen der Grünen erfüllen. Ermöglicht hat Lindner diese positive Überraschung, indem er 60 Milliarden, die seinem Vorgänger Olaf Scholz noch als Finanzminister der Regierung Merkel vom Bundestag zur Überwindung der Pandemie bewilligt worden waren, weil die „Schuldenbremse“ zu diesem Zweck außer Kraft gesetzt war, heuer in Anspruch nimmt. Die opponierende CSU-CDU spricht von einem „Taschenspielertrick“, weil das Geld einem ganz anderen Zweck – eben dem Klimaschutz statt der Überwindung der Pandemie – zugeführt wird, und es bestehen wenig Zweifel, dass jemand beim Verfassungsgerichtshof gegen diese „zweckwidrige“ Verwendung klagen dürfte. Aber bis das Gericht sein Urteil fällt, wird das Geld zum Vorteil Deutschlands schon geflossen sein – gleich ob damit zusätzlich Windparks geschaffen oder weitere Teile der deutschen Bahn elektrifiziert wurden.

Da Deutschlands Bevölkerung schrumpft, werden die zusätzlichen Großaufträge den bereits herrschenden Mangel an Facharbeitern weiter verschärfen – das sollte ihnen gute Chancen auf kräftige Gehaltserhöhungen geben. Da die SPD gleichzeitig einen höheren Mindestlohn durchgesetzt hat, sollte das deutsch Lohnniveau insgesamt stärker als in den vergangenen Jahren steigen, was einen doppelten Vorteil hätte: Zum einen legte die deutsche Kaufkraft zu, so dass die deutsche Bevölkerung mehr Waren selber kaufen kann, seien es solche, die sie auf Grund ihrer gestiegenen Produktivität vermehrt erzeugen, seien es solche, die der „Süden“ dringend exportieren möchte. Zum andern schrumpfte der deutsche Lohnstückkosten- Vorteil gegenüber Waren aus Frankreich, Italien oder Spanien zumindest um ein paar Prozent, statt weiter zwischen 20 und 30 Prozent zu betragen. Das machte den Konkurrenzkampf zumindest um eine Nuance offener und erhöhte damit die Chance, dass der „Süden“ die deutsche „Lohnzurückhaltung“ wirtschaftlich übersteht.

Lindner plagt freilich die Sorge, dass sein „Taschenspielertrick“ ihn den Ruf kosten könnte, auf der „Schuldenbremse“ zu stehen, denn im Zentralorgan des Neoliberalismus, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sind solche Zweifel bereits kräftig geäußert worden. In einem Brief an alle Ministerien hat Lindner seine Kollegen daher demonstrativ darauf hingewiesen, dass es „Sparpotential“ zu heben gelte und dass sie nichts zusagen dürften, was nicht durch Steuereinnahmen gedeckt ist. Spätestens im kommenden Jahr würden die Staatsschulden in keiner Weise – auch nicht mehr durch die Übernahme vorangegangener Ermächtigungen – erhöht.

Bei der Union aus CSU und CDU dürfte man beim Vorwurf des „Taschenspielertricks“ bleiben – aber in der Europäischen Union schöpfen Italien oder Frankreich die leise Hoffnung, dass sich Deutschland in Hinblick auf „Austerity“ bewegen könnte: Dass es nicht protestieren wird, wenn die EU die Staatsschulden- Quote von sich aus nicht mehr mit 60 Prozent des BIP begrenzt.

In einer andern für die Zukunft der EU wesentlichen Frage sind die ursprünglichen Differenzen ähnlich groß, die Chancen auf Einvernehmen aber weit geringer: Frankreichs Präsident Emmanuelle Macron wünscht sich eine europäische Streitmacht – Olaf Scholz hegt die alte deutsche Sorge, dass das nur die NATO schwächte. Ich glaube, dass man das (längst) neu überdenken muss – spätestens aber seit man weiß, dass Wladimir Putin weder in Syrien, noch in der Ukraine oder Kasachstan militärische Vorstöße scheut und dass Donald Trump seriöse Chancen auf ein Comeback hat: Man muss für möglich halten, dass die USA nicht mehr bereit sind, die Grenzen der EU voran durch eigene Soldaten zu garantieren. Ich hielte für verantwortungslos, Putin das Gefühl zu geben, dass die EU ohne USA militärisch eine quantité négligeable darstellt.

Gemeinsam hat sie, auch ohne Briten, immerhin 800.000 Mann (gegenüber einer Million russischer Soldaten) unter Waffen – was fehlt ist die gemeinsame Struktur. Diese Struktur zu schaffen macht auch dann Sinn, wenn man selbstverständlich an der NATO festhält – es erhöhte nur deren Schlagkraft und Glaubwürdigkeit. Es ist auch nicht sinnlos teuer – auch die nationalen Armeen brauchen gute Waffen und es spart Geld, sie gemeinsam zu beschaffen.

PS: Wenn Putin an der Grenze zur Ukraine Panzer auffahren lässt und behauptet, dass er sich von der NATO eingekreist und bedroht fühlt, so glaubt er das keine Sekunde. Er hat dafür andere Gründe: Vielleicht, dass er seine Bevölkerung glauben machen will, dass sie deshalb nicht mehr Wohlstand genießt, weil Russland wegen der Bedrohung durch die NATO viel Geld in Rüstung stecken muss; vielleicht, weil die prorussische Führung der Ostukraine an Zuspruch verliert und seine Hilfe braucht; vielleicht weil er den „Westen“ derzeit für so schwach hält, dass er die Chance wittert, sie wie die Krim zu annektieren.

 

 

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